Müller, Roger, Verwaltungsrecht als Wissenschaft. Fritz Fleiner 1867-1937 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 198). Klostermann, Frankfurt am Main 2006. VIII, 465 S. Besprochen  von Franz-Ludwig Knemeyer.

 

Es gibt wohl kein wissenschaftliches Werk, an dem die Emanzipation des deutschen Verwaltungsrechts besser exemplifiziert werden könne als an Fleiners „Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts“ und deren zeitgenössischer Befassung. 1911 erstmals erschienen – auf dem Höhepunkt des Bestrebens um eine Verwissenschaftlichung des deutschen Verwaltungsrechts und die damit einhergehende Autonomisierung einer selbständigen Disziplin im juristischen Fächerkanon der Juristischen Fakultät – markiert die 1928 erschienene achte und letzte Auflage des als Lehrbuch konzipierten deutschen Verwaltungsrechts den Schlußstein des Wirkens Fritz Fleiners für das deutsche Verwaltungsrecht. Es ist der wissenschaftliche Ansatz, das deutsche Verwaltungsrecht auf seine „juristischen Grundlinien zurückzuführen“, der auch andere verstärkt dazu berufen hat, die verschiedenen Bereiche des Verwaltungsrechts dogmatisch zu durchdringen. Zudem –  so stellt Walter Jellinek 1928 zu Recht fest: „Daß das Verwaltungsrecht jetzt zu den beliebteren Lehrgegenständen gehört, ist zum nicht geringen Teil ihm (Fleiner) zuzuschreiben.“

 

Einer rechtshistorischen Dissertation entsprechend – Zürich 2005 – hat Roger Müller die groß angelegte Lebens- und Werkstudie begonnen mit einer Biographie Fritz Fleiners, in der er unter dem Titel „Wissenschaft als Beruf“ Herkunft und Bildung, den akademischen Aufstieg, die ,Lehrjahre in Deutschland’ und die Zeit „im Zenit seines akademischen Ruhmes (1914-1937)“ aufzeichnet.

 

Im zweiten Kapitel beleuchtet Roger Müller dann die Verwaltungsrechtswissenschaft als Disziplin. Ausgehend vom Selbstverständnis einer neuen Rechtsdisziplin befaßt er sich schwerpunktmäßig mit der Emanzipation des Verwaltungsrechts vom Privatrecht. Es ist ihm ein Anliegen, die Ausbildung des selbständigen Verwaltungsrechts als historischen Umbildungsprozesses darzustellen.

 

Im dritten Kapitel unter dem Titel Wissenschaft als Literatur steht der Einfluß Fleiners auf die umfangreiche verselbständigte Verwaltungsrechtsliteratur im Mittelpunkt. Müller befaßt sich mit der Resonanz des verwaltungsrechtlich gar nicht so umfangreichen Werk Fleiners auf die Ausbildung einer selbständigen Verwaltungsrechtsliteraturgattung und zeigt, daß die Bedeutung namentlich der Institutionen weit überproportional zum Umfang des Werkes ausgefallen ist. Der Grund lag im schon 1911 im Vorwort zur ersten Auflage formulierten Ziel einer Rückführung der verwaltungsrechtlichen Bereiche auf ihre juristischen Grundlinien.

 

Die besondere Bedeutung dieser herausragenden Dissertation kommt auch und gerade im vierten und fünften Kapitel zum Ausdruck, in dem Müller die Emanzipation des deutschen Verwaltungsrechts unter dem Aspekt der Methodenlehre beleuchtet. Wissenschaft als Methode ist die Überschrift des vierten Kapitels. Unter dem Kennzeichen Wissenschaft als Transfer behandelt der Autor schließlich die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts als akademischen Wissenschaftstranfer namentlich in Richtung Deutschland/Schweiz.

 

So schließt sich der Kreis in Zürich, dem abschließenden Wirkungsort Fleiners und der Entstehung der hier rezensierten Dissertation. Wie das Werk Fleiners ohne seine langjährige akademische Tätigkeit in Deutschland nicht entstanden und nicht zu verstehen wäre, ist auch die Züricher Dissertation von Roger Müller maßgeblich gekennzeichnet durch seinen Aufenthalt in Frankfurt am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und – ohne das Verdienst seines Doktorvaters Alfred Kölz und seiner Doktormutter Marie-Theres Fögen zu schmälern –, ist doch die Inspiration von Michael Stolleis unverkennbar.

 

Wer in der Folgezeit über Verwaltungsrecht als Wissenschaft nachdenkt, kommt nicht nur an Fritz Fleiner sondern auch an der außerordentlichen Arbeit von Roger Müller nicht vorbei.

 

Würzburg                                                                                           Franz-Ludwig Knemeyer