Kastl, Katrin, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der Prozess seiner Anerkennung als „sonstiges Recht“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB (= Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 92). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2004. XVI, 292 S. Besprochen von Elmar Wadle.
Die Arbeit, eine im Sommersemester 2003 angenommene Münchner Dissertation (Erstgutachter: Hermann Nehlsen), bietet eine gelungene rechtshistorische Studie zu einem großen Thema zivilrechtlicher Dogmatik. Bereits der Untertitel zeigt an, dass die Autorin den Schwerpunkt auf die Diskussion legt, die 1954 zur Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Recht im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB geführt hat. Die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 1954, das Urteil im so genannten „Schacht-Leserbrieffall“, „emanzipiert(e) sich von der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts“ (S. 221) und stützte sich dabei vor allem auf die Werteordnung des Grundgesetzes. Die Vorgeschichte dieser Wende ist Gegenstand von sechs unterschiedlich dimensionierten Kapiteln.
Im ersten
längeren Teil wird die Diskussion um den Schutz von Persönlichkeitsinteressen
vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts
geschildert: Rückgriffe auf das gemeine Recht und naturrechtliche Ansätze sind
ebenso bedacht wie die unter dem Einfluss der idealistischen Philosophie stehenden
Konzepte und die Anfänge und die spätere Rezeption der positiv-rechtlich
orientierten moderneren Lehre von den Persönlichkeitsrechten. Die Autorin
bietet dabei einen Überblick, der sich vor allem auf einzelne bedeutende
Juristen und Philosophen konzentriert; sie kann sich dabei auf eine breitere
neuere Literatur stützen, zeigt aber auch neue Aspekte auf, so etwa die
Rezeption der deutschen Lehre durch die französische Literatur.
Die drei
folgenden Abschnitte, die etwas knapper gehalten sind, beschreiben die
Grundlagen der weiteren Entwicklung im 19. Jahrhundert. Das zweite Kapitel
bietet eine Analyse der Gesetzgebungsarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch unter
dem Aspekt des Persönlichkeitsschutzes. Das dritte Kapitel verfolgt die
Auslegungskonzepte der juristischen Dogmatik zum Tatbestandsmerkmal „sonstiges
Recht“. Das vierte Kapitel schließlich erörtert die Bemühungen der Judikatur um
den Persönlichkeitsschutz im Rahmen eben dieser „sonstigen Rechte“ und betont
die frühe Weigerung des Reichsgerichts, das allgemeine Persönlichkeitsrecht
unter dieses Merkmal zu subsumieren, aber auch die Suche nach Ersatzlösungen
unter Heranziehung anderer zivilrechtlicher Bestimmungen (etwa §§ 12 und 826
BGB). Das fünfte Kapitel dringt unter dem Titel, „Begründungsansätze und
Inhalte eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach 1900“ tief in die
dogmatische Diskussion bis 1945 ein. Unter der zentralen Fragestellung
„Kontinuitäten in der dogmatischen Theoriebildung oder kodifikatorische Zäsur“
werden drei „Entwicklungsstufen“ herausgearbeitet. Einer ersten, von 1900 bis
1917 reichenden Phase werden neue „Begründungsansätze“ zugeordnet, die teils
direkt auf die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts abzielen
(Paul Krückmann, Gerhard Wörner, Franz Alsamer, Franz Matthias Mutzenbecher,
Paul Eltzbacher, Adolf Lobe, Carl Crome, Rudolf Schulz-Schaeffer), teils
indirekt aus der Diskussion um besondere Aspekte des zivilrechtlichen
Personenschutzes (namentlich um das Recht am eigenen Bild und um das
Namensrecht) neue Impulse schöpfen (Hugo Keyßner, Robert Hermann, Paul
Oertmann). Als zweite Phase, die sich auf die Jahre zwischen 1917 und 1933
erstreckt, werden die Anstöße herausgestellt, die sich aus der intensive
Debatte um das Urheberrecht und dessen dualistische Struktur ergeben haben; sie
führen zu einer neuen Konturierung eines besonderen Persönlichkeitsrechts
(Urheberpersönlichkeitsrecht), aber auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
(Rudolf Reinhardt, Alfons Börger, Friedrich Schmeißmeister, Fritz Smoschewer,
Alfred Wieruszowski, Hans Mandrey, Walter Schönfeld). Dass solche Ansätze
kritisiert wurden (Lorenz Müller, Andreas von Tuhr, Paul Oertmann, Ludwig
Enneccerus, Hans Carl Nipperdey, Ernst Zitelmann, Heinrich Lehmann, Hermann
Walter Theegarten, Bernhard Windscheid/Theodor Kipp) sei eigens festgehalten. Als
dritte Phase (1933-1945) behandelt die Autorin die Diskussion um das allgemeine
Persönlichkeitsrecht in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgehend von der
unterschiedlichen Bewertung, die Alfons Bürge und Stefan Gottwald zur Debatte
beigesteuert haben, spürt Kastl einzelnen Autoren nach und stellt fest, dass es
auf formaler Ebene zwar Kontinuitäten gibt, dass aber der
„Persönlichkeitsschutz“ inhaltlich unter dem Nationalsozialismus „weder mit
demjenigen vor 1933 noch dem nach 1945 vergleichbar“ sei (S. 198).
Im sechsten und
siebten Kapitel wird die dogmatische Entwicklung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts nach 1945 aufgezeigt; ausführlich werden noch einmal die
Diskussion um „Zäsur“ oder „Kontinuität“ aufgegriffen, sowie das anfängliche
Zögern der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der schon erwähnte Umschwung
im Gefolge des „Schacht-Leserbriefe-Urteils“ dargelegt. Ein Abschnitt, der
„ausgewählte Fragestellungen“ zu aktuellen Problemen bietet, rundet die
Darstellung ab.
Die Arbeit ist klar und übersichtlich gegliedert; die Ergebnisse einzelner Kapitel sind in der Regel in „Zwischenbilanzen“ zusammengestellt, die außerordentlich umfangreiche Literatur ist weitgehend berücksichtigt. Die Gefahr, die durch die nicht weniger vielfältige Diskussion zu verwandten Rechtsgebieten (Urheberrecht, Gewerbliche Schutzrechte) besteht, ist ordentlich gemeistert. Eine intensivere Berücksichtigung dieser „Spezialgebiete“ und ihrer historischen Dimension hätte die Möglichkeit erschwert, einen großen Bogen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart zu schlagen. Die rechtshistorische Forschung dürfte vor allem durch die Darstellung der Diskussion und der Judikatur zwischen 1900 und 1954 bereichert werden. Positiv sei noch vermerkt, dass Kastl immer wieder Seitenblicke auf die Entwicklung des Personenschutz- und des Persönlichkeitsrechts im französischen Recht wirft und vor allem wechselseitige Befruchtungen herausarbeitet.
Weniger gelungen
sind die Ausführungen zur älteren Zeit. Sie wirken zum Teil etwas schematisch;
überdies konzentrieren sie sich allzu stark auf die wissenschaftliche Debatte
und blenden Gesetzgebung und Rechtsprechung vor der Reichsgründung (1870/71)
nahezu völlig aus; für künftige Autoren bleibt demnach die Aufgabe, diese Lücke
zu schließen.
Saarbrücken Elmar
Wadle