Die Statuten der Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen, hg.. v. Weber, Wolfgang/Lingelbach, Gerhard. Böhlau, Köln 2005. XXXVI, 121 S., 8 Abb. Besprochen von Peter Oestmann.
Quelleneditionen sind ein heikles Unterfangen. Dies gilt besonders dann, wenn der historische Text bereits in älteren Ausgaben zugänglich ist. Die Mühlhäuser Statuten aus den Jahren nach 1311 waren bereits von Grasshoff (1749), Förstemann (1843) und Lambert (1870) veröffentlicht worden. Dennoch mag es sinnvoll sein, einen Text, der traditionell im Schatten des berühmten Mühlhäuser Reichsrechtsbuchs von etwa 1225 steht, durch einen Neudruck erneut ins Bewusstsein zu rufen. Dabei ist nicht zuletzt die Übersetzung des lateinischen Originals für moderne Benutzer hilfreich.
Üblicherweise enthalten Editionen eine umfassende Einführung zur Quelle und schließen mit einem detaillierten Register. Leider bieten die Herausgeber der Mühlhäuser Statuten aber wenig mehr als einen Textabdruck. Die Einleitung ist kurz und erkennbar um Tiefgang nicht bemüht. Ein Kommentar hätte erheblichen Mehraufwand verursacht und die Veröffentlichungskosten erhöht, lesen wir. Daher hoffen die Herausgeber, dass sich ein Interessent finden möge, der zu den Statuten den jetzt fehlenden Kommentar verfassen wird.
Die Hinweise zu Mühlhausen und seinen Rechtsquellen, die der Benutzer jetzt erhält, sind spärlich. Zunächst ist man verwundert, wenn Mühlhausen seit 1251 Freie Reichsstadt gewesen sein soll. Die üblichen Nachschlagewerke (Blaschke LexMA; Köbler, Lexikon der dt. Länder) nennen übereinstimmend 1348, so dass man hier zumindest eine Fußnote erwartet hätte. Dann fällt auf, wie die Herausgeber historisch-kritische Informationen geradezu verweigern. Wenn ein Gastwirt beim Verkauf von Bier an Festtagen kein vruwenortin geben durfte (S. 16), ist es schade, wenn die Einleitung dazu lediglich vermerkt, die Forschung werde zu untersuchen haben, was das sei (S. XVIII). Unter der Überschrift „Gerichtsverfassung und Verfolgung von Unrechtshandlungen“ erfährt man, dass auf den umfangreichen straf- und prozessrechtlichen Teil der Quelle nicht weiter eingegangen werden soll (S. XXIV). Andererseits versuchen die Herausgeber, das Mühlhäuser Recht als modern darzustellen. Von Bedeutung dürfte es sein, liest man, dass dort bereits der Grundsatz ne bis in idem gegolten habe (S. XXIV). Das wäre in der Tat erstaunlich, doch der fragliche Quellentext besagt etwas ganz anderes. Es geht dort darum, dass jemand, der einen Rechtsstreit gewonnen hat, nicht vom Verlierer zum zweitenmal verklagt werden soll (S. 58-59). Syntaxfehler (S. XXII-XXIII) und Satzwiederholungen (S. XXI, XXIV) deuten zudem auf Nachlässigkeiten und Zeitdruck bei den Herausgebern hin. Den Schlussteil der Einleitung, der den Leser darüber belehrt, dass Recht „zu den komplizierten Phänomen der Menschheitsgeschichte“ gehört (S. XXIV), hätte man lieber weglassen sollen.
In der Edition fällt eine Vielzahl sonst ungebräuchlicher Sonderzeichen auf, die versuchen, die Schreibrichtung und Positionierung von Zusätzen auf den jeweiligen handgeschriebenen Seiten anzudeuten. Die zahlreichen Bearbeitungsspuren und zeitgenössischen Zerstörungen, wohl aufgrund einer Kassation nach 1351, machen es dem Herausgeber jedenfalls nicht einfach. Die engen Anlehnungen der deutschen Übersetzung an Wortlaut und Satzbau des mittelalterlichen Lateins erschweren zwar den Lesefluss, eröffnen dafür aber ein leichteres Verständnis des Originals. Gerade deswegen ist man erstaunt, wenn ohne näheren Hinweis aus den filii non divisi Bürgersöhne werden, die nicht „gemutschart“ sind (S. 21). Selbst wenn die späteren Statuten von 1351 so formulieren, ist doch dieser Begriff noch schwerer verständlich als das lateinische Original.
Damit bleibt ein zwiespältiger Befund. Die Quellenlektüre führt zu zahlreichen Erkenntnissen, etwa über die offenbar weite Verbreitung des Kompositionensystems in Mühlhausen noch im 14. Jahrhundert. Die auftauchenden Fragen muss man sich aber selbst beantworten. Die Edition hilft einem dabei nicht.
Münster