Gotthard, Axel, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband. Teilband 1 Der Kurverein. Kurfürstentage und Reichspolitik (= Historische Studien 457/1), Teilband 2 Wahlen. Der Kampf um die kurfürstliche „Präeminenz“ (= Historische Studien 457/2) 483-902 S. Matthiesen, Husum 1999. 902 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Ich
stand, so schrieb ein Berliner Privatdozent vor mehr als sechs Jahren, vor
einem einschneidenden beruflichen Wechsel, den ich schon etwas früher erwarten
durfte und der meine zeitlichen Dispositionsmittel mitbestimmt, habe in diesen
Tagen einen Ruf nach Würzburg erhalten, sehe nun klarer in die Zukunft und kann
deshalb meine prinzipielle Bereitschaft zur Rezension erklären, bitte aber
hinsichtlich der Fristen um situationsbedingte Liberalität. Seitdem blieb ein
Dutzend Erinnerungen ohne jede Folge. Also muss der Herausgeber die vom
Fachmann situationsbedingt liberal verursachte bedauerliche Lücke schließen.
Die
Arbeit ist die im Wintersemester 1997/1998 der philosophischen Fakultät I der
Universität Erlangen-Nürnberg vorgelegte, geringfügig überarbeitete
Habilitationsschrift des Verfassers. Angeregt wurde sie von dem früh
verstorbenen Volker Press, der schon den Studenten am stärksten beeindruckt
hatte. Betreut wurde sie von Helmut Neuhaus als langjährigem Chef, dem der
Verfasser anscheinend auch in der Gegenwart noch verbunden ist.
Gegliedert
ist das umfangreiche Gesamtwerk in zwei Bände, weil 902 Seiten vielleicht einen
zu breiten Rücken ergeben hätten, obgleich ein Band vielfach leichter
handhabbar ist als zwei separate Stücke. Der erste Teilband schließt Kurverein
sowie Kurfürstentage und Reichspolitik zusammen. Der zweite Teilband vereint die
Kurfürsten als Wähler mit dem Kampf um die kurfürstliche „Präeminenz“.
In
seiner Einleitung erklärt der Verfasser die von seinem Gegenstand nahegelegte
Säulenmetapher, die er in hundertfachen Variationen tausend- und
abertausendfach in den frühneuzeitlichen Akten vorgefunden habe. Ihrer haben
sich die Gemeinten gern selbst bedient. Sporadisch habe man die Kurfürsten gar
zu Säulen des Kaisertums gemacht.
Im
Gegensatz hierzu seien diese Grundfesten des Reichsbaus bei dessen
Rekonstruktion in der Forschung nur wenig beachtet worden. Dies könne daran
liegen, dass schon das meinungsbildende 18. Jahrhunderte vor allem den
deutlichen Niedergang vor Augen gehabt habe. Demgegenüber habe er sich
vorgenommen, anstatt über das Große und Ganze einer mittlerweile doch ganz gut
ausgeleuchteten Reichsgeschichte zu schwadronieren, ein Motiv
herauszustreichen, das als durchgehendes und prägendes bislang nicht
aufgefallen sei, nämlich den Kampf der Kurfürsten um ihre Präeminenz, um daran
zu zeigen, inwiefern das Ringen um die oligarchischen Züge der Reichsverfassung
die frühneuzeitliche Geschichte beeinflusst habe.
Nach
seinem kurzen Überblick über die bescheidene vorliegende Literatur (Becker,
Luttenberger, Kleinheyer) und dem Hinweis auf die deshalb in beschränkter Zeit
auszuwertenden Aktenberge beginnt der Verfasser seinen ersten Teil mit der
Gründung des Kurvereins von 1555. Chronologisch geordnet folgen
Standessolidarität und konfessioneller Dissens (1558-1618), Standessolidarität
und Glaubenskrieg (1618-1648) „armierte Standessolidarität? (1652-1684) und
schließlich Kurverein ohne Standessolidarität (1686-1745) aufeinander. Danach
werden Deformation und Entpolitisierung deutlich erkennbar.
Auch
der zweite Teil wird grundsätzlich chronologisch gegliedert. Den Präliminarien
und den eingeschobenen Nöten der Grafen von Pappenheim folgen das „Neben und
nach dem Reichstag“ (der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts), die Möglichkeit
des Reichstagssurrogats (in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts) und
das Ende des nichtwählenden Kurfürstentags (kurz nach der Mitte des 17.
Jahrhunderts). Im Rückgriff auf die Goldene Bulle stellt der Verfasser dann
noch formale Unschärfen dar, in deren Rahmen er die Ausschreiben zu wählenden
Kurfürstentagen und den Böhmenkönig als Kurfürsten besonders vertieft.
Der
dritte Teil untersucht die Kurfürsten als Wähler. Den Ausgangspunkt bildet der
Grundsatz der freien Wahl, wie er sich besonders im 14. Jahrhundert tatsächlich
ausgewirkt hat. Ihm stehen freilich zahlreiche Sachzwänge und Gefahren gegenüber.
Besondere Probleme bringen dabei naheliegenderweise die Wahlen zu Lebzeiten
eines Kaisers mit sich.
Im
vierten Teil steht der Kampf um die kurfürstliche Präeminenz im Mittelpunkt.
Als eigentliche Kurfürstenzeit erweist sich dabei das Spätmittelalter, während
von 1519 bis 1635 zwar Entfaltungsmöglichkeiten für die Kurfürsten als des
Kaisers innerste Räte bestehen, der Niedergang seit der Mitte des 17.
Jahrhunderts aber nicht wirklich aufzuhalten ist.
Im
kurzen Rückblick fasst der Verfasser seine vielfältigen überzeugenden
Ergebnisse zusammen. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert treten die Kurfürsten
hinter den anderen Fürsten zurück und um 1685 steht fest, dass die Kurfürsten
den seit den späten 1630er Jahren notorischen standespolitischen Kampf nicht
gewinnen können. Abkürzungsverzeichnis, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie
Register erschließen die gewichtige Untersuchung, die schon früher die
unmittelbare Kenntnisnahme durch die Rechtsgeschichte verdient hätte.
Innsbruck Gerhard
Köbler