Försch, Herbert, Die Scheidungsgründe im Wandel der Zeit.
Die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Scheidungsgründen
vom Inkrafttreten des BGB bis zur Einführung des Zerrüttungsprinzips 1976 (=
Rechtsgeschichtliche Studien 18). Kovač, Hamburg 2006. XXI, 218 S.
Besprochen von Werner Schubert.
Die Untersuchungen von Försch beziehen sich auf die gesetzgeberische Entwicklung des Ehescheidungsrechts seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bis zur Scheidungsrechtsreform von 1976 sowie auf die Frage, wie die höchstrichterliche Judikatur mit den gesetzlichen Vorgaben umgegangen ist. Försch kennzeichnet zunächst die Scheidungstatbestände des BGB im Einzelnen (S. 6ff.) und kommt dann zur Rechtsprechung des Reichsgerichts bis 1933 zu den Tatbeständen der §§ 1565ff. BGB a. F. Ob in der Weimarer Zeit Änderungen gegenüber der Kaiserzeit stattgefunden haben, wird nicht näher thematisiert. Mit Recht stellt Försch fest, dass mit der Einführung der Generalklausel des § 1568 BGB die Möglichkeit geschaffen worden sei, auf die individuellen Verhältnisse der Parteien einzugehen und dass damit Ehen geschieden werden konnten, welche nach altem Recht nicht die Voraussetzungen für eine Ehescheidung erfüllten (S. 53). Die rechtspolitische Diskussion der Jahre 1918 bis 1933 zur Reform des Scheidungsrechts wird S. 54ff. kurz dargestellt. In dem Abschnitt „Ehescheidung zur Zeit des Nationalsozialismus“ (S. 61ff.) geht der Verfasser auf die Entstehung des Ehegesetzes etwas sehr knapp ein (vgl. hierzu die Quellen bei W. Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, 1993; ders., Akademie für Deutsches Recht, 1933 bis 1945. Protokolle der Ausschüsse, Bd. III, 2, 1989). Die Judikatur zu § 49 EheG (Generalklausel zur Verschuldensscheidung) und § 55 EheG (verschuldensunabhängige Zerrüttungsscheidung) ist zwar berücksichtigt, jedoch kaum in der für verallgemeinerungsfähige Aussagen notwendigen Breite (zu § 55 vgl. noch die Arbeiten von Dieter Niksch, Die sittliche Rechtfertigung des Widerspruchs gegen die Scheidung der zerrütteten Ehe in den Jahren 1938-1944, Diss. iur. Köln 1990; Kathrin Nahmmacher, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Hamburger Gerichte zum Scheidungsgrund des § 55 EheG 1938 in den Jahren 1938 bis 1945, Frankfurt am Main 1999). Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen, zu denen V. Hoffmann-Steudner, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu dem Scheidungsgrund des § 49 EheG (Ehegesetz 1938) in den Jahren 1938 bis 1945, 1999, S. 225ff. gekommen ist, wäre erwünscht gewesen. Es folgt S. 139ff. die Behandlung des Ehegesetzes von 1946 und der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis 1976. Hier vermisst der Leser vor allem eine breitere Auseinandersetzung darüber, inwieweit der Bundesgerichtshof insbesondere in seiner Judikatur zu den §§ 43 (bisher § 49) EheG und zu § 48 (§ 55) EheG eine restriktivere Linie als das Reichsgericht verfolgte (hierzu M. Hetzke, Die höchstrichterliche Rechtsprechung von 1948-1961 zum Scheidungsgrund des § 48 EheG 1948 wegen unheilbarer Zerrüttung, 2000, S. 225ff.). Auf die Auswirkungen der Änderung des § 48 Abs. 2 EheG im Jahre 1961 geht Försch nicht näher ein.
Da die Untersuchungen auf die „durchgehende
Entwicklungstendenz“ konzentriert sind, wie nämlich die ursprüngliche Dominanz
des Verschuldensprinzips durch das Vordringen des Zerrüttungsgedankens zunächst
eingeschränkt und schließlich aufgehoben wurde (vgl. S. 1 f.), kommen insgesamt
die zeitspezifischen Entwicklungslinien nicht immer voll zur Geltung. Die Zahl
der von Försch herangezogenen Urteile zu den Generalklauseln (§ 1568 BGB,
§§ 49/43 EheG und zu §§ 55/48) war wohl zu gering, als dass sich
hieraus hinreichend abgesicherte Ergebnisse hätten gewinnen lassen können (vgl.
hierzu die Zusammenfassungen S. 51ff., 135ff., 189f.). Das Verdienst der
Untersuchungen ist vor allem darin zu sehen, dass Försch über die bisher
vorliegenden Untersuchungen zur Geschichte des Ehescheidungsrechts hinaus auch
die Rechtsprechung zu den Spezialtatbeständen herangezogen hat. Für das BGB a. F.
waren dies der Ehebruch, die Lebensnachstellung, die bösliche Verlassung und
die Geisteskrankheit, für das Ehegesetz der Ehebruch, die Verweigerung der
Fortpflanzung, das auf geistiger Störung beruhende Verhalten, die
Geisteskrankheit, ansteckende oder Ekel erregende Krankheiten sowie
Unfruchtbarkeit. Hierzu enthält das Werk einige wichtige Beobachtungen wie etwa
diejenige, dass die Verweigerung der Fortpflanzung, die als neuer
Scheidungsgrund in § 48 EheG Berücksichtigung fand, bereits in der
Scheidungsjudikatur der frühen NS-Zeit Berücksichtigung fand. Insgesamt
verdeutlichen die Untersuchungen von Försch die Notwendigkeit von
epocheübergreifenden rechtsprechungsgeschichtlichen Darstellungen, das heißt
von Untersuchungen, die von der Kaiserzeit über die Weimarer Zeit und die
NS-Zeit zumindest bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik reichen. Mit dem
Werk von Försch ist hierzu der Anfang für einen zentralen Bereich der
Familienrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts gemacht.
Kiel |
Werner Schubert |