Frauenrecht und Rechtsgeschichte.
Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, hg. v. Meder,
Stephan/Duncker, Arne/Czelk, Andrea unter Mitwirkung v. Aigner, Tanja
(= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 4).. Böhlau, Köln 2006. VIII, 389
S. Besprochen von Werner Schubert.
Die Beiträge sollen es nach dem „Vorwort“ der Herausgeber den Interessierten verschiedener Fachrichtungen ermöglichen, sich über die Ergebnisse der im Umfeld des von der DFG geförderten Projekts: „Reformforderungen zum Familienrecht und zur Rechtsstellung der Frau in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik“ durchgeführten Forschungen zur „Juristischen Konstruktion von Geschlechtscharakteren“ zu informieren. Sie beruhen vor allem auf den Vorträgen, die im Rahmen der seit 2002 in Hannover jährlich veranstalteten Tagungen zur Frauen- und Familienrechtsgeschichte gehalten wurden. Birgit Feldner unternimmt eine präzise Interpretation der Quellen zur Vermögensverwaltung durch die Frau im klassischen römischen Recht, während Franziska Tellermann eine Neuinterpretation der Leges des kentischen Königs Aethelberht (560-618 n. Chr.) im Hinblick auf die Eigenrechtlichkeit der Frau vornimmt. Männliche Vorkämpfer der Frauenrechte behandeln Christine Susanne Rabe: „Die Stellung der Frau bei Karl Christian Friedrich Krause und seinen Schülern“, Eike Nielsen: „Die Ehe zwischen Recht und Sitte. Naturrechtliche Stimmen des 19. Jahrhunderts. zur Beziehung zwischen Mann und Frau in der Ehe: Eduard Gans, Karl David August Röder und Heinrich Ahrens“, Sepideh Koujouie: „Die Frauenfrage als Menschheitsfrage. Das Leben und Wirken des Geheimen Justizrats Carl Bulling (1822-1909) und Eric Neiseke: „Theodor Gottlieb von Hippel als Fürsprecher einer egalitären Stellung der Geschlechter? Das Urteil der deutschen Frauenbewegung und dessen Folgen im historischen Kontext“. Die Beiträge von Rabe und Nielsen über die Naturrechtler des 19. Jahrhunderts belegen, dass Röder und Ahrens wichtige Stichwortgeber der Frauenbewegung um 1870 waren und in engem Kontakt zum Allgemeinen Deutschen Frauenverein standen. Schon aus diesem Grunde wären umfangreichere Ausführungen zu Leben und Inhalt ihrer Werke wünschenswert gewesen. Koujouie geht leider in seinem Beitrag über den Oldenburger Juristen nicht näher auf dessen Stellungnahme zum Unehelichenrecht des 2. BGB-Entwurfs und zur Stellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch ein. Stephan Meder behandelt die „Forderungen von Friedrich D. E. Schleiermacher zur Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen in einem ungedruckten Fragment aus dem Jahre 1797“. Im Einzelnen arbeitet er die Forderung Schleiermachers zu einer rechtlichen Angleichung von nichtehelichem und ehelichem Zusammenleben heraus, die auf eine Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen und nichtehelichen Kindern zielten.
Zu knapp erscheint der Beitrag Hanna Szymanskis über die Französin Flora Tristan (1803-1844), deren Schrift „Arbeiterunion“ (deutsch 1988) wohl als die bedeutendste sozialistische Programmschrift vor Erscheinen des „Kommunistischen Manifestes“ angesehen werden kann. Harry Willekens (Antwerpen) arbeitet in seinem Beitrag: „Die Geschichte des Familienrechts in Deutschland seit 1794: Eine Interpretation aus vergleichender Perspektive“ anhand der preußischen Rechtsentwicklung (Allgemeines Landrecht; Unehelichengesetz von 1854) und der deutschen Familienrechtsentwicklung vom Bürgerlichen Gesetzbuch an die Besonderheiten der deutschen Entwicklung im Vergleich zum französischen und englischen Recht heraus. Für Preußen stellt er mit Recht die „merkwürdige Mischung von Progressismen und Archaismen“ heraus, für das 20. Jahrhundert die „Reformschwäche des deutschen Gesetzgebers“. Sechs Beiträge gehen auf die Zeit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, welche den entscheidenden Impuls für die Rechtsaktivitäten der Frauenvereine gebildet hat, wie Stefanie Figurewicz in ihrem Beitrag: „Die Rechtskämpfe der älteren Frauenbewegung gegen das BGB von 1896 – Skizze zum gegenwärtigen Forschungsstand“ herausarbeitet. Christiane Henke befasst sich mit „Gleichheit und Gerechtigkeit als feministische Rechtsforderungen“ bei Hedwig Dohm und Anita Augspurg. Die Textentwicklung, nicht jedoch die inhaltliche Analyse des sog. Gehorsamsparagraphen (§ 1354 BGB) ist Gegenstand der Abhandlung von Stefanie Figurewicz. Jens Lehner befasst sich mit der „sog. elterlichen Gewalt in der Kritik“. Dagegen ist der Beitrag von Steffen Baumgarten über das Namensrecht des unehelichen Kindes inhaltlich breiter angelegt. Neue Erkenntnisse über mittelbare Einflüsse der Vorschläge von Emily Kempin und Proelß/Raschke zur Stellung der Frau im 2. BGB-Entwurf auf die Beratung der BGB-Reichstagskommission vermittelt der Beitrag von Arne Duncker: „Die ,Anträge Pauli’ – ein Gegenentwurf zugunsten der Frauen in den Beratungen zum BGB“. In dieser Kommission vertrat der der Reichspartei angehörende Industrielle Stumm-Halberg die Anträge des aus der Kommission ausgeschiedenen Abgeordneten Pauli, der ebenfalls der Reichspartei angehörte und die auf eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau zielten, wenn auch nicht auf eine völlige Gleichstellung oder auch nur auf einen Abbau des ehemännlichen und väterlichen Vorrangs im Familienrecht. Andererseits erschöpften sich die Anträge, von denen fünf Erfolg hatten, nicht etwa in kosmetischen oder marginalen Änderungen des Gesetzes. Sie schlugen vielmehr „gezielte und durchaus weit reichende Änderungen wichtiger Einzelnormen und darüber hinaus des gesamten Güterrechts“ vor (S. 273). Auch wenn die Anträge Pauli, so stellt Duncker abschließend fest, „nicht so weit gehen mochten wie einige Forderungen der Sozialdemokraten, der Linksliberalen oder der Frauenbewegung“, so „hatten sie gegenüber diesen doch einen unbestreitbaren Vorzug: Sie waren wenigstens partiell durchsetzbar“. Auf das 20. Jahrhundert beziehen sich drei Beiträge. Andrea Czelk befasst sich mit der Einstellung der bürgerlichen Frauenbewegung zum § 217 StGB (Kindstötung) und § 1717 BGB a. F. (Mehrverkehrseinrede). Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege durch zwei Gesetze von 1922 berichtet Oda Cordes; allerdings ist die eigentliche Gesetzgebungsgeschichte (etwa die Beratungen im Bundesrat) nicht sehr genau geschildert (vgl. etwa die Vorbehalte Bayerns gegen das Gesetz über die Heranziehung von Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt; vgl. Bundesratsprotokolle von 1922, S. 321). Abschließend geht David Großekathöfer auf die engen Grenzen ehevertraglicher Gestaltung in der DDR unter der Überschrift „Gleichberechtigung contra eheliche Übereinkunft“ ein.
Der Sammelband gibt einen guten Einblick in den derzeitigen
Stand der Forschungen über die familienrechtlichen Reformvorhaben und die
Rechtsstellung der Frau vornehmlich im 19. Jahrhundert und im ersten Drittel
des 20. Jahrhunderts. Die Beiträge machen deutlich, dass noch immer eine
zusammenfassende Quellensammlung und Darstellung der Geschichte des
„Frauenrechts“ für diesen Zeitraum fehlt. Deshalb ist es zu bedauern, dass ein
Teil der Beiträge – wohl aus Platzgründen – auf detailliertere Analysen des
Quellenmaterials, die Voraussetzungen für weitere Fortschritte in der
Rechtsgeschichte des „Frauenrechts“ wären, verzichten mussten.
Kiel |
Werner Schubert |