Floßmann, Ursula, Frauenrechtsgeschichte. Ein Leitfaden
für den Rechtsunterricht (= Linzer Schriften zur Frauenforschung 26). Trauner,
Linz 2004. X, 298 S. Besprochen von Arne Duncker.
In ihrem Leitfaden „Frauenrechtsgeschichte“ versucht Floßmann
eine Gesamtdarstellung zur geschlechterspezifischen Rechtsgeschichte aus
österreichischer Sicht, wobei der Schwerpunkt im 18.-20. Jahrhundert liegt:
Diese Epoche nimmt mehr als vier Fünftel des Werkes ein, während die früheren
Jahrhunderte vergleichsweise kurz abgehandelt werden. Frauenrechtsgeschichte wird dadurch in erster
Linie zur Geschichte der Frauenrechte in der neuzeitlichen bürgerlichen
Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung konkreter Reformforderungen aus den europäischen
Frauenbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (vgl. S. 130-201).
Die Autorin bezeichnet ihr Werk als
Versuch einer eigenen Frauenrechtsgeschichte für den akademischen Unterricht.
Sie ist als Koordinatorin des Linzer Studienschwerpunkts „Frauenrecht“ tätig
und begleitet dessen Ausbildungsprogramm durch Lehrveranstaltungen, namentlich
zur „Frauenrechtsgeschichte Österreichs unter besonderer Berücksichtigung der
europäischen Rechtsgeschichte“ (vgl. Vorwort). Im einzelnen ist die Darstellung
in fünf Teile gegliedert, welche einer chronologischen Ordnung folgen. Während
die vergleichsweise kurzen ersten drei Teile durch knappe Überschriften
zeitlich verortet werden („Älteres Recht - Mittelalter“, S. 1-13;
„Rezeptionszeitalter“, S. 13-54, „Aufklärung - Kodifikationszeitalter“, S.
54-107), werden Teil 4 und 5 mit längeren Titeln überschrieben, die eher eine
inhaltliche als eine zeitliche Bestimmung beabsichtigen. Teil 4 (S. 108-201),
der im wesentlichen sehr detailliert die österreichischen und
gesamteuropäischen Frauenrechtsdiskussionen von etwa 1848 bis in die ersten
Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts behandelt, trägt die Überschrift „Fortführung
des Gleichheitsdiskurses und die verfassungsrechtliche Verankerung des
Gleichheitssatzes - oder: If all Men are born free, how is it that all Women
are born slaves?“. Teil 5 (S. 202-284 einschließlich zweier Anhänge) beschränkt
sich weitgehend auf die österreichischen Entwicklungen von 1920 bis zur
Gegenwart und ist überschrieben „Der Weg vom formalen zum materiellen
Gleichheitsverständnis“. Bereits aus Gliederung, Themengewichtung und formaler
Gestaltung des Gesamtwerks lässt sich erkennen, dass es sich noch nicht um eine
Arbeit „aus einem Guss“ handelt, in welcher Frauenrechtsgeschichte in ein
einheitliches und harmonisches systematisches Darstellungskonzept aus
aufeinander abgestimmten Einzelteilen überführt worden ist, sondern erst einmal
mehr um die Zusammenführung und Bündelung recht heterogener Module aus dem frauenrechtsgeschichtlichen
Forschungs- und Lehrbetrieb. Beispielhaft hierfür mag stehen, dass einerseits
die Rechtsstellung der mittelalterlichen Frauen auf dem Lande auf lediglich
einer halben Seite mit Verweis allein auf die Weistümerkompilation Fehrs von
1912 abgehandelt wird (S. 13), während die Naturrechtslehren Martinis und
Zeillers im Umfeld der Kodifikation des österreichischen ABGB (S. 93-99) in
einer sehr begrüßenswerten Detailschärfe mit unmittelbarem Quellenbezug
analysiert werden. Dies soll dem vorliegenden Werk freilich nicht zum Vorwurf
gemacht werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschlechterverhältnisse
steht, wie Floßmann selbst anmerkt, erst am Anfang. Die Frauenrechtsgeschichte
ist eine Teildisziplin, die erst spät ins Blickfeld der Rechtshistoriker
geraten ist, in der eine hinreichende Systembildung noch abzuwarten bleibt und
in der andererseits ein dringender Bedarf nach einer wissenschaftlichen
Gesamtübersicht besteht. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Floßmanns Werk
durchaus eine Pionierarbeit. Es war ein richtiger Entschluss, den Leitfaden zur
Frauenrechtsgeschichte bereits jetzt unter Inkaufnahme einer gewissen
Lückenhaftigkeit und Uneinheitlichkeit zu veröffentlichen, denn ein Buch wie
dieses wurde dringend gebraucht. Alle noch notwendigen Ergänzungen und
Nachbesserungen bleiben den Folgeauflagen vorbehalten, die diesem Werk - gerade
auch im Hinblick auf eine weitere Etablierung des Forschungs- und
Lehrgegenstands Frauenrechtsgeschichte - auf jeden Fall zu wünschen sind.
Bereits in der jetzigen Fassung enthält
die Darstellung Floßmanns im übrigen einige sehr begrüßenswerte Elemente. In
erster Linie ist hier der starke unmittelbare Bezug auf Quellentexte
hervorzuheben. Eine Reihe wichtiger Quellen zur Frauenrechtsgeschichte (nur
beispielhaft seien hier Christine de Pizan, der Hexenhammer, Dorothea Erxleben,
Rousseau, Hippel, Olympe de Gouges, Bachofen, Bebel genannt) wird in längeren
Passagen im Wortlaut zugänglich gemacht. Auf diesem Weg erfolgt ein didaktisch
sehr ansprechender unmittelbarer Zugang zur rechtshistorischen Quelle, wie er
in dieser Form in rechtshistorischen Lehrbüchern im allgemeinen noch viel zu
selten versucht wird. Ergänzt wird dies Vorgehen durch sehr gut ausgearbeitete
Kurzbibliographien am Anfang der jeweiligen Abschnitte. Weiterhin ist darauf zu
verweisen, dass Floßmanns Leitfaden eine im besten Sinne interdisziplinäre
Arbeit darstellt: die Frauenrechtsdebatten werden als Teil der allgemeinen
Frauengeschichte betrachtet und ergänzt durch wichtige Erläuterungen zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage der Frau, zur Geschichte der
Frauenorganisationen, zu philosophischen, theologischen und politischen
Diskursen über und mit Frauen. Häufig wird die Aussage der spezifisch
juristischen Quellen zur Stellung der Frau erst deutlich, wenn die genannten
Aspekte weiterer Fachdisziplinen einbezogen werden. Ein grundsätzliches Problem
im Umgang mit historischen frauenrechtlichen Quellen liegt im übrigen darin,
dass aufgrund mangelnder juristischer Ausbildung des weiblichen Geschlechts
mindestens bis kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts solche Texte ganz überwiegend
Erörterungen männlicher Autoren über Frauen sind. Hier ergibt sich die Gefahr
einer quellenbedingt verzerrten Perspektive. Floßmann weiß diesem Problem geschickt
zu begegnen, indem sie die Quellenbasis erweitert und immer wieder Texte von
Frauenseite einbezieht, die mitunter nicht unmittelbar dem juristischen Diskurs
entstammen, sondern den zeitgenössischen philosophischen, politischen u.a.
Diskussionen mit Bezug auf juristisch relevante Themen.
Zu den besonderen Schwerpunkten
Floßmanns gehören die philosophischen Thesen Poullain de la Barres zu
Gleichheit der Geschlechter (S. 49-54), Dorothea Erxleben (S. 57-60), Rousseau
(S. 60-65), Olympe de Gouges (S. 74-78), Hippel (S. 85-90), das ABGB im
Zusammenhang mit den Lehren Martinis und Zeillers (S. 93-103), Frauenengagement
in der Wiener Revolution 1848 (S. 103-107), Matriarchatsforschung bei Bachofen
und Morgan (S. 114-121), Engels und Bebel (S. 122-129). Innerhalb des
sicherlich bedeutendsten Unterabschnitts der Arbeit („Die Alte Frauenbewegung“,
S. 130-201) folgt dann eine Darstellung der Frauenorganisationen in Österreich
(S. 132-141) nebst einzelner Rechtsforderungen (S. 141-166: Recht auf Bildung,
auf Erwerb, politische Rechte, Reformforderungen zum ABGB), ähnliche Abschnitte
gibt es zu Deutschland (S. 166-173), England (S. 173-189) und Frankreich (S.
189-201). Im weiteren Verlauf vertieft Floßmann u. a. die
Geschlechtergleichheit im österreichischen Staatsrecht seit 1920 (S. 202-208),
die Zeit des Austrofaschismus (S. 208-214) und Nationalsozialismus (S. 214-230),
ferner die Verfassung von 1945 (S. 231-235), die Reformära der 1970er Jahre (S.
236-250: neue Frauenbewegung, Änderungen im Abtreibungs- und Familienrecht),
schließlich die neuesten Entwicklungen des Gleichheitssatzes (S. 250-256).
Letzeres leitet über zu zwei programmatischen Anhängen „Frauenförderung als
Verfassungsauftrag“ und „Vom formalen zum feministischen
Grundrechtsverständnis“ (S. 257-284). Leider fehlt ein Personen- und
Sachregister, welches gerade für Zwecke des akademischen Unterrichts wertvoll
wäre.
Insgesamt handelt es sich um ein neues
Grundlagenwerk zur Frauenrechtsgeschichte, dem - wie bereits betont - weitere
Auflagen zu wünschen sind. Ergänzungsmöglichkeiten bestehen insbesondere
hinsichtlich der Zeit vor ca. 1780. Auch könnte eine kurze Einführung mit
Überblick über Forschungsstand, aktuelle Forschungsschwerpunkte, Aufbau und
Ziel des Werkes vorangestellt werden. Der in erster Linie für den Einsatz in
Österreich konzipierte Leitfaden ist über weite Strecken durchaus auch für die
Verwendung in der deutschen und Schweizer Forschung und Lehre geeignet: im
Hinblick auf eine solche Verwendung wäre es unter Umständen denkbar, einige Rechtsentwicklungen
der deutschsprachigen Länder außerhalb Österreichs einzufügen.
Hannover Arne
Duncker