Raubold,
Dietrich, Das Landgericht Hildesheim und sein Bezirk. Teil 1 Die
Vorgängerinstitutionen, ihre Tätigkeit und ihre Entwicklung bis zur Einrichtung
des Landgerichts und der Amtsgerichte. Ein Beitrag zur Gerichtsgeschichte
Niedersachsens (= Veröffentlichungen des Landschaftsverbandes Hildesheim 15).
Olms, Hildesheim 2003. 550 S.
Der
Autor, zuletzt Vorsitzender Richter am Landgericht Hildesheim, legt hier eine
detaillierte und kenntnisreiche Darstellung des älteren Gerichtswesens im
heutigen Hildesheimer Gerichtssprengel vor. Schon bei seiner Errichtung 1852
umfaßte der Bezirk des damaligen Obergerichts Hildesheim nicht nur
alt-hildesheimische Gebiete, sondern auch einige angrenzende hannoversche
Ämter. Der heutige Landgerichtsbezirk ist noch heterogener zusammengesetzt und
zieht sich vom alten braunschweigischen Weserdistrikt um Holzminden als
schmaler Streifen nach Nordosten bis an die Grenze zur Altmark. Vgl. hierzu die
Karten bei Joachim Rückert/Jürgen Vortmann, Niedersächsische Juristen, Göttingen
2003, S. LVIff.
Weit
vielfältiger als die territoriale Herkunft sind allerdings nach ihrer
Entstehung, Struktur und Funktion die zahlreichen Gerichtsinstitutionen in
Mittelalter und früher Neuzeit, die das Hauptthema des Buches sind (erst der
Schlußteil ab S. 482 ist dem 19. Jahrhundert gewidmet). Hier gab es geistliche
und weltliche Gerichte, Grafen- und Vogtgerichte, die Godinge und späteren
Landgerichte, Ratsgerichte in den Städten sowie Flecken- oder
Weichbildsgerichte in kleineren Orten, endlich vielerlei bäuerliche Gerichte:
Burdinge, Meierdinge, Hägerdinge, Holtinge und andere mehr. An der Schwelle der
Neuzeit kamen die Gerichte der (bischöflichen oder herzoglichen) Landesherren
hinzu: Hofgericht und Regierung am Residenzort, und die Ämter draußen im Land.
Unter diesen standen dann noch die Gerichte der geistlichen oder weltlichen
Grundherren.
Über
alle diese Gebilde informiert der Verfasser sachkundig und anschaulich. Seine
Darstellung beruht auf umfassender Auswertung des landes- und
ortsgeschichtlichen Schrifttums; zusätzliche Urkundenstudien hat er nach
eigenem Bekunden (vgl. S.4) nicht betrieben. Von übergreifender Literatur
werden nur die 19. Aufl. (1992) von Mitteis/Lieberich (!) und Gerhard
Köblers Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte (1988) zitiert. Das
Lexikon des Mittelalters wurde benutzt, das Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte anscheinend nicht, obwohl es manche Information zum
allgemeinen Forschungsstand bereithält. So weithin auf sich selbst gestellt,
beweist der Autor um so eindrucksvoller seine Sachkunde und sein klares Urteil
- etwa in seinen einleitenden Ausführungen zu den Godingen (S. 177ff.), den
Meierdingen (S. 259ff.), den Freidingen (S. 285ff.), den Hägerdingen (S. 293ff.
und den Holtingen (S. 297ff.). Der Anschaulichkeit kommt es zugute, daß der
Verfasser die in seiner Literatur geschilderten Fälle nachzeichnet oder die
dort angeführten Quellenzeugnisse selbst zu Worte kommen läßt. Von den
zahlreichen Beispielen nenne ich nur den Achtprozeß im Alfelder Burggericht von
1606 (S. 111), das Landgerichtsprotokoll wegen eines Totschlags beim Nobiskrug
1563 (S. 185ff.) und das Protokoll des Klostergerichts Escherde von 1658 in
einer Körperverletzungssache (S. 243f.). Eindrucksvolle Schlaglichter werfen
1732 der Fall des zerrissenen Ehestiftungsbriefes eines jungen Bauernpaares (S.
179) und 1734 die Bitte der schwangeren Ehefrau eines verurteilten Mörders, den
Kopf ihres Mannes nicht auf einen Pfahl aufzustecken (S. 208).
Allerdings
muß man dem Vorwort (S. 1) darin zustimmen, daß sich der Inhalt des Buches
nicht immer leicht erschließt, und dies gilt nicht nur für den flüchtigen,
sondern auch für den geduldigen Leser. Dies liegt einmal an der Druckgestaltung.
Wenn
man sowohl auf S. 277 wie auf S. 465 den Gliederungspunkt 7.2.3 findet, so ahnt
man zwar, daß diese beiden Abschnitte zu verschiedenen Hauptteilen des Buches
gehören müssen. Wo man sich jeweils befindet, kann man aber weder dort noch hier
feststellen, weil es keine Kolumnentitel gibt. Das Inhaltsverzeichnis (S. 439ff.),
das ohne Absätze, Einrückungen oder sonstige Hervorhebungen über zehneinhalb
Seiten geht, wirkt geradezu entmutigend. Zur Erleichterung der Lektüre sei
daher eine knappe Übersicht über den Aufbau des Werkes gegeben.
Ein
erster Hauptteil (A 1, S. 7-323) schildert die Gerichte und ihre Funktion bis
zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Er beginnt mit der Altstadt Hildesheim und
behandelt die weltlichen (Vogtding, Ratsgericht, Innungen usw.) wie die
geistlichen (Immunitäten, Archidiakonate) Gerichte. Daran schließen sich (S. 88ff.)
die anderen Teilstädte Hildesheims (Dammstadt, Moritzberg, Neustadt). Weiter
folgen (S. 106ff.) die kleineren Städte des Hochstifts (Dassel, Alfeld, Bockenem
usw.) sowie (S. 138ff.) die Städte außerhalb des Fürstbistums (Burgdorf,
Gifhorn usw.). - Ab S. 160 wird die ländliche Gerichtsverfassung dargestellt,
beginnend mit den Grafengerichten. Danach kommen die Godinge und Landgerichte
(S. 173ff.) und die Ämter (S. 189ff.). Patrimonialgerichte und Klostergerichte
schließen sich an (S. 210ff.) und nach den geistlichen Gerichten (S. 252ff.)
folgen ab S.256 die „genossenschaftlichen“ Gerichte: Meierdinge, Freidinge,
Hägerdinge, Holtinge usw. Den Abschluß bildet das bischöfliche Hofgericht (S.
311ff.).
Der
zweite Hauptteil (A 2, S. 324-480) hat die „örtliche Verteilung“ aller dieser
Gerichte zum Thema, angeordnet nach den heutigen Amtsgerichtsbezirken in
alphabetischer Reihenfolge, von Alfeld bis Peine. In diesem zweiten Durchgang
wird alles angeführt, was in dem betreffenden Bezirk vorkam - Grafengerichte,
Stadtgerichte, Godinge, Meier- und Hägerdinge, jeweils in ihrer räumlichen
Erstreckung. So unverzichtbar diese Informationen sind: diese Darstellungsweise
führt unvermeidlich zu zahlreichen Wiederholungen gegenüber dem ersten
Hauptteil. Bespielsweise finden sich Informationen über die Godinge nach der
allgemeinen Darstellung in A 1 (S. 173ff.) an mindestens acht Stellen in A 2.
Hier würde man sich dringend Sach- und Ortsregister wünschen, die die
verstreuten Informationen zusammenführen.
Im
dritten und kürzesten Hauptteil endlich (B, S. 484-513) geht es um die
Entwicklung im 19. Jahrhundert, nach dem kurzen Zwischenspiel des Königreichs
Westphalen also vor allem um die hannoversche Zeit bis zu den Justizgesetzen
von 1850. - Den Abschluß bilden ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie
das schon erwähnte Inhaltsverzeichnis.
Vielleicht
lassen sich die angemerkten Desiderate in dem noch ausstehenden zweiten Bande
berücksichtigen. Die Benutzung des gehaltvollen Werkes würde dadurch gewiß sehr
erleichtert.
Freiburg im Breisgau Karl
Kroeschell