Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter, hg. v. Schneidmüller, Bernd/Weinfurter, Stefan (= Vorträge und Forschungen 64). Thorbecke, Ostfildern 2006. 444 S., Ill. Besprochen von Walter Pauly.
Der anzuzeigende Tagungsband fußt auf der Reichenautagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte im Herbst 2003, die mit dem titelgebenden Stichwort „Ordnungskonfigurationen“ neben Ordnungskonzepten „auch Wege, Modelle und Formen der realen Umsetzung bestimmter Werte- und Ordnungsvorstellungen“ einschließlich der „Wechselbeziehung von gedachter und etablierter Ordnung“ thematisierte, wie die Herausgeber zur „Erprobung eines Forschungsdesigns“ einleitend herausstellen (S. 8). In seiner Zusammenfassung betont Martin Kintzinger, die „für die Referate und Diskussionen so folgenreiche Begriffsverwirrung war beabsichtigt!“ (S. 418). Dazwischen liegen elf luzide Artikel zu Aspekten der Umbrüche im 12. und 13. Jahrhundert, die mehr oder minder bemüht den Tagungstitel aufnehmen. Zunächst untersucht Georg Wieland in seinem Beitrag „Die Ordnung des Kosmos und die Unordnung der Welt“ unter Aufnahme sowohl des Traditionsstrangs der christlichen Schöpfungslehre als auch der griechischen Philosophie die metaphysischen, zeitgenössisch gleichwohl als wissenschaftlich begründet angesehenen Grundannahmen, die den „verschiedenen partikulären Ordnungskonfigurationen“ gedanklich vorauslagen (S. 20f.). Anschließend erweist Joachim Ehlers („Die Ordnung der Geschichte“) ausgehend von Eusebius die „providentielle Struktur“ christlicher Geschichtsvorstellung (S. 56). Ordo-Vorstellungen und ordo-Forschung bedenkt Bernhard Jussen („Ordo zwischen Ideengeschichte und Lexikometrie“) mittels lexikometrischer Probebohrungen, an deren Ende sich ordo-Denken und Mittelalter nach Art einer „Gleichung“ in Beziehung gesetzt finden (S. 256). Mit dem Wandel von Ordnungsschemata im 12. Jahrhundert beschäftigt sich Hagen Keller („Ordnungsvorstellungen, Erfahrungshorizonte und Welterfassung“), der die Karriere des Hierarchiekonzepts, auch in seiner rechtlichen Fassung, beleuchtet. Konkrete Ordnungskonfigurationen analysieren Klaus von Eickels bezogen auf die „personalen Bindungen“ Verwandtschaft, Freundschaft, Mannschaft und Ehe (S. 100) sowie Alfred Haverkamp („Bruderschaften und Gemeinden im 12. und 13. Jahrhundert“). Mit dessen Einsicht, „die jeweiligen Zustände von Bruderschaften und Gemeinden waren das Ergebnis aller maßgeblichen Faktoren im jeweiligen Umfeld“ (S. 192), wird der analytische Gehalt des Instrumentariums der Ordnungskonfiguration weitgehend ausgewaschen. Von der „komplexen Ordnungskonfiguration der Geschlechter und des Wissens“ handelt dann Christina Lutter, die vor allem auch den Einfluß „gedachter Ordnungen“ in ihrem Themenfeld betont (S. 197 und 199). Die gotische Kathedrale als eine „Ordnungskonfiguration par excellence“ zu bezeichnen, versieht Peter Kurmann nicht zuletzt deswegen mit einem Fragezeichen, weil es weder „ein aus philosophisch-theologischen Traktaten oder aus enzyklopädischen Vorgaben entwickeltes Ordnungsprinzip für die Gestaltung der Bildzyklen“ noch eine „direkte Beeinflussung der architektonischen Gestaltungskonzepte durch scholastische Denkmuster“gegeben habe (S. 302).
Besondere verfassungsgeschichtliche Aufmerksamkeit verdient das Referat von Knut Görisch („Ehre als Ordnungsfaktor. Anerkennung und Stabilisierung von Herrschaft unter Friedrich Barbarossa und Friedrich II.“), in welchem Ehre ähnlich dem Recht als ein „handlungsprägendes Normensystem“ aufgefasst wird, als Inbegriff der Rangstellung einer Person in bestimmten Lebensordnungen (S. 92 und 89). Honor, wie sie auch dem Reich und dem Herrscher zu eigen war, geht dabei nicht einfach in der Bedeutung von Recht auf (S. 61). Nach politisch zentralen Ordnungskonfigurationen im kirchlichen Bereich mit Ausstrahlungswirkung auf die Verfassungsvorstellungen der politischen Gewalten sucht Jürgen Miethke („Kirchenstruktur und Staatstheorien im Zeitalter der Scholastik“). Die Hierarchienlehre sei „nur eines der Angebote“ des ständigen Nachdenkens der Kirchenleute über Verfassungsstrukturen gewesen (S. 144). Keineswegs habe angesichts des vielstimmigen Chores der Kanonisten für das Verhältnis von kirchlicher und weltlicher Gewalt das Argument von Papst Bonifaz VIII. aus seiner Bulle Unam sanctam (1302/3) dominiert, es könne nicht zwei Hierarchien nebeneinander geben, weil ansonsten ein monströses Ungeheuer entstünde (S. 142 f.). Den wohl gewichtigsten Beitrag liefert Christoph H. F. Meyer mit über hundert Seiten „Ordnung durch Ordnen. Die Erfassung und Gestaltung des hochmittelalterlichen Kirchenrechts im Spiegel von Texten, Begriffen und Institutionen“, in welchem weniger die Ordnungsfunktion des Rechts als die Ordnung im Recht selbst Thema wird. Geschildert werden die kanonistischen Ordnungsbemühungen in der Spanne vom Decretum Gratiani (um 1145) und dem Liber Extra (1234) im Sinne eines Zuwachses an „formaler Ordnung“ (S. 408). In der Bilanz zeichnet sich bei den Rechtssammlungen ein „Dreischritt“ ab, vom Sammeln vor Gratian über Gratians Ordnen zum „recht stabilen Dekretalenschema der Compilatio Prima bzw. des Liber Extra“ (S. 409). Habe vor Gratian kaum kanonistische Literatur existiert, sei sie in Form der dicta ins Decretum Gratiana eingegangen, habe sich danach allerdings als Glosse wieder gegenüber dem Gesetzestext verselbständigt. Unabhängig von der jeweiligen Ordnungskonfiguration lohnt die Lektüre jedes einzelnen Beitrages.
Jena Walter
Pauly