Lodemann, Catharina, Die Geschichte des französischen acte de gouvernement (= Rechtshistorische Reihe 310). Lang, Frankfurt am Main 2005. 233 S. Besprochen von Bernd-Rüdiger Kern.
In ihrer von Hans Hattenhauer betreuten Kieler Dissertation beschäftigt sich Frau Lodemann insoweit mit der Geschichte der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, als sie die Entwicklung der Fallgruppe aufzeichnet, die gerade nicht unter die Verwaltungsgerichtsbarkeit fällt. Nach den schlechten Erfahrungen mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der vorrevolutionären Zeit wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich nach der Revolution dem Conseil d’État übertragen. Er blieb für lange Zeit die einzige zuständige Instanz. Schon sehr früh (1822) schränkte er allerdings seine Zuständigkeit selbst ein, indem er Verwaltungsstreitigkeiten, an denen Familienmitglieder der früheren Herrscherdynastien beteiligt waren, nicht zur Entscheidung annahm. Daraus entwickelte sich die Spruchpraxis des acte de gouvernement.
Die Arbeit untersucht dieses Institut der Selbstbeschränkung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von den Anfängen bis in die heutige Zeit, das heißt bis in die letzten Jahre des letzten Jahrhunderts. Äußeres Gliederungsschema sind die Verfassungen Frankreichs. Lediglich für die Zeit von 1875 bis 1940 wird noch einmal eine Zäsur beim Ersten Weltkrieg gezogen. Innerhalb der jeweiligen Kapitel werden nacheinander die Rechtsprechung und die Rechtslehre vorgestellt. Eine Ausnahme macht die Verfasserin für Vichy-Frankreich. Hier wird zur Rechtslehre lediglich ausgeführt, daß sie unter der Verfassung von 1940 keine neuen Theorien hervorgebracht habe. Das ist eine Aussage, die für die sonstige Darstellung der Rechtslehre auch weithin zutreffend ist. So erstaunt es, daß die Autorin vom üblichen Vorgehen abweicht. Stimmen aus dem nationalsozialistischen Deutschland werden zumal auch vorgestellt, was die Frage aufwirft, warum dies für Vichy-Frankreich nicht möglich war.
Die Rechtsprechung hat im Laufe der Zeit den Anwendungsbereich des acte de gouvernement tendenziell eingeschränkt. In letzter Zeit kam eine gewisse Entspannung dadurch zustande, daß auch in Frankreich die Verfassungsgerichtsbarkeit eingeführt wurde. Denn letztlich sind die Fälle, die als acte de gouvernement angesehen werden können, Streitigkeiten, die nach deutschem Verständnis vor das Verfassungsgericht gehören. Eigentlich handelt es sich um eine Zuständigkeitsregel, wobei es in Frankreich über ein Jahrhundert lang die fragliche Zuständigkeit nicht gab. Das haben auch die französische und die ausländische Literatur so gesehen, die im wesentlichen nur der Rechtsprechung folgten. Dabei findet sich in der Literatur vereinzelt durchaus eine vollständige Ablehnung des Rechtsinstituts des acte de gouvernement. Wo sie akzeptiert wurde, bestand über die Rechtsfolge keine Einigkeit. Es gab Stimmen im französischen Schrifttum, die etwa der Ansicht waren, daß die actes de gouvernement, die nicht mehr der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterfielen, in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören. Überwiegend wurden sie allerdings für nicht justitiabel gehalten.
Insgesamt handelt es sich um ein durchaus interessantes Thema, das leider in der Ausführung hinter den Erwartungen zurückbleibt. Alles in allem fällt die Darstellung sehr narrativ aus. Dogmatische Erörterungen fehlen weithin; die Zusammenfassung am Schluß der Arbeit ist sehr knapp. Kritisch anzumerken ist auch sonst noch einiges. Zum Beispiel wird die Rechtsprechung der Jahre zwischen 1814 und 1830 und 1830 bis 1848 nicht getrennt, sondern in dem ersten zeitlichen Abschnitt zusammenfassend dargestellt. Ein Grund dafür ist nicht ersichtlich. Entwicklungen werden so verschleiert.
Weiterhin macht die Verfasserin an keiner Stelle deutlich, wie sie die Auswahl der Prozesse getroffen hat. Hat sie alle einschlägigen Prozesse berücksichtigt oder nur einige besonders wichtige herausgegriffen? Dafür spricht, daß zum Beispiel die Entscheidung des Zivilgerichts vom 16. Juli 1835 über den Fall Rossini gegen die Zivilliste fehlt (vgl. dazu A. Azevedo, G. Rossini, Sa vie et ses oeuvres, 1865, S. 201-203). Auch wäre es für den Leser wichtig gewesen zu erfahren, ob die Arbeit – wie es scheint – bloß auf den veröffentlichten Urteilen beruht und ob weitere Akten tatsächlich nicht vorhanden sind.
Ärgerlich sind auch die zahlreich vorkommenden Fehler, die nicht immer nur Satzfehler sind. Das beginnt mit falschen Jahreszahlen, geht weiter mit grammatikalischen Fehlern und endet bei nicht hochgestellten Fußnoten im Text. Das erschwert die Lektüre eines sowieso etwas langatmigen Buches noch unnötig. Hier hätte eine gründliche Schlußredaktion doch viel verbessern können.
Negativ fällt auch auf, daß die Übersetzungen ins Deutsche häufig mehr knappe Zusammenfassungen als wirkliche Übersetzungen sind. Entweder gehe ich als Autor davon aus, daß der Leser die fremde Sprache beherrscht, oder ich übersetze den Text vollständig. Die Mischlösung ist nicht angebracht.
Leipzig Bernd-Rüdiger Kern