Kellermann, Gero, Juristische Studiengesellschaften im deutschsprachigen Rechtsraum. Institutionen staatsbürgerlicher Bildung zwischen fachbruderschaftlichem Ursprung und politischem Partizipationsstreben (= Hannoversches Forum der Rechtswissenschaften 25). Nomos, Baden-Baden 2005. 318 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die 2004 von der juristischen Fakultät der Universität Hannover angenommene, von Jörg-Detlef Kühne betreute Dissertation des Verfassers. Sie widmet sich einem bisher kaum untersuchten Gegenstand. Auf Neuland gelingen ihr neue Erkenntnisse.

 

In der Einleitung geht der Verfasser davon aus, dass juristische Studiengesellschaften eine Besonderheit des deutschsprachigen Rechtsraums sind, die anscheinend von Basel im Jahre 1835 ausgeht und in Deutschland derzeit rund 30 Vereinigungen verzeichnet. Sein Ziel ist die Bereitstellung einer Vergleichsgrundlage unter Hervorhebung des für die juristischen Gesellschaften konstitutiven Charakters als Bildungsinstitution. Dementsprechend grenzt er seinen Untersuchungsgegenstand gegenüber ähnlichen Zielsetzungen ab.

 

Im darstellenden Teil seiner Untersuchung bilden die der Aufklärung entspringenden gelehrten Gesellschaften und Akademien der Mitte des 18. Jahrhunderts den Ausgangspunkt, in denen Geburt und Stand durch freiwilligen Zusammenschluss der Gebildeten ersetzt sind. Zwar steht hier zunächst die Selbstbildung im Vordergrund, doch ist über die eigene moralische Verbesserung auch ein Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft angestrebt. Der Staat unterstützt diese Bestrebungen, wo er sie als ungefährlich ansieht.

 

Als Vorläufer der Studiengesellschaften kann der Verfasser Lesevereine, Stammtische oder Anwaltsvereine wahrscheinlich machen. Danach fährt er aber nicht chronologisch fort (Basel 1835, Schlesien 1855), sondern wendet sich epochenübergreifenden Grundformen zu. Als deren erste untersucht er die dem Berliner Juristen-Verein von 1825 nachfolgende juristische Gesellschaft zu Berlin von 1859 (Hiersemenzel, Graf von Wartensleben, von Holtzendorff, Simson, Volkmar) und den von ihr ausgeschriebenen ersten deutschen Juristentag von 1861.

 

Dem folgen München (um 1860, Bluntschli), Frankfurt am Main (1866), Hamburg und Wien (1867) sowie Graz, Bern, Zürich und andere. Dabei zeigen sich zahlreiche individuelle Besonderheiten. Die Abgrenzung von ähnlichen Gebilden ist ebenso komplex wie die Behandlung von Kontinuität und Diskontinuität.

 

In seinem zweiten kritischen Teil untersucht der Verfasser Rechts- und Sozialstrukturen. Dabei erkennt er grundsätzliche Abhängigkeiten etwa von Umbrüchen. Weiter untersucht er Satzungsgegebenheiten, Personalstrukturen und Aktivitäten der Gesellschaften, bei denen er auf den wissenschaftlichen Vortrag als zentralen Bestandteil der Vereinstätigkeit besonders hinweist.

 

Im Schlussteil stuft er die juristischen Studiengesellschaften als Reaktion auf politische und innerfachliche Wandlungen ein, verknüpft sie mit der staatsbürgerlichen Bildung, verortet sie im System der Erwachsenenbildung und erwägt denkbare Ansatzpunkte für Ergänzungen und Spezialisierungen. Seine fünf Anhänge bieten hilfreiche Übersichten, Hinweise, Beispiele, Mitgliederzahlen und Vortragsthemen. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein ganz knappes Stichwort- und Namensregister (unvollständig) schließen die interessante, vielleicht psychologische Gesichtspunkte der Vereinsbildung (Netzwerke) noch zu sehr vernachlässigende Studie weiterführend auf.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler