Jakobs, Horst Heinrich, Magna Glossa. Textstufen der legistischen glossa ordinaria (= Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft Neue Folge 114). Schöningh, Paderborn 2006. 303 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Absicht der Untersuchung ist es, die Qualität der Arbeit des in Bagnolo bei Florenz 1182 oder 1185 geborenen, in Bologna 1260 oder 1263 gestorbenen Accursius in seiner magna glossa in einer auf die Quellen fundierten Weise festzustellen. Dabei hat die Frage der Vollständigkeit der magna glossa keine wirkliche Bedeutung mehr. Vielmehr geht es hauptsächlich darum, wie viel von der älteren Arbeit der vorangehenden Glossatoren bei Accursius mit welchem Gewicht fehlt und inwieweit die ältere Arbeit bei Accursius ersichtlich ist und sich ihre Entwicklung seit ihren Anfängen aus Accursius erschließen lässt, und damit letztlich darum, ob das Ergebnis des Accursius auf Grund seiner Qualität die Bezeichnung magna glossa verdient.

 

Dieser Frage nähert sich der Verfasser angesichts der Schwierigkeit der Fragestellung und der unzureichenden Vorarbeiten nicht umfassend, sondern auf einige besondere Beispiele eingeschränkt. Insgesamt behandelt er bei einer von Seckel ermittelten Gesamtzahl von 22365 Glossen zum Digestum vetus in fünf Kapiteln vor allem fünf Digestenstellen. Von ihren Einzelergebnissen aus versucht er ein abgewogenes Gesamturteil.

 

Er beginnt mit D. 3, 5, 14 (15) und stellt dabei den magnus apparatus des Azo und die glossa ordinaria des Accursius gegenüber. Dabei zeigt sich, dass Accursius die Zahl der Glossen zwar von 18 auf 5 verringert, dass sein Text vom Text des Azo aber abhängig ist. Im Ergebnis sieht der Verfasser die Arbeit des Accursius als Fortsetzung der Arbeit des Azo.

 

Das zweite Kapitel betrifft vor allem D. 2, 8, 15. Hier gelangt der Verfasser nach sorgfältiger Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Leistung des Accursius abhängig ist von der Qualität des magnus apparatus. So groß der Anteil des Accursius auch ist, ist er nach dem Verfasser auch hier nur die Vollendung dessen, was der Glossator Johannes und Azo entgegen der antiqua glosa angenommen haben.

 

Im dritten Kapitel behandelt der Verfasser hauptsächlich D. 5, 3, 31 pr. Er stellt fest, dass die diesbezüglichen Glossen überwiegend identisch sind mit den Glossen des magnus apparatus. Dementsprechend sieht er auch hier einen Beweis für die an der Oberfläche polierende Art der Bearbeitung des glossa ordinaria genannten Apparats.

 

Das vierte Kapitel widmet sich in erster Linie D. 6, 1, 23. Hier weist der Verfasser bereits zu Beginn darauf hin, dass magnus apparatus und glossa ordinaria in ihrem äußeren Erscheinungsbild zwar sehr verschieden sind, dass bei sorgfältigem Vergleich sich aber der eine Apparat nur als Bearbeitung des anderen Apparats erweist. Das neuere Erscheinungsbild sei hauptsächlich dadurch bedingt, dass die glossa ordinaria die Beseitigung der alten Apparate angestrebt habe, und überall, wo Accursius als Verfasser wahrscheinlich sei, erweise sich seine Arbeit als wenig tauglich.

 

Den Abschluss der Analyse bilden D. 18, 1, 8-14/41, 1/45 mit insgesamt neun Stellen. Hier geht es ihm um den Vergleich über eine längere Folge von leges. Auch hier erkennt er Schwächen des Accursius, so dass die Bezeichnung der Leistung als magna glossa bedenklich sein müsste.

 

Auf dieser vom Sachkenner ausgewählten Grundlage spricht er Accursius zwar ein feines Empfinden für Verbesserungsbedürftigkeit zu. Er ordnet ihn aber gleichwohl als subalternen Schüler ein, der freilich im Verlauf seiner Arbeit sich seiner selbst sicherer geworden sein und seine Abhängigkeit von Azo gelockert haben könnte. Einen Accursius, der, wie die Form, so auch die juristische Sache selbständig prüfe und entscheide, dem nicht die Bequemlichkeit der Benutzung des Apparats Richtschnur seines Tuns und Lassens gewesen sei, scheine es jedenfalls bei dem Digestum vetus nicht gegeben zu haben.

 

Ein Verzeichnis der weit mehr als 100 handschriftlichen Quellen und der gedruckten Quellen, eine Zusasmmenstellung aller erfassten Stellen (S. 294, vgl. zusätzlich N. 343) sowie ein einseitiges Personen- und Sachregister runden das eigenständige Werk ab. Dass seine Veröffentlichung durch das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte trotz seiner europäischen Dimension nicht gefördert worden ist, begründet der Verfasser mit einer von ihm verfassten Rezension. Möge dies der fruchtbaren Detailerörterung der von ihm vorgetragenen Erkenntnisse durch die internationale mediävistische Romanistik nicht hinderlich sein.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler