Nachschlagewerk des Reichsgerichts. Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 8-Bd. 10, hg. v. Schubert, Werner/Glöckner, Hans Peter. Keip, Goldbach 2000-2002. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.
1994 bis 1999 waren die Bände 1 bis 7,2, enthaltend die Leitsätze des Reichsgerichts zu den §§ 1 bis 853 BGB, erschienen. In den folgenden drei Jahren konnte erfreulicherweise die ganze BGB-Edition mit den Bände 8, 9 und 10, für das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht, abgeschlossen und konnten in dem 10. Band außerdem als Überraschung die Leitsätze zum Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch präsentiert werden.
Damit haben Herausgeber und Verlag den der Institutionengeschichte gehörenden Schatz erheblich vergrößert. Ohne weiteres lassen sich an den bloßen Leitsätzen Konstanz und Veränderung der Institutionen bis ins Detail ablesen. Nach Festlegung eines bestimmten Schwellenjahres (etwa 1914, 1918, 1933) kann man nunmehr in einfacher Weise die Wechselwirkung zwischen sonstigen Verhältnissen und Rechtsprechung studieren. Dividiert man die Zahl der Seiten durch die der Paragraphen, so zeigt sich, dass der Allgemeine Teil (etwa 6 Seiten pro Paragraph), das Allgemeine und das Besondere Schuldrecht (etwa 8 bzw. 6 Seiten) eine ungleich größere Bedeutung hatten als das Sachen-, Familien- und Erbrecht sowie das EGBGB (jeweils 1 bis 1,5 Seiten pro Paragraph bzw. Artikel). Die Leitsätze mit den ihnen beigegebenen Nachweisen ermöglichen es, die Entscheidungen entweder in gedruckter Form, eventuell in der ebenfalls von Schubert edierten „Sammlung sämtlicher Erkenntnisse des Reichsgerichts in Zivilsachen“[1], nachzulesen oder sie in der sogenannten „Vollständigen Sammlung“, die „alle Urteile und Beschlüsse des Reichsgerichts seit Beginn seiner Tätigkeit im Oktober 1879“ enthält (beim Bundesgerichtshof und im Bundesarchiv in Potsdam) aufsuchen.
Im einzelnen zeigt das Sachenrecht beispielsweise die Durchsetzung der Sicherungsübereignung, die Behandlung der Industrialisierungsschäden mittels der §§ 903, 906 und 1004 und die Implementierung des im Wesentlichen neuen Grundstücksrechts.
Der erste der familienrechtlichen Leitsätze belehrt darüber, dass Vertragsfreiheit auf dem Gebiete des Familienrechts nicht die Regel ist. Zu § 1353 a. F.hieß es 1906: „Die Erzeugung von Kindern ... bildet aber nach dem Standpunkt des BGB nicht den obersten aus dem Wesen der Ehe abzuleitenden Zweck der Eheschließung“. Die Romane aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts erhalten ihren juristischen Hintergrund, wenn das Reichsgericht bis 1917 betonen muss: „Die Verlobte ist ihrem Verloben gegenüber als ,unbescholten’ anzusehen, wenn sie mit diesem Verlobten vor der Verlobung Geschlechtsverkehr gehabt hat“; sie hat daher Anspruch auf das „Kranzgeld“ nach § 1300 a. F.
104 Entscheidungen betreffen die Irrtumsanfechtung nach § 1333, 142 die Ehewirkungen nach § 1353, abschließend mit einem Beschluss des Großen Senats von 1943 betreffend die Ehewohnung. Unerwartet wenig Raum nimmt das gesamte Ehegüterrecht ein. Die Ehescheidung hingegen beschäftigte das Reichsgericht in großem Umfang (Seiten 266 bis 484), hinzukommen die Leitsätze zum Ehegesetz von 1938. Das Verwandtschafts- und Vormundschaftsrecht mitsamt dem Recht der ehelichen und unehelichen Kinder, §§ 1589 bis 1921, resümiert sich hingegen in 200 Seiten.
Das Reichsgericht wurde wegen der rund 450 Paragraphen des Erbrechts und wegen des Testamentsgesetz nur wenig befasst, ein Schwerpunkt ist nicht auszumachen.
Die Rechtsprechung zum Internationalen Privatrecht, zum Verhältnis des BGB zu den Landesgesetzen und zum intertemporalen Recht nahm im Durchschnitt zwei Seiten je Artikel ein; hingegen war das Verhältnis des BGB zu den Reichsgesetzen vom Gesetzgeber so detailliert geregelt, dass sich die Entscheidungsnachweise auf insgesamt vier Seiten beschränken. Bemerkenswert ist es, dass die nach der preußischen Verfassungsurkunde den Behörden untersagte Prüfung der Rechtsgültigkeit einer königlichen Verordnung das Reichsgericht 1901 nicht an einer solchen Prüfung hinderte.
„Es ist geplant, die zivilrechtliche Reihe des Reichsgerichts mit drei Bänden zur Gesetzgebung des Deutschen Reichs fortzusetzen“, heißt es in dem kleinen Vorwort zum letzten Band. Dass dieser Plan gegen mancherlei Widerstände verwirklicht werden konnte, wurde in dieser Zeitschrift schon mitgeteilt.
Berlin Hans-Peter Benöhr
[1] Sammlung sämtlicher Erkenntnisse des Reichsgerichts in Zivilsachen. Inhalt sämtlicher und Wiedergabe von unveröffentlichten Entscheidungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Band 1, Frankfurt a. M. 1992, Band 2, Goldbach 1993, bis Band 14, Goldbach 2002. Nach Erklärung des Verlages ist „mit dem Jahrgang 1914 ... diese Edition abgeschlossen“.