Schlosser, Hans/Schwab, Ingo, Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346. Edition, Übersetzung und juristischer Kommentar. Böhlau, Köln 2000. XII, 422 S., 4 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Bei Rezensionen ist es eben wie im wahren Leben. Deshalb geht manches auch daneben. Statt dass ein wichtiges Buch den Lesern sofort sachkundig bekannt gemacht wird, sucht der Herausgeber für ein oberbayerisches Landrecht einen echt oberbayerischen Rezensenten, worüber ihm ein Bearbeiter gram ist, weil er sich von einem Sachsen mehr als von diesem Oberbayern verspricht, der echt oberbayerische Rezensent hält nicht, was er zusagt und der Verlag liefert dem Herausgeber kein zweites Exemplar, so dass die Ausleihe die Grundlage für eine nach langen Jahren spät kommende Anzeige bilden muss.
In diesen misslichen Umständen spiegelt sich vielleicht aber auch nur das Geschick des Werkes selbst wider. Die erste, unkritische und unter kompilatorischer Heranziehung mehrerer Handschriften erarbeitete Edition des Jahres 1834 durch Maximilian von Freyberg wurde bereits kurze Zeit nach ihrem Erscheinen als wissenschaftlich unzulänglich erachtet und die von Rockinger ermittelte Erstfassung des Jahres 1336 von Anfang an als zweifelhaft angesehen. Deswegen begnügt sich die vorliegende, 1996 begonnene Edition damit, für den ab 1346 verbindlichen Rechtszustand endlich einmal einen verlässlichen Text zu bieten.
Nach einem kurzen Geleitwort und einem einführenden Vorwort der beiden Bearbeiter verzeichnet Ingo Schwab zunächst die (15) Handschriften in Berlin, Cambridge, Sankt Georgenberg-Fiecht, Mals, München und Wien. Danach wendet er sich der Zimelie 12 des Stadtarchivs München (Archivexemplar) ausführlich zu. Ihre Edition verfolgt vorrangig das Ziel, dem nachfolgenden rechtshistorischen Kommentar einen Text voranzustellen, auf den der Kommentar sich beziehen kann.
In der Auseinandersetzung um die Gestaltung seines Textes stützt sich der Bearbeiter dabei im Wesentlichen auf 12 genannte Handschriften. In deren Rahmen beschreibt er die im Münchener Stadtarchiv verwahrte Ausfertigung mit ihren 58 Pergamentblättern im Maß von 32,5 x 24 cm mit jeweils 32 Zeilen genau und weist fünf Hände nach, wobei eine Zuordnung der Haupthand innerhalb der Kanzlei Ludwigs des Bayern bzw. seiner Söhne bislang nicht möglich erscheint. Das recht půch beginnt mit dem ersten Blatt der zweiten Lage und dem Einführungspatent vom 13. Januar 1346.
Dem fürstlichen Mandat schließen sich insgesamt 28 verschiedenen Rechtsbereichen gewidmete, 350 Artikel umfassende Tituli und eine bereits im Zeitraum der Entstehung getilgte Bestimmung (184a Umb die Iuden) an. Die Handschrift ist sehr gewissenhaft angelegt. Ihr folgt die Edition buchstabengetreu, wobei sie in Appendix 1 die Abweichungen anderer Ausfertigungen von der in Zimelie 12 gewählten Reihenfolge auflistet und in Appendix 2 (an Stelle einer noch nicht möglichen abschließenden Untersuchung über die Entstehungszusammenhänge der gesamten Überlieferung) eine Synopse der verschiedenen Überlieferungen zu Blatt 7b der Zimelie bietet.
Im Anschluss an diese textliche Grundlegung beschreibt Hans Schlosser Aufgaben und Funktionen des juristischen Kommentars zum oberbayerischen Landrecht von 1346, das er zu Recht zu den bedeutendsten Dokumentationen territorialer Rechtsetzung nach der ersten großen europäischen Schriftlichkeitswelle des 13. Jahrhunderts – mit z. B. Sachsenspiegel, Deutschenspiegel und Schwabenspiegel – zählt. Zutreffend weist er darauf hin, dass die neuere Rechtsgeschichte dem Landrecht leider nur geringe Bedeutung beimisst. Dabei sei das Rechtsbuch, dem bereits 1335 eine nicht erhaltene, kaum rekonstruierbare, aber im Münchener Stadtrecht von 1340 noch am ehesten überlieferte Urform vorausgegangen sei, der vielleicht am besten gelungene Versuch des 14. Jahrhunderts, Landesherrschaft, Landrecht und Landesverwaltung feststellend miteinander zu verbinden.
Oberstes Ziel der deswegen weiterführenden juristischen Kommentierung sei es, das Eindringen in das komplexe Gesamtkonzept der Rechtsetzung unter klarer Herausarbeitung der praktischen Regelungsziele zu erleichtern und dabei die Rechtssätze sowohl in ihrer dogmatischen Tragweite wie auch in ihrem inneren, möglicherweise systematischen Zusammenhang zu verstehen. Unverzichtbare Grundbedingung dafür war eine möglichst eng an den Originalwortlaut angelehnte Übersetzung. Von ihr ausgehend und an sie anschließend war eine seit langem erwünschte und notwendige Kommentierung möglich.
Als zusammenfassendes Ergebnis seiner sorgfältigen Bemühungen erschließt er Strukturen und Regelungsgehalte des Rechtsbuchs. Dementsprechend gliedert er in Verfahrensrecht (mit tragenden Beweisregeln, einem neuen Richterbild und einer unsystematischen Zuständigkeitsordnung), materielles Recht (Strafrecht, Privat- und Grundleihrecht) und Polizeirecht. Überzeugend zieht er die bisher vorherrschende Vorstellung vom rein deutschrechtlichen Charakter des auffallend praxisorientierten Landrechts in Zweifel.
Auf dieser Grundlage bietet Schlosser eine moderne Übertragung des gesamten Textes. An jeden Artikel schließt sich in Form von meist kurzen Anmerkungen sein Kommentar an. Damit schafft er hervorragende Voraussetzungen für künftige Forschungen an dem wohl zu Unrecht wenig beachteten, bedeutsamen Rechtsdenkmal Bayerns.
Zur Abrundung gibt Ingo Schwab aus der formellen Bearbeitung der Edition ein kurzes Orts- und Personenregister und ein umfangreicheres Wortregister von abdingen bis zwigult. Aus der inhaltlichen Befassung hat Hans Schlosser ein rechtshistorisches Sachregister von abdingen bis zwiegült erstellt. Beiden Bearbeitern ist für Mühe, Sorgfalt und Einfallskraft sehr zu danken.
Innsbruck Gerhard Köbler