Eike von Repgow,
A Szász tükör (Der Sachsenspiegel), hg. v. Blazovich, László/Schmidt, József
(= Reihe „A Pólay Elemér Alapítvány Könyvtára“, Bd. 5), Csongrád Megyei
Levéltár Verlag, Szeged 2005. 365 S. Besprochen von Katalin Gönczi.
Als Folge der jetzigen Phase der europäischen Integration lässt sich feststellen, dass in Ungarn die Disziplin „Rechtsgeschichte im europäischen Kontext“ immer mehr Raum gewinnt. Die sprachlichen Barrieren, die bisher ein wesentliches Problem der ostmitteleuropäischen Rechtsgeschichte darstellten, können durch Übersetzungen ungarischer rechtshistorischer Abhandlungen überwunden werden. Man kann also von einer zunehmenden Durchlässigkeit der nationalen Rechtskulturen sprechen, was sich auch an der wachsenden Zahl deutsch- und englischsprachiger Publikationen ungarischer Rechtshistoriker erkennen läßt. Übersetzungen in das Ungarische vermitteln die Werke der europäischen Rechtsgeschichte auch in die andere Richtung, ermöglichen einen besseren Zugang zu diesen Werken und dienen auch didaktischen Zwecken. Besonders wichtig sind dabei die Vorworte, aus denen die Intentionen der Übersetzer zu erkennen sind.
Der Herausgeber dieses Bandes, der Szegeder Archivdirektor und Universitätsprofessor László Blazovich und der Übersetzer des Sachsenspiegels, der Szegeder Germanist József Schmidt, haben sich vorgenommen, eines der wichtigsten Werke der deutschen mediävistischen Rechtsgeschichte, das auch für die Rechtsgeschichte Ostmitteleuropas von Bedeutung ist, für das ungarische Publikum in ungarischer Sprache zugänglich zu machen. Begleitet von mehreren Experten der Germanistik, Historiographie und Rechtsgeschichte haben Blazovich und Schmidt ebenfalls zur Entstehung einer „Rechtsgeschichte im europäischen Kontext“ in Ungarn beigetragen. Diese ungarischsprachige Textausgabe deutscher mittelalterlicher Rechtsbücher ist nach der Veröffentlichung des Ofner Stadtrechts 2001 bereits die zweite Übersetzung des Szegeder Teams. Leider fehlt in der Textausgabe ein Vorwort, aus dem die Intentionen der Herausgeber erkannt werden können.
Die Übersetzung ist aber von ausführlichen Einleitungstexten begleitet, die aus der Sicht der ungarischen Mediävistik ein Novum sind. Erstmals kann man sich ausführlich in ungarischer Sprache über die deutsche Sozialgeschichte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts informieren. Die bisherige rechtshistorische Literatur – so auch das Lehrbuch von György Bónis und Márton Sarlós aus dem Jahre 1957 – kam nämlich nicht ohne die damals maßgebende mechanisch-marxistische Ideologie aus. Selbst die Wissenschaftssprache mußte daher nun ohne die bisherigen ideologischen Schranken neu geschöpft werden. Interessanterweise enthält die Einleitung, die von László Blazovich verfasst worden ist, Elemente der Mentalitätsgeschichte.
Die Entstehungsgeschichte, die Struktur und Handschriften des Rechtsbuches werden in der Einleitung präzise erläutert. Dabei wird insbesondere auf Eikes Wissenshintergründe und Sprache eingegangen. Hier wäre für den Leser von besonderem Interesse, wie sich Eikes Laufbahn auf den Text des Sachsenspiegels ausgewirkt hat, welche Zusammenhänge man also zwischen der Rechtsprechung und Normfixierung aus dem Text erkennen kann.
Einige Ansichten des Autors hinsichtlich der Wissenschaftsgeschichte lassen sich allerdings bestreiten. Blazovich spricht über die „Geburt der Rechtswissenschaft in Deutschland“ (S. 6.), die zu Eikes Zeit noch nicht stattgefunden habe. Berücksichtigt man die Entwicklung des europäischen ius commune, lässt sich aber die von Italien ausgehende Rechtswissenschaft europaweit nachweisen. Rechtswissenschaft hat sich auch in Deutschland seit langem entwickelt, anfangs als Folge der Rezeption des römischen Rechts, dann aber auf eigenen Wegen.
Blazovich spricht weiterhin im Hinblick auf die Struktur der Rechtsaufzeichnung von einer Aufteilung der Gesetzbücher, die auf die Naturrechtslehre und die Pandektistik zurückgeführt wird (S. 15.), was man mit Kenntnis des römischen Rechts und der europäischen ius commune ebenfalls mit Kritik liest. Eine Strukturierung nach der ständischen Gesellschaftsordnung kann man z. B. in István Werbőczys Rechtsbuch und auch im Ofner Stadtrechtsbuch entdecken.
Der Autor der Einleitung setzte seine Ausführungen mit einer detaillierten Dogmatik des Sachsenspiegels fort; man wird von den präzisen dogmatischen Kenntnissen der Herausgeber überzeugt. Sie haben den bisher gewohnten Weg der Rechtsgeschichte gewählt, eine Systematisierung des Rechtsmaterials zu liefern. Es ist tatsächlich eine schwierige Aufgabe, die bisherige Literatur zum Sachsenspiegel zu reflektieren und zugleich für die Forschung Innovatives zu bieten. Daher beschreibt Blazovich den Sachsenspiegel nach modernen Rechtszweigen und liefert damit systematisierte Inhaltsangaben des Rechtsbuches.
Diese Zusammenstellung entspricht aber der dogmengeschichtlichen Methodik, die in Analysen mittelalterlicher Texten in Ungarn teilweise bereits überwunden ist. Führende ungarische Rechtshistoriker wie János Zlinszky und Béla Szabó verwenden bereits das neue Paradigma „Schichten“ eines Rechtsmaterials. Anstelle der Dogmengeschichte wäre es also interessant zu erfahren, wie sich das Rechtsmaterial des Sachsenspiegels angereichert hat und welche Schichten des Rechtsbuches existieren. Guido Kisch publizierte bereits im Jahre 1941 eine Arbeit mit dem Titel „Sachsenspiegel and Bible“. Ebenso aufschlussreich wäre es, anhand der ständischen Gesellschaft die Rechtsstellung der Personen darzustellen.
Auch in der Darstellung der Dogmatik lassen sich einige kritische Punkte entdecken. Im Mittelalter kann kaum von der Durchsetzung der Privatsphäre in einer individualisierten Gesellschaft die Rede sein (S. 19). Problematisch scheinen auch die Anmerkungen zur Rolle der Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Nur wenn man die neuzeitliche Laufbahn der Frauen als Maßstab nimmt, läßt sich feststellen, dass die „militärische und richterliche Laufbahn für Frauen im Mittelalter nicht offen war“ (S. 20). Hinweise auf parallele Stellen in der mittelalterlichen ungarischen Rechtsordnung wären aber aufschlußreicher und würden den Weg zu einer europäischen Rechtsgeschichte markieren.
Im zweiten thematischen Schwerpunkt behandelt Blazovich die Bedeutung des Sachsenspiegels für das Recht der Zipser Sachsen. Nach einer historischen Betrachtung zur Ansiedlung der Zipser Sachsen wird das 1370 aufgezeichnete Rechtsbuch der Zipser Sachsen nach der bereits bekannten Methodik charakterisiert: Entstehungsgeschichte, Sprache und Struktur des Rechtsbuches, und schließlich Dogmatik des Rechtsbuches, also öffentliches Recht, Eigentumsrecht, Schuldrecht, Strafrecht und Handelsrecht. Bei den einzelnen dogmatischen Kapiteln werden die parallelen Stellen aus dem Sachsenspiegel zusammen mit den Normen der Zipser Willkür zweispaltig abgedruckt. Eine verkürzte deutschsprachige Version des Textes ist ebenfalls im Band zu finden.
Als dritter thematischer Schwerpunkt wird das Ofner Stadtrechtsbuch zusammen mit anderen Rechtsaufzeichnungen aus Ungarn sowohl auf Ungarisch als auch auf Deutsch dargestellt. Dieses Rechtsbuch ist eine der wichtigsten Rechtsaufzeichnungen, die in der mittelalterlichen ungarischen Geschichte entstanden sind. In den Anmerkungen findet man Hinweise sowohl auf die mechanisch- marxistische Literatur, wie György Székelys Arbeit aus dem Jahre 1956, aber auch auf neuere Literatur. Bedauerlicherweise geht der Autor aber auf die neuesten Forschungsergebnisse zur interkulturellen Bedeutung dieses Rechtsbuches nicht ein; unter anderem Martyn Rady und Nadja El Beheiri haben dazu wichtige Beiträge geliefert. Stattdessen folgt das Buch der Tradition der Erstherausgeber Andreas Michnay und Paul Lichner sowie der Textanalyse Neda Relkovics. Allerdings wird auch die aktuelle Publikation Heiner Lücks zum Einfluss des Sachenspiegels in Ungarn, speziell auf das Ofner Stadtrechtsbuch, ausführlich zitiert. Blazovichs These, dass das Ofner Stadtrecht in die Rechtsordnung der ungarischen Marktflecken „heruntergesickert“ ist, wird detailreich mit vielen Belegen dargestellt (S. 75-78).
Der Leser des 21. Jahrhunderts stellt fest, dass in ungarischer Sprache äußerst viel Arbeit geleistet wurde, aber er fragt sich gleichzeitig, wo die Auseinandersetzung mit der Geschichtsschreibung zum Einfluss des Sachsenspiegels in Osteuropa bleibt – es finden sich keine kritischen Töne über die Rolle der Stadtrechtskarten und Karl August Eckhardts in der Zeit der germanozentrischen Rechtsgeschichtsschreibung.
Die Übersetzung des Textes ist sehr gelungen, dies lässt sich anhand der Zweischwerterlehre, der Reimvorrede und der Heerschildordnung gut prüfen. Einige ausführliche Register ergänzen die Übersetzung, die den schnellen Einstieg in den Text ermöglicht. Dieser Teil belegt, dass eine zweisprachige Ausgabe (wie vom früheren Corpus Juris Hungarici) für deutsche Leser sehr von Interesse ist.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die ungarische Ausgabe des Sachsenspiegels den Zugang zu den europäischen mittelalterlichen Rechtsbüchern erleichtert, womit eine neue Generation von ungarische Studenten schon von Anfang an für das Studium der mediävistischen Rechtsgeschichte motiviert werden kann. Zugleich wird durch die gründliche Arbeit von László Blazovich und József Schmidt ein grenzüberschreitender Vergleich ermöglicht, was aus Sicht der europäischen Rechtsgeschichte innovativen Charakter hat.
Frankfurt am Main/Budapest Katalin Gönczi