Dirr, Kathrin, Hoheitsrechtliche Streitigkeiten zwischen den Kölner Erzbischöfen und
der Stadt Köln auf Grundlage reichskammergerichtlicher Verfahren des 16. und
17. Jahrhunderts (= Rechtshistorische Reihe 313). Lang, Frankfurt am Main 2005.
199 S. Besprochen von Dieter Strauch.
Die Verfasserin hat ein heißes Eisen der
Kölner Stadtgeschichte angefasst: Den seit dem hohen Mittelalter währenden
Kampf der Stadtgemeinde gegen ihren Landesherrn, den Erzbischof. Die in ganz
Europa tätigen Kaufleute Kölns hatten 1180 ein kaiserliches Privileg für den
Mauerbau erwirkt, dem Erzbischof bereits am Anfang des 13. Jahrhunderts einen
Rat abgetrotzt, 1288 in der Schlacht bei Worringen auf Seiten der Sieger gekämpft
und erreicht, dass der Erzbischof seine ständige Residenz in der Stadt aufgab
und sie nach Brühl bzw. Bonn verlegte. Sie hatten 1388 mit Hilfe der inzwischen
ansässigen Bettelorden aber ohne erzbischöfliche Beteiligung und Unterstützung
die päpstliche Approbation für ihre Universität erlangt und schließlich nach
dem Burgundischen Krieg – sehr zum Missfallen des Erzbischofs – von Kaiser
Friedrich III. 1475 ein Privileg erlangt, das sie zur freien Reichsstadt
machte. Jedoch gaben die Erzbischöfe nicht auf: Sie sahen nicht ein, dass ihre
größte und schönste Stadt, die ihrer Größe wegen bereits ein kleines
Territorium darstellte und zugleich eine reiche Steuerquelle war, sich ihrer
Herrschaft zu entziehen suchte und einen Fremdkörper im ohnehin wenig
geschlossenen und von den umgebenden Landesfürsten mit Habgier betrachteten
kurkölnischen Territorium zu bilden trachtete.
Da die Stadt – wie mehrfach versucht –
kriegerisch nicht zu bezwingen war, verlegten sich die Erzbischöfe darauf, ihr
rechtliche Schwierigkeiten zu bereiten. Dazu hatten sie seit 1279 einen Trumpf
in ihrer Hand: Der König hatte ihnen im 10. Jahrhundert den Blutbann
(d. h. die Hoheit über das Kölner Blut- oder Hochgericht) verliehen.
Dieses Amt hatten sie zu erblichem Lehen ausgegeben. Der Amtsinhaber Burggraf
Johann von Arberg geriet jedoch in Geldnot und verkaufte am 16. August 1279
sein Lehen dem Erzbischof Siegfried von Westerburg. Damit waren für alle
Zukunft die Erzbischöfe Inhaber des höchsten Gerichtes der Stadt und blieben es
bis zum Jahre 1803. Von dieser Rechtsstellung aus versuchten sie u. a., die ihr
immer mehr entgleitende Herrschaft über die Stadt zurückzugewinnen.
Die Verfasserin verfolgt die
Streitigkeiten zwischen Stadt und Erzbischof im 16. und 17. Jahrhundert. Ihre
Arbeit enthält drei Teile. Im ersten Teil stellt sie die statistische Überlieferung
der Reichskammergerichtsakten Kölner Provenienz dar und gibt zugleich eine Übersicht
über die sachliche Zuständigkeit des Reichskammergerichts (RKG) in den verschiedenen
Verfahrensarten.
Im zweiten
Teil behandelt sie die Rechtsstellung der Stadt im Verhältnis zu den Erzbischöfen.
Hierzu hat sie dankenswerterweise alle Streitigkeiten zwischen den beiden Parteien
zwischen 1581 und 1794 aufgelistet (Anhang 1). Der Nachweis umfasst 81 Nummern
und zeigt die Häufigkeit der Klagen, den Umfang der Akten (bis zu 1400 Blatt)
und die Intensität der Streitigkeiten. Was die Verfasserin zur Entstehung des
städtischen Rates zu sagen hat, ist allerdings oberflächlich und wird dem
tatsächlichen Geschehen nicht gerecht. Das Verhältnis zwischen den Schöffen des
Hochgerichts (die auch Verwaltungsaufgaben wahrnahmen) und dem Rat ist nicht
angesprochen. Über das städtische Siegel hat sie kaum etwas beigebracht, hier
fehlen vor allem die Ausführungen von Toni Diederich und von Hermann Jakobs
(die sie nicht erwähnt)[1].
Immerhin hat sie richtig gesehen, dass die Richerzeche erhebliche Bedeutung für
die Stadt besaß und dass die Stadt eine eigene Sicherheits- und Außenpolitik
betrieb. Es ist allerdings kaum haltbar, zu behaupten, die Streitigkeiten
zwischen Stadt und Erzbischof hätten erst mit dem Reichsstadtprivileg von 1475
ihren Anfang genommen. Dagegen sprechen – neben vielen anderen Tatsachen – auch
der kleine und der große Schied von 1252 bzw. 1258, welche die Verfasserin
selbst behandelt.
Man sollte nun
meinen, das Reichsstadtprivileg habe die Stadt endgültig von der Landesherrschaft
des Erzbischofs befreit, doch setzten hier die zukünftigen Streitigkeiten an,
da der Erzbischof behauptete, dieses Privileg widerspreche dem Kap. XIII der
Goldenen Bulle von 1356. Tatsächlich haben die deutschen Kaiser unter
Bezugnahme auf die in dieser Urkunde verbrieften Rechte der Kurfürsten immer
wieder städtische Privilegien widerrufen, wozu auch das Reichsstadtprivileg zu
rechnen ist (S. 47ff). Hier hat die Verfasserin die Geltungsdauer eines einmal
erteilten Privilegs, seine Bindungswirkung für die Nachfolger des erteilenden
Kaisers und die rechtlichen Möglichkeiten eines Widerrufs klar
herausgearbeitet. Die Stadt hat allerdings selbst ihren Interessen geschadet,
indem sie der Forderung der Erzbischöfe, feierlich in die Stadt einzureiten und
die Huldigung der Bürger entgegenzunehmen, immer wieder entsprochen hat –
teilweise allerdings erst nach massiven Strafdrohungen der Kaiser. Auch auf
diesen Huldigungseid der Bürger haben sich die Erzbischöfe in den Prozessen
gegen die Stadt gestützt, um ihre Stadtherrschaft nachzuweisen.
Für die
Freiheit von der erzbischöflichen Landesherrschaft konnte die Stadt jedoch die
tatsächlichen Verhältnisse anführen: Soweit es sich um die Reichsstandschaft
handelte, hat die Verfasserin allerdings nicht tief genug gegraben: Das
Mitspracherecht der Städte im Reichstag war zunächst höchst unsicher. Es wurde
ihnen 1582 zuerst zuerkannt, der Westfälische Frieden von 1618 hat in IPO Art.
VIII, § 4 [2]
ihnen ein votum decisivum zugebilligt
– wobei unklar ist, was das hieß[3].
Immerhin ist sicher, dass Köln neben den anderen Reichsstädten an den
Reichstagen teilgenommen und sich an den Beratungen beteiligt hat. Auch die
Aufnahme der Stadt in die Reichsmatrikel (erstmals 1422, vgl. Anhang 5 hier)
ist ein Indiz dafür, Reichsstadt zu sein, obwohl der Kaiser aus Finanzgründen
reiche Städte gern darin aufzunehmen pflegte. Die Stellungnahme des Erzbischofs
dazu in der „Apologia des Ertz Stiffts
Cöllen“ und der „Securis ad radicem
posita“ [4] ist
widersprüchlich und hält den Argumenten der Stadt, ihr Rat verwalte die Stadt,
und der Erzbischof brauche dabei nicht gefragt zu werden, nicht stand.
Den großen Schied von 1258 wertet die
Verfasserin zutreffend als wichtige Urkunde für die Freiheit der Stadt. Die
Schiedsleute (an ihrer Spitze Albertus Magnus) hatte in ihrem Spruch die
Eigenständigkeit der städtischen Ämter bestätigt und die Landesherrschaft des
Erzbischofs auf eine Schutz- und Schirmherrschaft begrenzt. In Mandatsprozessen
hat das Reichskammergericht denn auch zum Ausdruck gebracht, dass es die
Reichsunmittelbarkeit der Stadt anerkenne.
Den dritten
Teil ihrer Ausführungen hat die Verfasserin der Frage gewidmet, ob die Stadt
Streitigkeiten zu entscheiden habe, die außerhalb der Stadtmauern, im
sogenannten Burgbann, bzw. in der Bannmeile, die kurkölnisches, jülichsches und
bergisches Territorium einschloss, zu entscheiden habe. Es ging im wesentlichen
um Pfändungen durch erzbischöfliche Beamte auf Höfen im Kölner Burgbann, von
denen der Erzbischof darlegte, sie lägen auf seinem Territorium im Amt Brühl.
Das traf zwar zu, kollidierte aber mit dem Reichsstadtprivileg, das der Stadt
auch die Jurisdiktion im Burgbann zusprach. Der Erzbischof machte weiter
geltend, dass die Niedergerichte im Burgbann ihm unterständen. und tatsächlich
übte er sie im Weyerstraßengericht, in den Gerichten Severin, Pantaleon, Gereon
und Eigelstein durch seine Leute aus. Als die Stadt innerhalb ihrer Mauern Gegenpfändungen
vornahm, stellte sich das Reichskammergericht auf die Seite des Erzbischofs,
indem es diese Maßnahmen als unzulässig ansah. Andererseits hatte die Stadt im
Laufe der Jahrhunderte eine Reihe von Ratsgerichten geschaffen, deren
Spruchtätigkeit vom Erzbischof unabhängig war. Deshalb hat das Reichskammergericht
Mandate zugunsten der Stadt erlassen, die der städtischen Verwaltung und der
Ratsgerichtsbarkeit gegenüber den Jurisdiktionsrechten des Erzbischofs den
Vorrang gaben.
1537 wurde das
Hochgericht zum Appellationsgericht für das Niederstift erklärt und die Verfasserin
hat festgestellt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle dieser Rechtszug
auch eingehalten worden sei. In ihrer Datenbankabfrage hat sie allerdings nur
Fälle berücksichtigt, wo ein erstinstanzliches Gericht mit der Sache allein
befasst worden war und die Fälle ausgeschieden, wo gleichzeitig mehrere
Gerichte angerufen worden waren (S. 146, Fn. 747). Dieser Vorbehalt zeigt,
dass der Rechtszug zwar gewöhnlich den vom Erzbischof vorgezeichneten Weg nahm,
die Parteien sich jedoch gelegentlich die Freiheit nahmen, anders zu verfahren,
ohne dass sich das angerufene Gericht deshalb für unzuständig erklärt hätte.
Ähnlich verhält es sich in Berufungsfragen. Deshalb bleibt die Art der
Appellation willkürlich (wie ich bereits früher festgestellt[5]
habe) – da sie niemals zur Abweisung wegen Unzuständigkeit des Gerichts führte
– auch wenn die größte Zahl der Fälle dem vorgegebenen Schema folgte.
Die
Verfasserin hat die Reichskammergerichtsakten der Prozesse Köln contra Köln
minutiös aufgelistet und ausgewertet. Sie hat dabei die damaligen
Rechtsanschauungen gebührend berücksichtigt, manches klargestellt und
beachtliche Ergebnisse erzielt, die der zukünftigen Bearbeitung der kölnischen
Rechtsgeschichte nützlich sind. Nicht zuletzt machen die untersuchten Prozesse
deutlich, dass sie nur eine Fortsetzung der allgemeinen Politik mit rechtlichen
Mitteln waren, wobei das Reichskammergericht der normativen Kraft des
Faktischen – und damit der Stellung der Stadt Köln – meist Rechnung trug.
Köln am Rhein Dieter
Strauch
[1] Das älteste Kölner Stadtsiegel datiert Toni Diederich, in seinem gleichnamigen Beitrag in: Aus kölnischer und rheinischer Geschichte, Festgabe Arnold Güttsches (Veröff. d. Köln. Geschichtsvereins 29), Köln 1969, SS. 51–80, hier: S. 51 auf ca 1114–-1419, vgl. denselben, Grundzüge des Siegelwesens im ausgehenden 13. Jahrh., in: Der Name der Freiheit 1288–1988. Aspekte Kölner Geschichte von Worringen bis heute, hg. v. Werner Schäfke, 2. Auflage, Köln 1988, SS. 83–104 (S. 88); anders: Hermann Jakobs, Rom und Trier 1147, in: Köln. Stadt u. Bistum in Kirche u. Reich. Festschrift f. Odilo Engels z. 65. Geburtstag, Köln 1993, SS. 349-365, bes. S. 355f.
[2] Vgl. Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Reichsverfassung, 2. Aufl. Tübingen 1913, Nachdruck Aalen 1987, Nr. 197, S. 416.
[3] Wie Fn. 2, Nr. 200, Beilage, S. 464f.
[4] Securis: „die Axt [den städtischen Argumenten] an die Wurzel gelegt“ (1687).
[5] Vgl. Dieter Strauch, Das Hohe Weltliche Gericht zu Köln, in: Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart, 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, Köln 1994, S. 742 – 831 (S. 823 ff).