Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 3 Demokratie - Bundesorgane, hg. v. Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, 3. Aufl. C. F. Müller, Heidelberg 2005. XL, 1640 S. Besprochen von Andreas Kley.

 

„Das Verfassungsrecht steht nicht selbst zur Disposition des Parlaments oder gar einer öffentlichen Debatte.“ Das ist das Rechtsfundament der beiden Herausgeber in ihrem Vorwort (S. VI) und des gesamten Werkes. Damit ist freilich eine zentrale Frage dieses Bandes angesprochen: Was bedeutet Demokratie und wie kommt sie in den Verfahren der Organe vom Bundestag bis zum Bundesverfassungsgericht zum Zug?

 

Der Band versammelt 37 Beiträge bedeutender Autoren und Kenner der Materien und ist in die beiden Teile „Willensbildung des Volkes“ und „Die Staatsorgane des Bundes“ untergliedert. Die Themenstellung der einzelnen Beiträge zeigt schon deutlich, wie umfassend und wohlabgewogen die Herausgeber an den Stoff herangegangen sind. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf alle Beiträge einzugehen. Vielmehr sollen einige nur beispielhaft herausgegriffen werden.

 

§ 35 über die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie (Peter Kruse) beschäftigt sich mit einer kontroversen Frage. Das Grundgesetz enthält nämlich durchaus entgegengesetzte Positionen. Einerseits spricht es in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 davon, dass die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt wird“. Andererseits kommt in den Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck, dass die repräsentative Demokratie Vorrang besitzt (S. 56f.). Mit einer bloßen Verfassungsexegese lässt sich die Frage der Zulässigkeit oder gar des Vorrangs der repräsentativen oder der direkten Demokratie– wie der Autor zutreffend schreibt – nicht beantworten. Vielmehr ist in einer realistischen Sichtweise vorzugehen. Und da wird deutlich, dass das Volk auch in der direkten Demokratie kein „reales Subjekt“ darstellt, das einen einheitlichen Willen – Rousseau würde sagen, die „volonté générale“ – äußert. Anders würde das Volk zu einem eigenen Wesen hypostasiert. Man darf mit Grund annehmen, dass das Feld der direkten Demokratie mit starken ideologischen Minen angereichert ist, weshalb die Debatte kaum ohne Blessuren zu überleben ist. Im Ergebnis äußert sich der Autor kritisch zur direkten Demokratie; die Politiker seien in ihr nicht fähig oder nicht bereit, Verantwortung für ihre Entscheidung zu tragen, zumal die Wahlentscheidung damit entwertet werde (S. 84). Was an sich überrascht, ist, dass angesichts der Grundsätzlichkeit der Debatte lediglich Binnenliteratur verwendet wird. Der Blick auf ausländische, durchaus auch positive Erfahrungen mit der direkten Demokratie hätte den Horizont und die Argumentation zweifellos gestärkt, auch wenn der Autor bei seiner kritischen Haltung bliebe.

 

Der interessante § 43 über die „sachverständige Beratung des Staates“ (Andreas Vosskuhle) greift ein wichtiges und auch sehr demokratierelevantes Thema auf: Woher nimmt der Staat das erforderliche Wissen, um seine Entscheidungen rational und mit Augenmaß treffen zu können? Der umsichtig verfasste Beitrag bearbeitet das Thema umfassend. Es ist von großer Bedeutung, dass der Autor auch die interne Wissensorganisation darstellt, etwa in Form von Daten- oder Naturschutzbeauftragten, die in einem engen Sachgebiet zu eigentlichen Experten mit einer gewissen Unabhängigkeit werden. Das Schwergewicht der Abhandlung liegt zu Recht aber auf dem Rückgriff auf privates Wissen, nämlich die Beauftragung von Sachverständigen. Er entwickelt dabei eine Dogmatik des Sachverständigenrechts und zeigt damit auch die Grenzen der Berufung von privatem Sachverstand (S. 466ff.). Der Autor fordert unter anderem eine grundsätzliche gesetzliche Regelung der sachverständigen Beratung. Das dürfte wohl im Ergebnis zu einer Überanstrengung des Gesetzmäßigkeitsprinzips führen, wenn für jede Art von Begutachtung eine gesetzliche Grundlage gefordert wird. Hier wäre die Einschränkung wichtig, dass das vor allem bei Dauerverhältnissen oder längeren Engagements von Sachverständigen die wohl konsequente rechtsstaatliche Forderung ist. Von größter Bedeutung ist das Erfordernis der Subsidiarität der sachverständigen Beratung durch Private: Die Bundesregierung gab „im Zeitraum von Oktober 1998 bis Ende 2003 ca. 128 Mio. Euro für Gutachten und 47,8 Mio. Euro für Honorare an 361 Berater aus. Angesichts einer auf Politikberatung spezialisierten Ministerialbürokratie mit mehreren tausend Mitarbeitern erscheint es zweifelhaft, ob dieses Finanzgebaren ohne weiteres noch mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltführung zu vereinbaren ist.“ (S. 467). Das ist in der Tat die Folgerung, die daraus gezogen werden muss. Der Beitrag untersucht noch weitere Kriterien für eine zulässige private Beratung und Beizug von Sachverstand und entwickelt eine Dogmatik dafür. Es liegt nun an den Behörden, diesen zutreffenden Überlegungen nachzufolgen.

Die §§ 50ff. über die Staatsorgane legen in einer konzisen und hervorragenden Weise den Stoff dar, wie es von jedem seriösen Nachschlagewerk erwartet werden muss. Die zu stellenden Fragen werden kritisch und differenziert beantwortet. Alles in allem steht der dritte Band des neuen Handbuchs seinen beiden Vorgängern in nichts nach und bietet eine zuverlässige und klare Auskunftsquelle für jeden, der sich im Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland kundig machen will.

 

Zürich                                                                                                            Andreas Kley