Deter, Gerhard, Handwerk vor dem Untergang? Das westfälische Kleingewerbe im Spiegel der preußischen Gewerbetabellen 1816-1861 (= Studien zur Gewerbe- und Handelsgeschichte der vorindustriellen Zeit 25). Steiner, Stuttgart 2005. 160 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Gerhard Deter ist durch seine Münsteraner juristische Dissertation über Handwerksgerichtsbarkeit zwischen Absolutismus und Liberalismus – Zur Geschichte der genossenschaftlichen Jurisdiktion in Westfalen im 18. und 19. Jahrhundert (1986) und durch seine historische Dissertation Rechtsgeschichte des westfälischen Handwerks im 18. Jahrhundert- Das Recht der Meister (1990) für die Geschichte des Handwerks in Westfalen im 19. Jahrhundert bestens ausgewiesen. Er ist auch als Rezensent handwerksrechtsgeschichtlicher Untersuchungen in dieser Zeitschrift bereits hervorgetreten. Nun hat er fragend Handwerk vor dem Untergang vorgelegt.
Diese Arbeit geht von einer Petition der Handwerker Bielefelds an das Abgeordnetenhaus Preußens in Berlin kurz vor Weihnachten 1855 aus. In ihr spiegle sich die lange Zeit kaum angefochtene Auffassung der weitgehenden Vernichtung des im Mittelalter entstandenen Handwerks durch die Industrie im 19. Jahrhundert wieder. Ob sie zutreffe, sei aber noch nicht hinreichend erwiesen, weshalb eine Untersuchung dringlich sei.
Nach einem knappen Überblick über das preußische Handwerk stellt der Verfasser das Handwerk in den westfälischen Regierungsbezirken dieser Zeit sorgfältig und ausführlich dar. Einbezogen werden die Bauhandwerke, die metallverarbeitenden Handwerke, die holzverarbeitenden Handwerke, die Bekleidungshandwerke und die lederverarbeitenden Handwerke, die Nahrungsmittelhandwerke und schließlich das Töpferhandwerk. Insgesamt werden 23 einzelne Handwerke behandelt und im Gefüge des Gesamthandwerks und im Vergleich mit dem gesamten Preußen eingeordnet.
Im Ergebnis kommt der Verfasser zu der Feststellung, dass das Handwerk zwischen 1822 und 1861 gewachsen sei (z. B. der Anteil der Handwerker an der Gesamtbevölkerung in Münster von 3,4 Prozent auf 4,4 Prozent). Demgegenüber sei das Wachstum der Meisterzahl zeitlich wie räumlich ungleichgewichtig ausgefallen. Konzentration und Betriebsvergrößerung seien vor allem nach 1840 zu typischen, zukunftweisenden Erscheinungen auch im westfälischen Handwerk geworden.
Demnach beeinflusste die Industrie zwar das Handwerk, vernichtete es aber nicht als solches, selbst wenn das eine oder andere Einzelhandwerk verschwinden musste. Der durch die Industrie verursachte Anstieg des Wohlstands kam auch dem Handwerk zu gute, weshalb sein von ihm selbst befürchteter Untergang bis zur Gegenwart nicht eingetreten ist. Diese überzeugende These wird durch zahlreiche Daten und Tabellen ebenso abgesichert wie durch ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis.
Innsbruck Gerhard Köbler