Kollektive
Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400-1850), hg. v. Schmidt,
Georg/Gelderen, Martin van/Snigula, Christopher (= Jenaer Beiträge zur
Geschichte 8). Lang, Frankfurt am Main 2006. X, 558 S., Ill. Besprochen von
Adolf Laufs.
Der stattliche
Band, Ertrag einer Jenaer Tagung im Jahre 2003, spiegelt mit seinen
einunddreißig Beiträgen die Vielfalt kollektiver, das heißt mit anderen
geteilter Freiheitsideen im frühneuzeitlichen Europa. Freiheit – ein
umstrittener und mehrdeutiger Begriff – emanzipiert und legitimiert, integriert
und differenziert, emotionalisiert und mobilisiert und schafft nicht zuletzt
Identität. Unter kollektiven Freiheitsvorstellungen begreifen die Herausgeber
im Gegensatz zur Idee der Freiheit des Individuums „sowohl die auf eine
Großgruppe bezogenen, als auch die von ihr geteilten Ideen … Sie riefen
typischerweise zur Bewahrung einer als alt und spezifisch gedachten Freiheit
auf und konnten bestehende Verhältnisse ebenso wie Veränderungswillen legitimieren“.
Trotz ihrer Heterogenität verstehen sich die Aufsätze durchweg als eine erste
Bestandsaufnahme kollektiver Freiheitsvorstellungen in europaweitem Rahmen,
wobei sie unterschiedlich große Regionen und Länder beleuchten. Die
vermittelten Eindrücke und Einsichten sind so bunt wie das ausgewertete
Quellenmaterial: wissenschaftliche Abhandlungen und politische Denkschriften,
Flugschriften und Flugblätter, Zeitungen und Lieder, belletristische Literatur
und darstellende Kunst.
Kollektive
Freiheitsvorstellungen „scheinen in allen europäischen Gesellschaften eine
wichtige Rolle gespielt zu haben“: als herausragende Themen des politischen
Diskurses, als „tendenziell sozio-kulturell homogenisierendes Konzept“, als
„historisch oder mythisch fundiertes Verfassungskonzept“ und nicht zuletzt „als
ein Vehikel, um eine erste Festschreibung individueller Freiheit im Sinne von
Grund- und Menschenrechten zu ermöglichen“. Die Geschichte der kollektiven lässt
sich in der Tat schwerlich von derjenigen der individuellen Freiheiten trennen.
Wie sich erweist, lassen sich auch die kollektiven Freiheitsideen nicht
eindeutig konturieren oder zusammenfassen, zu vielfältig und verschiedenartig
ist der erörterte Stoff. So ergab sich ein locker gefügter Band mit vielen
weiterführenden partikulären Einblicken und nur eingeschränkten
Verallgemeinerungen.
Die Herausgeber
haben ihren Band in vier Kapitel eingeteilt, deren erstes den Titel trägt: „Die
Legitimierung kollektiver Freiheitsentwürfe“. Der Eröffnungsaufsatz Helmuth G.
Walthers über den juristischen Freiheitsdiskurs im späten Mittelalter bewährt
das Thema des Sammelwerkes vortrefflich. Im Zeichen der libertas verteidigten die italienischen Kommunen ihre Autonomie gegenüber
den Herrschaftsansprüchen der römisch-deutschen Kaiser, ein Ringen, das auch
Kanonisten wie Legisten in seinen Bann zog. Dazu zeigt der Autor die konträren
Vorstellungen des Bartolus und des Baldus über die Rolle des populus für die Legitimation von
Herrschaft. Klaus Dicke, um wenigstens einen zweiten Autor des ersten Teils
hervorzuheben, beleuchtet die kollektiven Freiheiten im Völkerrecht: Der
frühneuzeitliche Völkerrechtsdiskurs habe kollektive Freiheitsvorstellung
artikuliert und rechtlich zu verarbeiten gesucht, die insgesamt das Thema
konstituierten, wie Herrschaft und Autonomie weltweit in „einer Pluralität von
Staaten, die societates perfectae zu
sein beanspruchen, auf einen Nenner zu bringen seien“.
Im zweiten Teil
geht es um (proto)nationale Freiheitsdiskurse und deren Einflüsse auf die
normative Ausgestaltung der Verfassung sowie das Verhältnis von Freiheit (libertas) und Freiheiten (privilegia), auch die abgeleiteten
individuellen Freiheitsvermutungen. Im Beitrag zur deutschen Freiheit erörtert
Georg Schmidt eine Leitvorstellung der politischen Kultur des Alten Reiches,
die er im europäischen Horizont angemessen und positiv würdigt: „Die
Vorstellung einer gemeinsamen deutschen Freiheit hat … mitgeholfen, den
Reichs-Staat über ständische, regionale und konfessionelle Grenzen hinweg zu
einen“, außerdem diente sie als publizistische Waffe gegen angebliche oder
tatsächliche Reichsfeinde. Die deutschen Verhältnisse beherrschen das Bild
keineswegs; es treten in weiteren Aufsätzen in den Blick die Eidgenossenschaft,
Schweden, Polen, Polen-Litauen, Böhmen und Mähren, die kroatische Militärgrenze
mit ihren Kommunitäten, Ungarn, Slowenien, Dänemark und Spanien mit ihren
Eigenheiten.
In den sechs
Beiträgen des dritten Kapitels kommen „kollektive Freiheit und individuelle
Religionsfreiheit“ zur Sprache. Die Glaubensfreiheit wirkte gelegentlich als
Initiator, meist indes als wichtigste Begleiterin kollektiver
Freiheitsvorstellungen, und hat die weiterreichenden Konzepte der
Wissenschafts- , Rede- und Pressefreiheit beflügelt. Nationale
Freiheitsentwürfe konnten sich freilich auch gegen bestimmte Religionsgruppen
richten, wenn diese die eigene Unabhängigkeit in Frage zu stellen drohten.
Volker Leppin erweist die Freiheit als Zentralbegriff der frühen reformatorischen
Bewegung und nimmt die alte Frage nach dem Verhältnis zwischen Luther und den
Bauern wieder auf: „Die Bauern haben Luther weder ignoriert noch missverstanden,
sie haben ihn produktiv weiter geführt und auf ihre Lebenssituation angewandt“
– nach ihrem spätmittelalterlichen Vor- und Freiheitsverständnis. Es sei weiter
der Beitrag Luise Schorn-Schüttes (Politica Christiana) genannt, die der
Frage nachgeht, ob es einen protestantisch geprägten Freiheitsbegriff seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts gab. Die protestantischen Theologen legitimierten
die freiheitsfördernde Teilung von Herrschaft mit dem Nachweis ihrer
Verankerung in der biblischen Tradition. Nach Aufsätzen zu den
Konfessionsproblemen in England und Holland, in Österreich und in Böhmen beschließt
die Arbeit Joachim Whaleys das Kapitel mit der Frage nach der religiösen
Toleranz als allgemeinem Menschenrecht. Er sieht in der reichsgesetzlichen
Verankerung eingeschränkter Religionsrechte von 1555 und 1648 und der erst viel
späteren Lösung des Rechts der Glaubensfreiheit aus dieser Konstellation eine
„eigentümlich deutsche Besonderheit. In einer merkwürdigen Dialektik wurde das
Religionsbestimmungsrecht seiner potentiellen Sprengkraft dadurch beraubt, dass
man das Religionsausübungsrecht einschränkte“.
Das vierte und
letzte Kapitel trägt die Überschrift: „Kollektive und bürgerliche Freiheit“. Im
Zeitalter der Aufklärung gewann die republikanische Vorstellung einer Teilhabe
der Bürger am Staat Raum. Montesquieu und Rousseau bewegten die Geister. „Mit
dem teutschen Reich fand zugleich in den meisten teutschen Ländern die alte
Verfassung und mit dieser auch die teutsche Freiheit ihren Untergang“, schrieb
P. J. A. Feuerbach 1814. In seinem Aufsatz über die „Deutsche Freiheit“ im Revolutionsjahrzehnt
zeigt Andreas Klinger deren Fortleben. Sie bedeutete Freiheit von fremder, auch
französischer Herrschaft, zudem verwies sie auf eine besondere, die persönliche
Freiheit einschränkende und zugleich sichernde Bindung an das Gesetz. „Damit
wirkten charakteristische, aus den Verfassungsnormen des Alten Reiches
abgeleitete Ausdeutungen <deutscher Freiheit> in der politischen
Diskussion weiter“. Hans-Werner Hahn geht der „deutschen Freiheit“ in den
politischen Formierungsprozessen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach
und beginnt mit einem Urteil Hegels, wonach die Freiheit „ein unendlich vieldeutiges
Wort ist, dass sie, indem sie das Höchste ist, unendlich viele Missverständnisse,
Verwirrungen, Irrtümer mit sich führt und alle möglichen Ausschweifungen in sich
begreift“. Hahn zeigt, wie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die
Freiheitsvorstellungen immer weniger Bezug auf ältere Ideen nahmen, weil sich
im heraufziehenden Industriezeitalter mit der sozialen Frage die Aufgabe
stellte, das neue Leitprinzip der Gleichheit mit dem Freiheitspostulat zu
verbinden.
Der
weiterführende Erkenntnisse bietende Aufsatz Siegrid Westphals zeigt, „dass
Frauen über die Möglichkeit, Eigentum zu erben, zu erwerben und zu nutzen, im
Rahmen der spezifischen Eigentumskultur des Alten Reichs auch den damit
verbundenen Eigentumsschutz genossen und auf diese Weise in die kollektive
Vorstellung einer „teutschen Freiheit“ integriert waren, die wesentlich auf dem
Gedanken der Eigentumssicherheit beruhte“.
Der Band bietet
in bunter Folge so viele Berichte und Aufschlüsse, dass eine bemessene
Rezension längst nicht alle Autoren nennen und auch nicht die Fülle der
Gesichtspunkte, der deutschen wie der zahlreichen ausländischen, anzuzeigen
vermag. Nicht umsonst steht im Titel ein Plural, der viel historischen Raum
bietet und mannigfache Zugänge eröffnet. Was zusammen kam, lässt sich nicht
anders als reichhaltig nennen.
Heidelberg Adolf
Laufs