Keiser, Thorsten, Eigentumsrecht im Nationalsozialismus und Fascismo (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 49). Mohr (Siebeck), Tübingen 2005.IX, 266 S. Besprochen von Dominik Westerkamp.
In seiner rechtsvergleichenden Arbeit zeigt Keiser zunächst die weitgehenden Parallelen in der Entwicklung des Eigentumsbegriffs in Deutschland und Italien auf. Erste Ansätze für eine Wandlung des überkommenen, liberalen Eigentumsbegriffs zeigten sich danach schon während des Ersten Weltkriegs, wo in Form von kriegsbedingten Gesetzes- und Verordnungsmaßnahmen das Eigentumsrecht teilweise ausgehöhlt worden sei. Zu Beginn der zwanziger Jahre sei dann verstärkt auf den Umstand der zunehmenden „Vermassung und Maschinisierung“ hingewiesen worden, wodurch das Bild der bürgerlichen Gesellschaft vom Individuum als prinzipiell freiem Rechtssubjekt (S. 48), das auch als Konzeption hinter dem Eigentumsbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Codigo Civile stehe, mehr und mehr ins Wanken geraten sei.
Im vierten Kapitel stellt der Autor die These auf, in den „Verbindungen von Eigentumsrecht und Funktion“ liege „die auffälligste Gemeinsamkeit der Eigentumslehren der deutschen und italienischen Diktatur“ (S. 70). In Italien sei der im Zusammenhang mit der carta del lavoro (Arbeitsverfasssung des faschistischen Italien) zu sehende Begriff der „funzione sociale“ („Soziale Funktion“) das zentrale Konzept der Eigentumslehren während der Diktatur gewesen, wobei diese soziale Funktion im wesentlichen die - wirtschaftlichen - Interessen der Nation gewesen seien. In Deutschland hingegen sei versucht worden, etwa durch Einführung neuer Begrifflichkeiten wie „Eigen“ als Sammelbezeichnung für „volksgenössisches Eigentum“, welches auch eine „Abstufung von Eigentumsformen und Freiheiten nach ihren Funktionen“ meinte, die soziale Funktion als bestimmenden Faktor in das Eigentumsrecht einzuführen. Leitend für die soziale Funktion seien die - auch an rassistischen Kriterien orientierten – „Interessen der Volksgemeinschaft“ gewesen.
Wie der Autor weiter ausführt, waren Totalitarismus und Anerkennung des Privateigentums dabei kein Gegensatz. Denn das Individuum und seine Freiheit seien nicht mehr „isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem Staat, als dessen Instrumente“, gesehen worden (S. 63). Ziel sei die gleichzeitige Abgrenzung vom Liberalismus auf der einen und vom Sozialismus auf der anderen Seite gewesen.
Im fünften bis achten Kapitel stellt der Verfasser verschiedene dogmatische Ansätze vor, durch die der Begriff der „sozialen Funktion“ in die Eigentumslehren in Deutschland und Italien Eingang finden sollte, sowie deren Auswirkungen in der Praxis, etwa im Reichserbhofgesetz. Er arbeitet dabei heraus, dass in Deutschland versucht wurde, das gesamte überkommene Eigentumssystem umzustürzen, nämlich die Unterscheidung zwischen privatrechtlichem und verfassungsrechtlichem Eigentumsbegriff aufzuheben und sich stattdessen an dem rassistischen Begriff der „Volksgemeinschaft“, deren Glied der Eigentümer fortan sein sollte, zu orientieren. In Italien hingegen habe man die Durchsetzung der Formel von der „funzione sociale“ unter Beibehaltung des geltenden Rechts versucht, insbesondere - anders als in Deutschland - auch gefordert, nur durch Gesetz bestimmte Eigentumsbeschränkungen zuzulassen. Zutreffend erkennt der Autor jedoch, dass letzterer Unterschied in einer Diktatur mangels Gewaltenteilung nur theoretisch von Bedeutung ist (S. 220).
Die umfangreiche Abhandlung fasst die wohl wesentlichen dogmatischen Ansätze zu dieser Frage in der deutschen und italienischen Rechtswissenschaft der damaligen Zeit zusammen. Die Darstellung überzeugt auf weiten Strecken durch Prägnanz und gute Lesbarkeit. Allein die Verwendung der Bezeichnung „Kathedersozialist“ (S. 53) für Anton Menger (den Verfasser des Werks „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen“, 3. Auflage, Tübingen 1904) - mag sie auch noch so treffend und berechtigt sein - in einer wissenschaftlichen Arbeit irritiert ein wenig.
Königstein im Taunus Dominik Westerkamp