Das Heilige Römische Reich und sein Ende 1806 – Zäsur in
der deutschen und europäischen Geschichte, hg. v. Hartmann, Claus
Peter/Schuller, Florian (= Themen der katholischen Akademie in Bayern).
Pustet, Regensburg 2006. 160 S., Ill. Besprochen von Arno Buschmann.
Der vorliegende
schmale Band enthält die Vorträge, die auf einem Symposion gehalten wurden, das
die Katholische Akademie in Bayern aus Anlass der zweihundertsten Wiederkehr des
Endes des Heiligen Römischen Reiches im Frühjahr dieses Jahres veranstaltet
hat. In ihnen werden nicht nur das Heilige Römische Reich als solches und
Geschehnisse des Jahres 1806, die zu seinen Ende führten, behandelt, sondern
auch - wie schon im Untertitel des Buches angedeutet - die vielfältigen
Auswirkungen, die das Ende des Reiches in Deutschland wie in Europa nach sich
zog. Zu Recht wird von den Herausgebern betont, dass sich das Bild des Heiligen
Römischen Reiches in der neueren Forschung stark gewandelt hat und das Reich
nicht mehr nur negativ beurteilt wird, wie dies in der nationalstaatlich
orientierten Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts der Fall war.
Mehr und mehr zeige sich, so die Herausgeber, dass das Reich vor allem in
seiner Spätphase eine Rechts- und Friedensordnung mit vielen
Ausgleichsmechanismen gewesen sei, die nach dem Grundsatz „Recht vor Macht“
funktioniert habe und vielleicht interessantes Anschauungsmaterial für die
Organisation der Vereinigung Europas in der Gegenwart liefern könne.
Diese Thematik
beherrscht sämtliche abgedruckten Vorträge, von denen leider der
kunsthistorische Vortrag aus Kostengründen nicht hat abgedruckt werden können.
Den Reigen eröffnet Peter C. Hartmann mit einer Skizze über das Reich als föderalistisches
Staatsgebilde, das sich für ihn als eine funktionierende Organisation der
Regionen in Mitteleuropa mit politischer, kultureller und religiöser Vielfalt
darstellt. Es folgt ein Beitrag von Johannes Burkhardt über die Frage nach
vorparlamentarischen Formen im Alten Reich, namentlich ob der Reichstag ein
Parlament im modernen Sinne gewesen sei - eine Frage, die vom Verfasser auch
und nicht zuletzt für die anderen Beratungs- und Entscheidungsgremien des
Reiches eindeutig bejaht wird. Der Beitrag Wolfgang Sellerts ist der Frage nach
der Funktion der Gerichtsbarkeit des Reiches als Garant des Friedens im Reich
gewidmet. Sellerts Fazit ist die Feststellung, dass die Höchstgerichtsbarkeit
des Reiches wesentlich dazu beigetragen hat, den Frieden und die öffentliche
Ordnung im Reich bis zu dessen Ende zu sichern. Gerhard Müller befasst sich im
Anschluss daran mit Goethes und seiner Freunde kulturpolitischen Vorstellungen
am Ende des Reiches und der Idee einer geistig-kulturellen Partnerschaft von
Deutschen und Franzosen. Für Goethes Freunde symbolisierte gerade Goethe den
großen kulturellen Reichtum des Alten Reiches, der in diese Partnerschaft hätte
eingebracht werden sollen. Jacques Le Rider analysiert im anschließenden
Beitrag Napoleons Pläne einer Neugestaltung des Reiches vor 1806, die im
wesentlichen darauf hinausliefen, das Alte Reich in drei Teile aufzuteilen,
nämlich Preußen als Vormacht im Norden, die süddeutschen Fürstenstaaten im
Süden und Österreich im Südosten mit Böhmen und Mähren als Zentren
habsburgischer Herrschaft. Hauptziel sei die Abkoppelung der Habsburger vom
Deutschen Reich und damit deren Ausschaltung als Konkurrenten Frankreichs
gewesen. Nach einer kurzen Skizze von Gottfried Mraz über das Ende des Heiligen
Römischen Reiches aus österreichischer Sicht untersucht Milan Hlavacka die
Folgen, die das Ende des Heiligen Römischen Reiches für die rechtliche Stellung
der Böhmischen Länder am Ende des Alten Reiches und in der Habsburgermonarchie
gehabt hat. Wichtigste Folge ist für ihn, dass mit dem Ende des Heiligen
Römischen Reiches die verfassungsrechtliche Klammer für die Regelung der
Nachbarschaft von Böhmen und Deutschland entfallen ist. Ein anderer wichtiger
Aspekt der Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches, der sich schon
vor 1806 angekündigt hatte, wird von Gabriele Haug-Moritz erörtert, nämlich die
Opposition der protestantischen Reichsfürsten gegen die habsburgische
Vormachtstellung im Reich und die dadurch ausgelöste Lockerung des
Zusammenhaltes des Reiches, auf die sich der Kaiser in seiner Erklärung über
die Auflösung des Reiches und die Niederlegung der Kaiserkrone ausdrücklich
bezogen hatte. Zu Recht wird von der Verfasserin in diesem Zusammenhang auf die
protestantischen Vorstellungen von einer reformierten Ordnung des Reiches
hingewiesen. Mit dem Ende der Reichskirche durch den
Reichsdeputationshauptschluss von 1803, mit dem der Auflösungsprozess des Alten
Reiches eingeleitet wurde, befasst sich Manfred Heim in seinem Beitrag. Er
schließt sich der verbreiteten Ansicht an, dass mit der Säkularisation nicht
nur die Reichskirche ihr Ende gefunden habe, sondern die Kirche vor allem auf
ihre eigentlichen geistlichen Aufgaben zurückgeführt worden sei. Ob die These,
wonach die auf ihre eigentlichen Aufgaben reduzierte Kirche eine
„Schlüsselstellung“ zwischen der alten Ordnung des Heiligen Römischen Reiches
und der Staatsauffassung des 19. Jahrhunderts eingenommen hat, zutrifft, sei
hier nicht weiter untersucht. Gegenstand des Beitrages Dominik Burkards ist der
Versuch, die Ausprägungen der konfessionellen Mentalität in Deutschland nach
dem Ende des Alten Reiches des Näheren zu analysieren. Wesentliches Ergebnis
seiner Untersuchungen ist neben anderen die These, dass nach 1800 in
Deutschland ein Prozess tiefgreifender konfessioneller
Mentalitätsverschiebungen eingesetzt habe, der in seinem Kern gegen ein
zunehmend als Ballast empfundenes Staatskirchentum gerichtet gewesen sei.
Schließlich wird auch die Frage der Rechtstellung der jüdischen Bevölkerung vor
und nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches behandelt. Hier sieht Peter
Rauscher in der Geschichte der Juden in Deutschland einerseits eine auffällige
Parallelität zur politischen Geschichte des Reiches, anderseits mit dessen Ende
insofern eine Wendemarke, als sich mit den napoleonischen Staatsgründungen auf
dem Boden des Alten Reiches eine deutliche Verbesserung der Rechtslage der
Juden eingestellt habe. Diese sei zwar mit der Restauration wieder verloren
gegangen, habe jedoch gegen Ende des 19. Jahrhunderts endgültig in die völlige
Gleichstellung der Juden geführt. Die abgedruckten Vorträge beschließt eine
Betrachtung Peter C. Hartmanns über die Aktualität des Heiligen Römischen
Reiches als Verfassungsmodell für eine Rechts- und Friedensordnung in Europa,
in der zu Recht die Funktion der Friedenswahrung im Inneren, durch die auch die
kleinen und kleinsten Mitglieder geschützt worden seien, als herausragendes
Merkmal der Verfassung des Alten Reiches hervorgehoben wird.
Tatsächlich ist
in dieser Funktion die eigentliche Bedeutung des Heiligen Römischen Reiches
namentlich in der Geschichte der Neuzeit zu sehen. Das Alte Reich war ein
kompliziertes und verschachteltes Rechtsgebilde, dessen staatsrechtliche
Erfassung sich der Subsumtion unter die klassischen Typen der überlieferten
Staatslehre entzog, das trotz aller Kompliziertheit und Schwächen aber ein
wirksames System des Ausgleichs rivalisierender politischer Interessen nicht
nur im Reich selbst, sondern überhaupt in Mitteleuropa bildete. Zu Unrecht
wurde das Alte Reich lange Zeit von der nationalstaatlichen
Geschichtsschreibung dem zentralistischen Kommandostaat als Maßstab aller
Staatlichkeit gegenübergestellt und als funktionsunfähig abqualifiziert. Erst
in jüngster Zeit wird es von der Forschung in seiner wirklichen Bedeutung
erkannt und sogar als mögliches Modell für politische Lösungen im gegenwärtigen
Europa entdeckt, hierbei sogar gelegentlich über Gebühr favorisiert, was
vielleicht auch überzogen ist. Geschichte lässt sich nun einmal nicht im
Verhältnis Eins zu Eins auf die Gegenwart übertragen und als Blaupause für
deren politische Gestaltung verwenden. Auf der anderen Seite enthält sie doch
lehrreiche Anregungen, die, wenn man sie richtig einzuschätzen weiß, manchen
Umweg bei der Suche nach aktuellen Lösungen ersparen hilft. Das gilt auch und
nicht zuletzt für das Heilige Römische Reich, von dessen Vielfalt und Bedeutung
die vorliegende Sammlung einen Überblick vermittelt, der auch dem
Nichtspezialisten eine anregende Lektüre bietet.
Salzburg Arno Buschmann