Papsonová, Mária, Das Magdeburger Recht und das Silleiner Rechtsbuch. Wörterbuch zur
deutschsprachigen Vorlage des Landrechts (1378) und zu ihrer Übersetzung (1473)
(= Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft 84).
Lang, Frankfurt am Main 2003. 767 S. Besprochen von Inge Bily.
Das Silleiner Rechtsbuch
gehört zu den ältesten auf dem Gebiet der heutigen Slowakei überlieferten
Stadtbüchern und stellt das bedeutendste Sprachdenkmal der Slowakei dar. Mit
einem umfangreichen Wörterbuch der Rechtstermini zur deutschsprachigen Vorlage
des Landrechts (1378) und zu ihrer Übersetzung (1473) des Silleiner
Rechtsbuches legt Mária Papsonová das Ergebnis jahrelanger Beschäftigung mit
diesen grundlegenden Quellentexten vor.
An Inhaltsverzeichnis (S.
5-6) und Vorbemerkung (S. 7-9) schließt sich der Dank der Autorin an eine große
Zahl von Kooperationspartnern an (S. 11-12). Es folgen 11 Kapitel, u. a. zur
deutschen Besiedlung auf dem Gebiet der heutigen Slowakei, einschließlich der
Rezeption des deutschen Rechts (Kapitel 1, S. 15-20), zur soziolinguistischen
Lage im spätmittelalterlichen Sillein (Kapitel 2, S. 21-28) sowie zum Stand der
Forschung (Kapitel 3, S. 29-36). Anschließend werden in Kapitel 4 (S. 37-42)
Herkunft und Entstehung der deutschsprachigen Rechtssammlung im Silleiner
Rechtsbuch untersucht, in Kapitel 5 (S. 43-52) die Sprache. Dabei stehen der
kommunikative Wert der Handschrift und ihrer Edition (5.1, S. 43-46) sowie eine
graphematische und lexikalische Charakteristik der Handschrift (5.2, S. 46-52)
im Mittelpunkt. Die Textanalyse Papsonovás bleibt nicht beim einzelnen Wort und
seiner Struktur stehen, sondern bezieht ebenso die Satzstruktur in den
Vergleich ein, s. S. 47. Auch weist die Autorin immer wieder auf Textstellen
hin, die für den Übersetzer problematisch sind, z. B. Paar- oder
Zwillingsformeln, aber auch Homographe, die sich lediglich im Artikel
unterscheiden, wie z. B. der erbe, das erbe. Homophonie bei unterschiedlicher Schreibung (rad, rat) oder das Nebeneinander von
präfigierten und nichtpräfigierten Wortformen (gerade, rade für gerade,
daneben auch rat für gerade) sind nur einige der
Schwierigkeiten, mit denen sich der Übersetzer konfrontiert sah. Das Fehlen von
Entsprechungen für bestimmte Termini in der Nehmersprache und ein daraus
resultierendes Schwanken bei der adäquaten Wiedergabe der Termini wird immer
wieder am Material sichtbar gemacht. So stellt Papsonová im Rahmen der
Textanalyse für lehen (S. 455f.) folgende Entsprechungen fest: auf ir
lehe(n) – na geho zakladych, lehen – prawo swietske, die lehen – poruczniczy,
lehen – zalozne, lehen – hnute zbozy, lehen – przychodne, tedy przystawne zbozy;
und für lehenrecht (S.
457): czu lehenrecht – obecnym sudem, behelt lehenrecht – obdrzy prawo
swietske, von lehnenrecht – od prawa swietskeho.
Kapitel 6 (S. 53-71)
beleuchtet die rechtshistorischen und soziolinguistischen Voraussetzungen für
die Entstehung der Übersetzung. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass zwischen
der Anfertigung der deutschsprachigen Vorlage des Landrechts im Silleiner
Rechtsbuch und dem Übersetzungsversuch fast hundert Jahre liegen, in denen die
Grundsprache selbstverständlich eine Weiterentwicklung durchgemacht hat.
Thesenhaft sollen hier die
Hauptprobleme, die Papsonová beim Vergleich von Vorlage und Übersetzung
herausarbeitet, zusammengefasst werden:
1. Uneinheitliche
Schreibungen der Vorlage sind eine große Fehlerquelle für die Übersetzung.
2. Nicht zu unterschätzen sind
die Unterschiede von Gebersprache und Nehmersprache hinsichtlich ihrer Struktur
und Wortbildung. Dies zeigt sich u. a. beim Umgang mit getrennt geschriebenen
deutschen Komposita, deren Teile nicht selten als selbständige Wörter aufgefasst
und übersetzt wurden.
3. Neben der Verwechslung
der Bedeutungen von in ihrem Schriftbild ähnlichen Wörtern, z. B. mark –
markt; schaf – schöffe; zol – sole, sol, kommt es auch zur
Verwechslung der Bedeutungen von Homonymen (gunst als Präteritum zu ginnen
,anfangen’ – gunst ,Wohlwollen’) und Homographen (z. B. bestaten
,heiraten’ – bestatten ,begraben’), weitere Beispiele s. S. 66.
4. Sinnverschiebungen
ergeben sich aus Lehnübersetzungen, wenn sich die Bedeutung des Ganzen nicht
mehr eindeutig aus der Verbindung der Teile ergibt, wie u. a. bei herschild,
kampfwunde, wergeld, wicbilde, weitere Beispiele s. S. 66.
5. Bei Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der Übertragung
greifen die Übersetzer teilweise zu anderen Begriffen.
6. Fehler und Fehldeutungen
resultieren u. a. auch aus den Unterschieden zwischen der gemeinsprachlichen
und der rechtssprachlichen Verwendung des Wortschatzes.
7. Ein Teil der
Übersetzungsfehler lässt den Schluss zu, dass die Übersetzer oft nur die
Bedeutung eines Wortes in der Alltagssprache kennen, nicht aber seine
spezifische rechtliche Begrifflichkeit und (v. a. die phraseologische)
Verwendung (S. 68) – eine Erfahrung, die ein Übersetzer zu jeder Zeit und immer
dann macht, wenn das Textverständnis nur z. T. oder gar nicht gegeben ist.
8. Ein besonderes
Übersetzungsproblem stellen die für die Sprache des mittelalterlichen deutschen
Rechts charakteristischen festen Wortverbindungen und Phraseologismen mit ihrer
reichen Metaphorik dar, vgl. die Beispiele S. 70.
Neben der geschilderten
Vielfalt bei der Übersetzung – vgl. z. B. die Entsprechungen für lehen
und lehenrecht (s. o.) –, begegnen aber auch Beispiele für wortwörtliche
Übertragungen, die immer wiederkehren, so z. B. für selb dritt(e) (sám třetí), selb siebend(e)
(sám sedmý), selb dreizehent (sám třinást), vgl. S. 70. Ähnlich verhält es sich beim
Wortpaar jar und tag und seiner
Entsprechung rok a den, vgl. S. 70.
Papsonová wählt treffende Beispiele aus und verdeutlicht das Ringen der
spätmittelalterlichen Translatoren um adäquate Begriffe, zeigt aber auch die
Schwierigkeiten der damaligen Zielsprache, die Gegebenheiten des deutschen
Rechts zu erfassen. Der Hinweis auf Arbeiten zu Böhmen und Mähren, aber auch
auf in Deutschland verfasste lateinische Urkunden des Hochmittelalters
verdeutlicht einmal mehr, dass es sich dabei um ein allgemeines Problem
handelt.
Kapitel 7 (S. 73-97)
bereitet den Leser mit Ausführungen zur Anlage des Wörterbuchs auf seine
Benutzung vor. Auf die Vorbemerkung folgen Ausführungen zur Handhabung der
verwendeten Editionen (7.1, S. 73-87), zur Auswahl des lexikalischen Materials
(7.2, S. 87-89) und zum Aufbau der Wörterbuchartikel (7.3, S. 89-97).
Hauptteil der Arbeit und
wichtigstes Ergebnis bildet als Kapitel 8 das Wörterbuch (S. 99-748), das mehr
als 1200 alphabetisch geordnete Stichwörter enthält. Es soll u. a. Rückschlüsse
auf die lange diskutierte, immer noch nicht befriedigend beantwortete Frage
ermöglichen, ob es in der einheimischen Sprache des ausgehenden 15. Jahrhunderts
einen (mit dem Deutschen vergleichbaren) stabilisierten Rechtswortschatz gab
(vgl. 3.2). Daher wurden sämtliche Wörter der deutschsprachigen Vorlage
aufgenommen, die als Rechtswörter im engeren und im weiteren Sinne anzusehen
sind, vgl. S. 88. Mitunter wurden jedoch auch die einzig bezeugten, regional
bedingten Formen zum Lemma erhoben, z. B. bei wicbilde (s. S. 92-93). Zu
ausschließlich fehlerhaft belegten Wörtern wurde eine frühneuhochdeutsche
Ansetzungsform gebildet, d. h. Papsonová setzt, entsprechend der bezeugten
Schreibung, ein bestimmtes Stichwort an, verweist aber von diesem auf die
eigentlich zu erwartende frühneuhochdeutsche Form, unter der dann Bedeutungsangabe
und Belegstellen folgen.
Der Aufbau eines
Stichwortartikels ist wie folgt: nach dem Stichwort steht bei Substantiven der
Artikel, der gleichzeitig Genusangabe ist. Bei fehlender Eindeutigkeit im
Belegmaterial werden Lexika, Glossare und Paralleltexte konsultiert. Es folgen
Angaben zur Bedeutung. Im anschließenden Block steht kursiv das jeweilige Wort
(wenn nötig in präpositionaler Fügung) mit Kontext. Auf den Belegstellenblock
folgen die Paarformeln.
Ein Teil des Wortschatzes
verdankt seine Aufnahme ins Wörterbuch der Tatsache, dass die Wörter
„offensichtlich nicht bzw. falsch verstanden und übersetzt wurden, oder dass
deren Bedeutung mit … einer in ihrer graphischen Gestalt ähnlichen Form
verwechselt wurde, was nicht selten Sinnverschiebungen nicht nur innerhalb der
Sätze, sondern auch der ganzen Artikel zur Folge hat“ (S. 89). Die fehlerhafte
Übersetzung ist nach Aussage der Autorin (S. 89) in vielen Fällen zweifelsohne
aus Textverderbnissen und Fehlern der deutschsprachigen Vorlage begründet und
ist bei allen Gruppen der untersuchten Wörter nachzuweisen. Aus den
lexikalischen Varianten im Material gewinnt Papsonová „Rückschlüsse auf die
Adäquatheit der Übertragung sowie auf die Übersetzungsstabilität einzelner
Wörter“, und aus den graphischen Varianten kann sie Schlüsse auf das Verhältnis
„von tschechischen und slowakischen Schreibungen“ ziehen (S. 73).
Den Abschluss des
umfangreichen Bandes bilden das Quellenverzeichnis (9, S. 749-750), das
Verzeichnis der benutzten Wörterbücher und Glossare (10, S. 751-753) und das
umfangreiche Literaturverzeichnis (11, S. 754-765). Angefügt sind noch
Siglenverzeichnis (S. 766) und Abkürzungsverzeichnis (S. 767).
Das Wörterbuch Papsonovás
reiht sich in die einschlägige Fachliteratur zum Magdeburger Recht ein. Anhand
eines reichen Belegmaterials wird die Verwendung der behandelten Wörter in der Ausgangssprache
und in der Übersetzung vorgestellt. Ausgehend vom Stand der historischen und
linguistischen Forschung, unter kritischer Wertung bisheriger Editionen der
verglichenen Rechtstexte, vor allem aber auf der Grundlage eigener Erfahrungen
bei der vergleichenden Textanalyse, spricht Papsonová eine Reihe von
Schwierigkeiten an, die sich zwangsläufig aus dem Vergleich von Textteilen ergeben und entscheidet
sich folglich für den Vergleich ganzer Texte. Bei der semantischen Erschließung
des lexikalischen Materials der deutschsprachigen Handschrift des Silleiner
Rechtsbuches mussten auch weitere Quellen aus dem Magdeburger Rechtskreis
herangezogen und berücksichtigt werden. Damit wird die vorliegende Arbeit zum
wichtigen Hilfsmittel für Sprach-, Rechts- und Geschichtswissenschaftler, die
mit der Untersuchung von Rechtstexten befasst sind.
Als methodische
Schlussfolgerungen für vergleichbare sprachwissenschaftliche Untersuchungen
können formuliert werden:
1. Grundlage einer
linguistischen Auswertung sollte eine verlässliche Transkription/Edition eines
Textes sein, der eine gründliche Sichtung bisheriger Arbeiten zur jeweiligen
Quelle/Quellengattung/Quellengruppe vorangehen muss.
2. Besondere Sorgfalt
erfordert die Auswahl der zu vergleichenden Texte und evtl. einzubeziehender
zusätzlicher Vergleichstexte.
3. Um ein annähernd genaues
Bild vom Zustand der Rechtssprache zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten
Ort gewinnen zu können, sollte beim Textvergleich der Gesamtbetrachtung des
Textes unbedingt der Vorzug vor der Arbeit mit Textteilen gegeben werden, denn
nur so ist garantiert, dass die Besonderheiten zwischen einer
Wort-für-Wort-Übersetzung und einer regestartigen Wiedergabe des Textes
berücksichtigt werden können und damit Besonderheiten terminologischer
Entsprechungen, unterschiedliche Umschreibung der Entlehnung oder
Lehnübersetzung wie auch die Übergänge zwischen den genannten Stufen erkannt
und beurteilt werden können.
Mária Papsonová ist mit
dieser Arbeit ein beachtliches Ergebnis gelungen. Die gewonnenen Daten bilden
eine sichere Basis für weitere Auswertungen, auf die man gespannt sein darf.
Leipzig Inge
Bily