Hollberg, Cecilie,
Deutsche in Venedig im späten Mittelalter. Eine Untersuchung von Testamenten
aus dem 15. Jahrhundert (= Studien zur historischen Migrationsforschung 14).
V&R unipress, Göttingen 2005. 294 S. Besprochen von Irmgard Fees.
Im
venezianischen Staatsarchiv sind viele Tausend Testamente des Spätmittelalters
überliefert; aus dieser großen und zudem schlecht erschlossenen Menge greift
Cecilie Hollberg für ihre Untersuchung 181 letztwillige Verfügungen von in
Venedig lebenden Deutschen heraus. Die Texte stellen einen nicht sicher
bezifferbaren Anteil aller überlieferten Testamente von Deutschen in der
Lagunenstadt dar; die Quellenbasis wurde mittels einer „zufälligen Stichprobenuntersuchung“
gewonnen, „so daß das Gesamtergebnis als repräsentativ angesehen werden kann“
(S. 32). Die Ergebnisse sind tatsächlich ertragreich und vielgestaltig, auch
wenn die Rezensentin eingestehen muß, daß sich ihr die auf den Seiten 29-32
dargelegten Methoden der Quellenauswahl nicht völlig erschlossen haben. Mit
Cecilie Hollbergs Studie liegt ein zweifellos wichtiges und dankbar zu
begrüßendes Buch zur deutschen Bevölkerung in Venedig vor, das umfangreiche
Informationen nicht nur zur Zusammensetzung dieser Gruppe liefert, deren Größe
die Autorin auf einige Tausend (von rund 100.000 Einwohnern insgesamt) schätzt,
sondern auch zu ihrer sozialen und ökonomischen Lage, zum Grad ihrer
Integration in die Stadt und zu ihren Lebensgewohnheiten und Interessen.
Hollberg
erläutert zunächst die quellentechnischen und rechtlichen Voraussetzungen der
Untersuchung, insbesondere die Überlieferung venezianischer Testamente
allgemein, den formalen Aufbau des venezianischen Testaments (vgl. zum Thema
jetzt auch Dieter Girgensohn, In primis omnium rectum dimitto decimum.
Kirchenzehnt und Legate pro anima in Venedig während des hohen und späten
Mittelalters, in: ZRG 122, KA 91, 2005, S. 237-298), das venezianische Erbrecht
und andere rechtliche Grundlagen sowie die Besonderheiten des venezianischen
Notarswesens, um sich dann der Auswertung der Texte unter systematischem
Zugriff zuzuwenden. Die untersuchten Deutschen - 123 Männer, 58 Frauen - sind
nur zu einem geringen Anteil (etwa 10 %) Kaufleute, dagegen ganz überwiegend (zu
etwa 85 %) Handwerker und Arbeitskräfte in insgesamt 47 unterschiedlichen
Gewerben, unter denen allerdings einige Berufe wie Bäcker, Schuster und
Ballenbinder besonders häufig vertreten sind. Das starke Übergewicht der
Handwerker ist nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick erscheint,
denn Groß- und Fernhandelskaufleute waren zumeist nur vorübergehend in Venedig
und machten jedenfalls ihr Testament dort nur im Notfall, anders als die
längerfristig angesiedelten Handwerker und Kleinkaufleute. Diese Handwerker und
Gewerbetreibenden hatten sich nun, so ein Ergebnis der Studie, in einem
erstaunlichen Maße an die sozialen, kulturellen und religiösen Gebräuche ihrer
Gaststadt angepasst. Von einer deutschen „Kolonie“, einer Zusammenballung von
Deutschen in einer bestimmten Region der Stadt, kann in Venedig im Unterschied
zu anderen italienischen Kommunen daher nicht gesprochen werden; die Deutschen
wohnten und arbeiteten über die Stadt verstreut, wenn auch mit einer gewissen
Dichte um den Rialto und das Kaufhaus der Deutschen herum. Sie bedachten in
ihren Legaten überwiegend Personen innerhalb der Stadt (und nicht in ihrer
Heimat), beschenkten die Kirchen und Klöster Venedigs und bevorzugten
allenfalls bei den Stiftungen für Bruderschaften deutsche vor rein
venezianischen Einrichtungen. Aus der Untersuchung weltlicher Legate werden vor
allem Erkenntnisse zum beweglichen Vermögen, zu Immobilienbesitz und zu Realien
gezogen; die Analyse der von den Testatoren bedachten Personenkreise liefert
aufschlussreiche Erkenntnisse zu sozialen und familiären Umständen, den
Lebensbedingungen und zur Mentalität der untersuchten Personen. Es entsteht ein
buntes, vielgestaltiges Bild, das reich an Details und anregend zu lesen ist.
Die
Freude an den gehaltvollen Darlegungen wird ein wenig getrübt durch zahlreiche
kleinere Fehler und Irrtümer, die den Text durchziehen. So sind auf der Karte
der Wohnorte der Deutschen in Venedig (S. 60f.) die Pfarreien S. Bartolomeo, S.
Stefano und S. Salvatore durcheinandergeraten; die Angehörigen des Dritten
Ordens der Franziskaner sind keine Tertianerinnen (S. 69, 152); der Schneider
Zuane bedachte 1456 wohl nicht das Hospital „S. Francesco de Padoa“ und damit
als einziger ein nicht in Venedig gelegenes Institut, sondern eher S. Francesco
di Paola in Venedig selbst (S. 103f.); Maismehl gab es um die Mitte des 15. Jahrhunderts
nicht (S. 165); ein Archipresbyter ist kein Mönch und kann demnach ein
Testament machen, auch wenn Mönchen (si quis ingreditur in monasterium ...)
solches verboten ist (S. 177f.), und ähnliches mehr. Auch war der vielfach
erwähnte „Deutsche“ Nicolò Jenson (S. 31) wohl kaum ein „Formenschneider, der
seit 1470 in Venedig tätig war“ (S. 185); vielmehr handelt es sich bei ihm
zweifellos um den berühmten Drucker und Buchhändler, der auch nicht zufällig im
Testament von Hans Rauchfas von 1478 als Nachfolger in dessen Geschäftsführung
benannt wird. - Den inhaltlichen Wert der Studie können die angemerkten
kleineren Mängel nicht beeinträchtigen; das Buch leistet über die skizzierten
konkreten Erkenntnisse hinaus einen wichtigen Beitrag zur Erforschung
mittelalterlicher Testamente allgemein, gerade weil so viele Handwerker und
kleine Gewerbetreibende, darunter viele Frauen, unter den Testatoren sind.
Hinzuweisen
ist abschließend darauf, daß zwei der von Hollberg ausgewerteten Testamente
deutscher Kaufleute, das des Johannes oder Hans Rauchfas aus Frankfurt (1478)
und das des Franz Hirschvogel aus Nürnberg (1498), nahezu gleichzeitig mit dem
Erscheinen von Hollbergs Buch durch Carolin Wirtz ediert worden sind („Mercator
in fontico nostro“. Mercanti tedeschi fra
la Germania e il Fondaco dei Tedeschi a Venezia, in: Presenze tedesche a
Venezia, a cura di Susanne Winter, Roma-Venezia 2005, S. 1-48), offenbar ohne
dass die Autorinnen voneinander wussten. Zu wünschen ist, dass auch die
Autorin selbst irgendwann zumindest eine Auswahl der von ihr untersuchten
Testamente im vollen Wortlaut - und vielleicht in exemplarischen Abbildungen? -
publizieren könnte.
Marburg Irmgard
Fees