Meid, Volker, Metzler Chronik Literatur. Werke deutschsprachiger
Autoren. 3. Auflage. Metzler, Stuttgart 2006. VI, 792 S. Besprochen von Gerhard
Köbler.
Die deutsche Sprache entwickelt sich aus dem Germanischen in einem längeren Vorgang zwischen Altertum und Mittelalter. Ihn genau zu fassen ist deswegen schwierig, weil die meisten Schriftzeugnisse zwischen Christi Geburt und dem Herrschaftsantritt der fränkischen Karolinger in lateinischer Sprache gehalten sind. Unabhängig davon gibt es aber jedenfalls bald nach 750 Werke deutschsprachiger Autoren und dient ein repräsentativer Querschnitt durch sie der begrüßenswerten kulturellen Selbstvergewisserung der deutschsprachig orientierten Menschen.
1993 hat ihn der als freier wissenschaftlicher Autor tätige Verfasser erstmals vorgelegt. Zum Ziel hat er sich die Beschreibung von Werken der deutschen bzw. deutschsprachigen Literatur von der Zeit Karls des Großen bis zum Jahr 1980 bzw. 1995 bzw. (in der dritten Auflage) 2005 in strikter Chronologie gesetzt. Die Chronologie orientiert sich dabei grundsätzlich am Jahr der ersten Publikation.
Bestimmend für die Aufnahme war dabei zunächst der ästethische Rang der Texte, die nicht notwendigerweise in der deutschen Sprache abgefasst sein mussten, sondern (selbstverständlich) durchaus auch lateinisch gehalten sein konnten. Losgelöst davon wurden auch in anderer Weise literarhistorisch bedeutsame Leistungen einbezogen. Zudem versuchte der Autor trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten auch, den Bereich der nichtfiktiven Literatur wenigstens an Hand ausgewählter Beispiele zu dokumentieren.
Die einzelnen Artikel wollen Informationen über Entstehung, Form, Inhalt, literaturhistorischen Kontext, Deutungsmöglichkeiten und Wirkungsgeschichte bieten. Darüber hinaus wollen sie zum Lesen und Weiterlesen anregen. Insgesamt will der Verfasser dem Leser ein zeitnahes vielfältiges Abbild der Literatur gewordenen Kultur im deutschen Sprachraum vermitteln.
Am Beginn stehen die nach dem Verfasser spätestens zu Anfang des 8. Jahrhunderts entstandenen Merseburger Zaubersprüche. Die dritte, um 36 Werkcharakteristiken erweiterte und im übrigen korrigierte, aktualisierte und ergänzte Auflage endet mit Ingo Schulzes Roman Neue Leben. In diesen zeitlichen Rahmen sind etwa 1500 Werke - der wie es auf dem Umschlag wohl ungenau heißt deutschsprachigen Literatur bzw. – deutschsprachiger Autoren (z. B. um 835 Einhard Vita Karoli Magni, 1581 Mathias Holtzwart, Emblematum Tyrocinia) aufgenommen.
Dass in diesem Literaturkanon das Recht nur einen bescheidenen Platz einnehmen kann, vermag kaum zu überraschen. Immerhin sind etwa Eike von Repgows Sachsenspiegel, Johannes Rothes Ritterspiegel, die Reformation Kaiser Siegmunds, Heinrich Institoris’/Jakob Sprengers Malleus maleficarum, Die zwölf Artikel der Bauernschaft, Friedrich Spees Cautio Criminalis, Andreas Gryphius’ Großmüttiger Rechts-Gelehrter oder Sterbender Aemilius Paulus Papinianus, Christian Thomasius’ De crimine magiae, Christian Wolffs Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, Justus Mösers Patriotische Phantasien, Felix Dahns Ein Kampf um Rom oder Franz Kafkas Das Urteil und Der Prozess aufgenommen. Im übrigen lehrt das gelungene, durch allgemeine Literaturhinweise und ein Personen- und Werkregister am Ende abgerundete, leider einzelne Hinweise am Ende des einzelnen Artikels entbehrende Werk, dass zwar Rechtsfragen aus der Feder von Nichtjuristen und Unjuristisches aus rechtsgelehrter Hand kulturelle Anerkennung finden können, dass aber Das Judenauto oder Tarzan am Prenzlauer Berg stets kulturell allgemein interessanter sein werden als ein eher anonymes Bürgerliches Gesetzbuch oder Grundgesetz.
Innsbruck Gerhard Köbler