Rechtsquellen aus den hannoverschen Landen 1501 bis 1803. Ein Verzeichnis als Beitrag zur Alltagsgeschichte. Nach den Beständen der niedersächsischen Landesbibliothek, bearb. v. Oberschelp, Reinhard (= Veröffentlichungen der niedersächsischen Landesbibliothek 17, 1, 2, 3). Niemeyer, Hameln 1999. XV, 1-564, 565-1044, 1045-1136 S. Besprochen von Karl Kroeschell.

 

Das umfangreiche Verzeichnis von Rechtsquellen (im weitesten Sinne), das der Bearbeiter hier vorlegt, beruht zunächst auf einer Reihe von gut 30 Sammelbänden, die unter der Signatur C 15478 in der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover bewahrt werden und zahlreiche Einzel- oder gar Einblattdrucke, aber auch einzelne handschriftliche Stücke enthalten. Zusätzlich wurden auch einige kleinere Sammlungen für Braunschweig-Wolfenbüttel, Bremen-Verden und Lauenburg ausgewertet; insofern ist der Titel mit seiner Betonung der „hannoverschen Lande“ zu eng. Endlich werden aber auch diejenigen Texte nachgewiesen, die im 18. Jahrhundert in den calenbergischen und lüneburgischen „Landes-Ordnungen und Gesetzen“ sowie im 19. Jahrhundert in den Sammlungen Ebhardts, Spangenbergs und Willichs abgedruckt worden waren. Auch sie betrafen vielfach Territorien, die damals noch nicht zu Hannover gehörten - etwa Osnabrück, Hoya oder Diepholz. Immerhin stammen aber, wie der Bearbeiter mitteilt, von den rund 12 000 Stücken etwa 5 700 aus der Landesbibliothek. Insbesondere die Signatur C 15478 erscheint nahezu auf jeder Seite.

 

Die verzeichneten Texte unterschieden sich nicht nur nach ihrer „formalen Bezeichnung“, sondern auch in ihrer Entstehung und Funktion (S. VIf.). Landtagsabschiede als zwischen dem Landesherrn und den Ständen paktierte Gesetzesakte sind nur aus dem 16. Jahrhundert überliefert. Im (gemäßigten) Absolutismus der welfischen Lande nach dem Dreißigjährigen Kriege gab es als alle Landeseinwohner bindende Rechtssetzungen nur noch die Verordnungen, Edikte oder Constitutionen des Fürsten oder seiner Zentralbehörden. Ausschreiben hießen dagegen die Anordnungen einer Oberbehörde an ihre nachgeordneten Dienststellen. Reskripte (und ggf. Postskripte) beantworteten Anfragen unterer Behörden. Eine Sonderstellung nehmen die Gemeinen Bescheide oberer Gerichte ein, die sich mit Fragen der Gerichtspraxis beschäftigten.

 

Handelt es sich nun bei allen diesen Texten um „Rechtsquellen“, wie der Titel nahelegt? Für eine Antwort auf diese Frage wäre es nützlich, sich der Diskussion über den vorkonstitutionellen Gesetzesbegriff zu erinnern, die unter den Rechtshistorikern vor etwa zwanzig Jahren geführt wurde, ohne zu einem allseits anerkannten Ergebnis zu führen; vgl. dazu die Übersicht bei K. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte Bd.3 (4. Aufl. 2005) S. 80f. Einerseits legt es die Vorstellung vom Gesetz als Herrscherbefehl nahe, jedes vom Fürsten autorisierte Gebot als Gesetz zu betrachten. Im Blick auf die zahlreichen Edikte, Reskripte und Zirkulare wollte man deshalb sogar von einer „verwaltungsinternen Gesetzgebung“ sprechen (D. Willoweit). Andererseits wurde daran erinnert, daß die Juristen stets daran festhielten, zum Gesetz gehöre die allgemeine Geltung (Chr. Link).

 

Das von Oberschelp vorgelegte Material scheint eher für eine Differenzierung als für einen weitgefaßten Gesetzesbegriff zu sprechen. Ohne Beschäftigung mit den Texten selbst wird sich dies allerdings nicht klären lassen. So liegt es gewiß nahe, daß Anordnungen über die Todesstrafe und ihre Vollstreckung Anspruch auf allgemeine Geltung erhoben. Folgerichtig ergingen sie deshalb als Verordnung (1730 Mai 05, keine Todesstrafe mehr bei Bigamie) oder gar als (die Publikation betonendes) Patent (1709 Jun 19, Diebstähle von Hausgesinde; 1710 Jan 07, Erläuterung hierzu). Weshalb aber vereinzelt ein Reskript genügen mochte (1740 Mär 18, keine generelle Abschaffung der Todestrafe bei Diebstahl; 1737 Aug 23, Todesstrafe für Einbrecher schon beim ersten Fall), kann sich wohl erst aus den Texten selbst ergeben. Warum andererseits für das Verbot, den Weg aus dem Braunschweiger und Hildesheimer Land nach Celle anders als über Müggenburg und Bröckel zu nehmen (1713 Jul 17) oder (aus heutiger Perspektive interessant) für die Warnung vor einem Studium ohne hinreichende finanzielle Mittel (1722 Nov 25) die Form des Patents gewählt werden mußte, ist nicht ohne weiteres zu erkennen.

 

Der Herausgeber sieht in den Texten, wie der Untertitel des Verzeichnisses zeigt, in erster Linie Quellen für die Alltagsgeschichte. Oft genug bewegte sich dieser Alltag am Rande des Mangels, ja der bitteren Not. Dies zeigen nicht nur die immer wiederkehrenden Ausfuhrverbote für Getreide - entweder generell oder doch für die Monate vor Einbringung der neuen Ernte (etwa 1709 Mai 23). Auch die Verbote, Brotgetreide zum Schnapsbrennen zu verwenden, deuten in die gleiche Richtung (etwa 1734 Aug 21, 1740 Apr 02). War das Korn dennoch knapp geworden, half die Obrigkeit mit den in Magazinen eingelagerten Vorräten aus (z. B. 1725 Jan 02); ein solches Kornmagazin (zur Versorgung des Oberharzes) ist heute noch in Osterode erhalten.

 

Die obrigkeitliche Fürsorge, die sich um alles und jedes kümmert, ist überall zu spüren. Da wird das Tabakrauchen nicht nur in Moor und Heide verboten, um Brände zu vermeiden (1713 Jun 29), sondern an allen brandgefährdeten Orten (1712 Sep 16). Für Tabakspfeifen ist ein Deckel auf dem Kopf vorgeschrieben (1736 Apr 04). Im Wald Maibuschen zu schlagen, ist ebenso untersagt wie der Bau sommerlicher Laubhütten (1718 Dez 08). Und den Göttinger Studenten darf Kredit nur mit Einwilligung ihrer Eltern oder Vormünder gewährt werden (1735 Jul 14); sie waren ja damals ohnehin oft minderjährig!

 

Das Verzeichnis wird durch ein ausführliches Register erschlossen - freilich mit Verweisen nur auf die Seiten, nicht auf die einzelnen Dokumente. Hilfreich ist eine tabellarische Übersicht über die einzelnen welfischen Lande und ihre jeweiligen Fürsten (S. 1105ff.). Besonders hinzuweisen ist jedoch auf das „Nachwort“ (S. 1119, 1134), das in Wahrheit eine konzentrierte Inhaltsübersicht ist. Der Hinweis des Herausgebers auf seine zweibändige Darstellung „Niedersachsen 1760-1820. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur im Land Hannover und Nachbargebieten“ (1982), die das Material der „Rechtsquellen“ bereits ausgiebig benutzte, soll darum auch hier wiederholt werden.

 

Freiburg im Breisgau                                                                                               Karl Kroeschell