Jürgens, Martin, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber (=
Rechtshistorische Reihe 306). Lang, Frankfurt am Main 2005. XIV, 327 S.
Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die im Sommersemester 2004 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg angenommene, von Klaus-Peter Schroeder betreute Dissertation des Verfassers. Sie gilt einem der bedeutendsten deutschen Staatsrechtler und Verfassungshistoriker des 20. Jahrhunderts. Da Ernst-Rudolf Huber im Unterschied zu vergleichbaren Wissenschaftler trotz einer ausführlichen Kontroverse über seine Rolle während des Nationalsozialismus insgesamt bisher nur wenig behandelt worden ist, schließt sie in ihren Grenzen eine fühlbare Lücke der staatsrechtlichen und verfassungsgeschichtlichen Literatur.
Überzeugend beginnt der Verfasser mit einer biographischen Grundlegung. Danach wurde Ernst Rudolf Huber am 8. Juni 1903 im (birkenfeldischen bzw.) oldenburgischen Oberstein an der Nahe als Sohn eines evangelischen Kaufmanns geboren, besuchte von 1909 bis 1912 die Volksschule und danach bis 1921 die städtische Oberrealschule, gründete als Mitglied der Jugendbewegung (1919) mit anderen den hierarchisch strukturierten, politisch und konfessionell neutralen, aber ein umfangreiches Beziehungsgeflecht ermöglichenden Männerbund Nerother Wandervogel (Als Männer wollen wir gestalten, was wir als Jugendtraum geschaut), studierte ab Sommer 1921 in Tübingen Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft (Johannes Haller, Adalbert Wahl), nach einer vorübergehenden Tätigkeit im väterlichen Betrieb ab Winter 1922/1923 Nationalökonomie und Rechtswissenschaft in München (Hermann Oncken, Karl Rothenbücher), ab Sommer 1924 in Bonn (Erich Kaufmann, Carl Schmitt), legte im Januar 1926 die erste juristische Staatsprüfung ab (vollbefriedigend bis gut), promovierte mit noch 23 Jahren bei Carl Schmitt am 20. Mai 1927 mit sehr gut über die Gewährleistung des kirchlichen Eigentums und die Ablösung der staatlichen Leistungen an die Kirchen (Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung), arbeitete seit April 1928 auf Empfehlung Carl Schmitts als akademische Hilfskraft am industrierechtlichen Seminar Bonns (Heinrich Göppert), bestand am 17. März 1930 die zweite juristische Staatsprüfung mit gut, trat am 18. März 1930 als Assessor in den Dienst des Innenministers von Oldenburg, ließ sich sofort beurlauben, habilitierte sich am 24. Juni 1931 mit dem Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht unter Heinrich Göppert (und Johannes Heckel) für Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Staatskirchenrecht, Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht (14. Juli 1931 gesamtes Kirchenrecht) und unterstützte Carl Schmitt im Juli 1932 bei Überlegungen über einen nicht verwirklichten Staatsnotstandsplan. Am 28. April 1933 wurde er mit einer Lehrstuhlvertretung für den am 25. April 1933 zusammen mit Gerhard Husserl, Karl Rauch und Otto Opet im Zusammenhang mit der Erneuerung des Lehrkörpers bis zur endgültigen Entscheidung auf Grund des Berufsbeamtengesetzes beurlaubten Völkerrechtler Walther Schücking in Kiel beauftragt und am 28. Oktober 1933 rückwirkend zum 1. August 1933 mit gerade 30 Jahren zum ordentlichen Professor ernannt.
Ernst-Rudolf Huber, Karl Larenz und Georg Dahm (an Stelle Gerhart Husserls und Hermann Kantorowiczs) sollten mit (Martin?) Busse, Karl August Eckhardt, Karl Michaelis, (Paul?) Ritterbusch, Friedrich Schaffstein, Wolfgang Siebert und Franz Wieacker in Kiel unter Ausschaltung nahezu aller bisherigen Fakultätsmitglieder eine Stoßtruppfakultät junger, dem Regime bedingungslos ergebener Rechtslehrer bilden, der ähnliche Gestaltungen für Breslau und Königsberg zur Seite gestellt wurden. Am 1. Mai 1933 trat Huber in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ein (und am 1. Januar 1937 in den Nationalsozialistischen Dozentenbund). Bald wurde er Mitglied der Akademie für deutsches Recht und im Juni 1934 mit Hermann Bente und Andreas Predöhl als Nachfolger Georg Brodnitzs Mitherausgeber der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft.
Zum 1. Oktober 1937 wechselte Huber nach Leipzig, wohin auch (Hans?) Gerber, Franz Beyerle, Friedrich Schaffstein, Eberhard Schmidt, Franz Wieacker, Georg Dahm, Hans Thieme, Werner Weber und Wilhelm Gallas kamen. Hier veröffentlichte er sein Verfassungsrecht des großdeutschen Reiches und lehnte Rufe nach Prag und Wien ab. Im Wintersemester 1941/1942 verließ er Leipzig zu Gunsten der am 23. November 1941 errichteten Reichsuniversität Straßburg, wohin wiederum Georg Dahm und Friedrich Schaffstein folgten.
Am 14. November 1944 wurde Huber angewiesen, auf den Lehrstuhl Karl Bilfingers in Heidelberg zu wechseln, ohne dass dies die Rechte und Pflichten gegenüber der Universität Straßburg berührte. Am 23. November 1944 floh er vor anrückenden amerikanischen Verbänden nach Heidelberg. Am Ende des Novembers 1944 nahm er dort seine Lehrtätigkeit auf, doch endete das Dienstverhältnis am 30. April 1945.
Den Lebensunterhalt der Familie sicherte seine in Freiburg im Breisgau als Rechtsanwältin arbeitende Ehefrau. Huber lebte als Privatgelehrter. Im Dezember 1948 wurde er durch Bescheid des badischen Staatskommissariats für politische Säuberung als Mitläufer, Begünstigter der Verordnungen 133/165 eingestuft und war damit grundsätzlich wiederverwendungsfähig.
1952 ermöglichte Franz Wieacker als Dekan einen Lehrauftrag für neuere Verfassungsgeschichte in Freiburg im Breisgau. Eine Berufung auf den durch Weggang Theodor Maunzs frei gewordenen Lehrstuhl scheiterte am Widerstand Constantin von Dietzes und Fritz Pringsheims, die eine Tätigkeit Hubers vor dem Hintergrund seiner zwischen 1933 und 1945 verfassten Schriften für unverantwortlich hielten, da diese „geradezu richtungsweisend für die Pervertierung des Rechts im nazistischen Regime“ gewirkt hätten. Zum Ausgleich wurde der Lehrauftrag um Wirtschaftsverwaltungsrecht erweitert.
1956 wurde Huber wieder in die 1922 gegründete, 1938 aufgelöste und 1949 wiederbegründete Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer aufgenommen. Am 19. April 1956 wurde er in Freiburg im Breisgau zur Abwehr möglicher Berufungen nach Kiel und Nürnberg zum Honorarprofessor ernannt. Auf Vorschlag des gleichaltrigen, der bündischen Jugend verbundenen Wirtschaftswissenschaftlers Raupach wurde er 1957 an die Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven berufen und kam 1962 als Folge der Eingliederung dieser Hochschule in die Universität Göttingen wieder auf einen juristischen Lehrstuhl einer deutschen Universität zurück, ließ sich aber bereits nach dem Sommersemester 1968 emeritieren, um sich ganz seinen verfassungsgeschichtlichen Forschungen zu widmen, die er 1984 mit dem (7.) Band Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik sechs Jahre vor seinem Tod in Freiburg am Breisgau am 28. Oktober 1990 abschließen konnte.
Hinsichtlich des Werkes Hubers kommt der Verfasser auf Grund einer Bibliographie des Jahres 1973 zu dem einleuchtenden Ergebnis, dass diese außer einem beeindruckenden Umfang vor allem den Zusammenhang zwischen der innenpolitischen Lage und dem Anteil politischer, vielfach unter Pseudonym oder anonym erschienener Schriften an den Veröffentlichungen zeige. Als das Ende der Weimarer Republik unausweichlich erschienen sei, habe sich die politische Zielrichtung der Schriften auffallend verstärkt. Ab 1933 sei der Trend gegenläufig gewesen und habe sich Huber nach einer auf Stabilisierung des Verfassungsrechts bedachten Tätigkeit in den letzten Kriegsjahren vom zeitgenössischen Staatsrecht abgewandt und sich vor allem mit Verfassungsgeschichte befasst.
In der Folge wendet sich der Verfasser ausführlich dem Verhältnis zwischen Ernst Rudolf Hubers und der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik und dem Staatsrecht im Nationalsozialismus zu. Danach habe sich Huber wie viele andere der so genannten Jungkonservativen zu Beginn der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts von dem ungewohnten demokratischen Pluralismus abgestoßen gefühlt und statt der liberalen Demokratie eine Ordnung gewünscht, die alle verfügbaren Kräfte auf ein gemeinsames Ziel bündelte. Staat und Verfassung sollten ein nur irrational begründetes Gemeinwohl verwirklichen.
Allerdings seien alle Formen der von Huber gewünschten Einheit mit dem Nationalsozialismus unvereinbar gewesen. Sein ernsthaftes Bemühen um eine konservativ-ordungsstaatliche Durchdringung der neuen politischen und rechtlichen Gegebenheiten sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Obwohl er viele Missstände und Unmenschlichkeiten in bemerkenswert offener Weise angesprochen habe, habe er die Ereignisse doch gebilligt und nicht angeprangert.
Am Ende stellt der Verfasser Reinhard Höhn auf der einen Seite und Ernst Rudolf Huber, Carl Schmitt und Ernst Koellreutter auf der anderen Seite einander gegenüber und hält es für möglich, dass auf Integration bedachte Kräfte im Grunde gefährlicher sein können als offen auf Zerstörung jeder Rechtsform ausgehende Kräfte. Zugunsten Hubers hebt er aber doch dessen stete Ablehnung jeglicher Willkür hervor. Insgesamt sei Hubers ungewöhnlich leistungsstarkes Leben geprägt von der unbefriedigend empfundenen Leere der Weimarer Republik, von der kritiklosen Übernahme eines als gutartig missverstandenes Glaubensschemas, einem entsetzten Erwachen und endlich einem bemerkenswerten Bemühen um Übernahme einer als unumgänglich erkannten demokratisch-liberalen Lebensform.
Innsbruck Gerhard Köbler