Pense, Till, Das spanische Schwurgericht. Die Jury im Spannungsfeld von Rechtsstaat und Demokratie (= Schriften der deutsch-spanischen Juristenvereinigung 16). Lang, Frankfurt am Main 2006. XXII, 214, XXIII-XLIII S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Spanien führte durch Gesetz vom 22. 5. 1995 die klassische Form des Schwurgerichts wieder ein; es besteht aus einem Berufsrichter und acht Laienrichtern (Jury) und ist u. a. zuständig bei Mord und Totschlag sowie bei Straftaten im Amt und gegen die Freiheit und Sicherung sowie bei Brandstiftungsdelikten (S. 158ff.). Die Jury ist im Rahmen der Schuldfrage auf die Beantwortung des historischen Tatfrage und auf einen Ausspruch über die Schuld oder die Unschuld des Angeklagten beschränkt. Das Gesetz von 1995 ist für Pense Anlass, der Entwicklung des spanischen Schwurgerichts von 1808 an nachzugehen. Nach einem Überblick über die Begriffsgeschichte und die spanische Verfassungsgeschichte behandelt Pense zunächst die Verfassungen von Bayonne (1808) und von Cádiz (1812), die beide die Einführung von Schwurgerichten noch nicht anordneten, wenn auch nicht ausschlossen. Mit dem Pressegesetz vom 22. 10. 1820 erhielt Spanien für drei Jahre erstmals ein Schwurgerichtsverfahren, das ausschließlich auf Pressedelikte Anwendung fand. Die Cortes setzten 1837 das Pressegesetz von 1822 erneut in Kraft; es galt bis 1845 (Wiederbelebung der Schwurgerichte für jeweils kurze Zeit 1852 und 1864). Die Literatur verhielt sich gegenüber den Schwurgerichten überwiegend ablehnend (S. 67ff.; Escriche; Pacheco; Juristenkongress 1863). Spanien erhielt zwischen 1872 und 1874 und dann für die Zeit von 1888 bis 1923 erneut Schwurgerichte mit erstmals sehr breiten Zuständigkeiten. Während der zweiten Republik 1931 wiederhergestellt waren die Schwurgerichte im Bürgerkrieg ein gefügiges Instrument im Kampf gegen den politischen Gegner. Unter der Militärdiktatur Francos blieben die Schwurgerichte gänzlich abgeschafft. Nach der heutigen Verfassung hat die Laienbeteiligung – wenn auch nicht zwingend in Form von Schwurgerichten – an der Strafgerichtsbarkeit Verfassungsrang.

 

Das spanische Schwurgericht des 19. Jahrhunderts steht zwischen der englischen Jury und dem in der Revolution entstandenen französischen Schwurgerichtsmodell, worauf Pense jedoch rechtsvergleichend detailliert nicht näher eingeht. Dagegen ist Pense die Einbettung der Geschichte des spanischen Schwurgerichts in die allgemeine Politik- und Strafrechtsgeschichte Spaniens im wesentlichen gelungen. Auch die Praxis der Jury ist berücksichtigt (aufschlussreich S. 104ff. für die Zeit um 1900). Pense bringt alle Zitate nur in deutscher Übersetzung, leider nicht gleichzeitig insbesondere die Gesetzeszitate auch in spanischer Originalfassung. Das Werk ermöglicht Vergleiche mit der Entwicklung in Deutschland, das – von den französischen Satellitenstaaten des Rheinbundes und den französischrechtlichen Gebieten abgesehen – erstmals im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49 Schwurgerichte erhielt, die 1924 durch die Lex Emminger beseitigt wurden (hierzu W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, I Bd. 4, Berlin 1999, S. 563ff.). Gleichzeitig bildet es wie die Monografien von J. A. Alejandre (1981) und von C. Gleadow (1984) über die spanische Jury einen weiteren Beitrag zu der im wesentlichen vom französischen Recht bestimmten strafprozessualen europäischen Institutionengeschichte des 19. Jahrhunderts, über die noch immer keine rechtsvergleichende Gesamtdarstellung vorliegt.

 

Kiel

Werner Schubert