Cuadernos de Historia del Derecho, hg. v. Departamento de Historia del Derecho, Bd. 12. Servicio de publicaciones Universidad Complutense, Madrid 2005. 372 S. Besprochen von Thomas Gergen.

 

Mit Band 12 seiner Jahrbücher für Rechtsgeschichte setzt das Institut für Rechtsgeschichte der Madrider Universität Complutense die Veröffentlichung wichtiger Beiträge fort. Lag der Schwerpunkt in Band 11[1] noch in der Neuzeit und hier insbesondere auf Arbeiten zum spanischen und portugiesischen Kolonialrecht in Iberoamerika, konzentrieren sich die hier versammelten Aufsätze geographisch und thematisch auf die Iberische Halbinsel sowie auf das übrige Europa. Diese Beiträge sollen im Folgenden kurz gewürdigt werden.

 

Den Anfang macht Diego Catalán Menéndez-Pidal mit seinem Aufsatz über „Historische und philologische Wahrheit (Verdad histórica, verdad filológica). Unter den allerersten Werken über die Geschichte Spaniens gehört nicht nur die bekannte Abhandlung von Alfons X. von ca. 1270, sondern auch die Kulturgeschichte des Königreichs Aragonien, die im Allgemeinen auch unter dem Namen Crónica pinatense bzw. von San Juan de la Peña in Umlauf war. Der Verfasser arbeitet plausibel heraus, dass die erste der drei verschiedenen Fassungen der Crónica pinatense Jahrzehnte vor der spanischen Geschichte von Alfons X., nämlich 1246/47 entstand. Darüber hinaus vergleicht er die Fassungen der Crónica mit dem Ziel, die Originalversion auszumachen, d.h. die Version, die als Quelle für die beiden anderen diente.

Gérard D. Guyon, Ordinarius für Rechts- und Institutionengeschichte in Bordeaux, beschäftigt sich mit dem Juristen und Richter am “Parlement de Bordeaux” Jean d’Arrérac (Las premisas francesas de un derecho internacional público a mediados del siglo XVI. La "filosofía civil y de Estado" de Jean d'Arrérac). Jean d’Arrérac war der Verfasser einer Abhandlung über L’Irénarchie et la polémarchie von 1558 und gehörte einer neuen juristischen wie philosophischen Strömung an, denn er versuchte eine Verknüpfung herzustellen zwischen dem ehemaligen Realismus, der seinerseits aus dem Thomismus hervorgegangen war, und einem neuen das ius humanae societatis proklamierenden Humanismus. Über die den möglichst gerechten Krieg leitenden Spielregeln hinaus steckte Arrérac, in Fortführung von Suárez und Vitoria, die inneren und äußeren Grenzen der Souveränität eines Staates ab. Die Voraussetzungen des Gleichgewichts zwischen den menschlich verfassten Gesellschaften sowie einer formellen und juristischen Universalität, so Guyon, hätten ihren Anteil an der Grundlegung des heutigen internationalen öffentlichen Rechts.

 

Armando Luís de Carvalho Homem (Diplomática e Historia del Derecho, raíces de la „nueva“ Historia política) widmet sich über die Rechtsgeschichte hinaus den historischen Hilfswissenschaften und der Geschichtsschreibung im Allgemeinen. Der Ordinarius von der Universität Porto zeigt auf, wie die historischen Hilfswissenschaften (unter ihnen die Diplomatik) als Gebiete, in denen die Wissenschaftstradition stark ist, sowie die Rechtswissenschaft als „Wissenschaft der Stetigkeit“ zwei intellektuelle Familien bilden, die in Portugal ganz besonders zum interdisziplinären Dialog berufen seien.

 

Römische und mittelalterliche Rechtsquellen durchmustert Carmen Lopez-Rendo Rodríguez zur Erforschung der „Draufgabe“ (arrha) beim Kauf. In ihrem Beitrag (Autonomia de la voluntad y arras en la compraventa. Fuentes jurídicas romanas y su regulación en los textos legales medievales) arbeitet sie die Wichtigkeit der Willensautonomie sowie die Auswirkungen der datio arrharum in den verschiedenen Epochen und Rechtstexten heraus (Lex Romana Burgundionum, Lex Baiuwariorum, Codex Henrici, Lex Visigothorum, Fuero Juzgo, Fuero Real, Partidas).

 

Den Meinungsstreit über den Gottesbezug in der europäischen Verfassung greift Remedios Morán Martín auf und beleuchtet rechtshistorisch den christlichen Beitrag zur europäischen Rechtskultur: El ius commune como antecedente jurídico de la Unión Europea.

 

Luis María García-Badell Arias schenkt der spanischen Regierungskrise von 1709 Aufmerksamkeit (Felipe V., la Nobleza Española y el Consejo de Castilla. La Explicación jurídica e histórica de la consulta que hizo el Real Consejo de Castilla, atribuida a Macanaz). Dabei bildet die „juristische und historische Erläuterung des beratenden Gutachtens, das der Königliche Rat von Kastilien erstattete“ eines der wichtigsten verschriftlichten Zeugnisse des Königlichen Rates von Kastilien, das dem berühmten Minister Philipp V., Melchor de Macanaz, zugeschrieben wird. Der wirkliche Autor des Gutachtens hieß indes Salazar y Castro. Bei der Niederschrift des Werkes erkennt man den von Medinacelli angeführten spanischen Adel, der 1709, nachdem Ludwig XIV. sich dazu entschlossen hatte, Philipp V. wegen der Friedensforderungen der Verbündeten die Treue aufzukündigen, dem König seine offene Unterstützung anbot.

 

Den Lebensformen der Bevölkerung sowie der Verwaltungsstruktur der Gemeinden im 17. und 18. Jahrhundert widmet sich Pedro Andrés Porras Arboledas (La vida cotidiana en el Motril de la Edad Moderna a través de los Autos de Buen Gobierno). Der Autor erschließt aus den Gemeindeverordnungen der grenadinischen Kleinstadt Motril sowie aus den Prozessakten der Regierung Grundsätze über das noch wenig erforschte Lokalrecht vom Beginn der Neuzeit an.

 

Eine römischrechtliche Studie präsentiert Faustino Martínez Martínez (Sátira contra la predilección del Derecho Romano: una crítica decimonónica a un orden jurídico todavía no fenecido). Der Verfasser geht davon aus, dass im 18. Jahrhundert ein Übergang zu einem neuen Stil stattfand, die rechtliche Verfassung zu planen, auszugestalten und zu vermitteln. Das gemeine Recht hatte bis ins 18. Jahrhundert infolge seiner Vorherrschaft das nationale Recht weitestgehend verdrängt. Seit 1771 kehrten die Reformen der Bourbonen diese Sachlage in eine andere Richtung. Die Reformschritte der Studienpläne jener Zeit brachten indes keinen sofortigen Richtungswechsel, und so belegt die Sátira, die in diesem Beitrag glossiert und veröffentlicht wird, wie noch im Jahr 1826 das römische Recht akademisch und in der Praxis vorherrschte[2].

 

Pilar Esteves Santamaría arbeitet in ihrer Studie über Toledo in den Ständeversammlungen Karls I. gründlich quellenbezogen: Toledo en las Cortes de Carlos I, cuestiones de interés general para el Reino. Die Autorin präsentiert anhand der Bittschriften die der Stadt Toledo bei den Ständeversammlungen im Königreich Karls V. vorgelegten Anfragen, die die Einwohner dieser Stadt im 16. Jahrhundert im Einzelnen beschäftigten. Deren Interessen deckten sich oftmals mit denen anderer Städte, die in den Cortes ebenfalls vertreten waren. Dies folgert die Autorin zu Recht aus dem Vergleich der Bittschriften, die in den Akten Toledos enthalten sind, und die sie zu diesem Zweck mit den allgemeinen Akten der Ständeversammlungen minutiös vergleicht.

 

Zu einem äußerst bemerkenswerten Ergebnis gelangt die Rechtsprofessorin von der Universität Rabat Loubna el Ouazzani  Chahdi mit El delito de robo en el derecho penal hispano-musulmán. Sie durchdringt die Frage der Ausgestaltung des Diebstahls im hispanisch-muslimischen Strafrecht, genauer gesagt, wie die andalusischen Juristen dieses Verbrechen definierten und welches die tatbestandlichen Merkmale waren. Die berühmte Strafe des Abhackens der rechten Hand des Diebes (hadt) war nämlich nur unter ganz eng bestimmten Bedingungen anwendbar und deswegen seltener in der Praxis als bislang angenommen. Um die juristische Praxis beim Diebstahl im Andalus zu schildern, schließt diese Studie mit konkreten Rechtsfällen aus den andalusischen Fatwas.

 

Einen herrlichen Beitrag zur Theoriebildung und praktischen Umsetzung des mittelalterlichen Rechts in Kastilien hat Jesus Angel Solórzano Telechea  vorgelegt (Justicia y ejercicio del poder: la infamia y los „delitos de lujuria“ en la cultura legal de la Castilla medieval). Für den Bereich der Fama-Delikte (Ehrverletzungen) untersucht er aus nächster Nähe die bestehenden Beziehungen zwischen rechtlicher Regel und ethischen Wertüberzeugungen der kastilischen Gesellschaft im Mittelalter und ergründet ferner die Rolle, die die staatlich organisierte Justiz bei den Konflikten innerhalb der städtischen Gesellschaft zu spielen hatte. Die Themenstellung verlangt eine Annäherung von zwei unterschiedlichen Warten: Zunächst beschreibt der Autor die Gesetzgebung über die Fama und die Infamia, die während des Mittelalters von der kastilischen Krone erlassen wurde. Zudem analysiert er, wie die Gerichte eingesetzt wurden, um die Fama zu verteidigen bzw. den Angeklagten die Delikte der Infamia, wie Ehebruch oder Sodomie, nachzuweisen. Überzeugend kann der Beitrag belegen, wie die kastilischen Gerichte zur politischen Waffe der städtischen Eliten wurden.

 

Dass Pedro Andrés Porras Arboledas (Concursos de Acreedores en el Archivo Histórico Provincial de Burgos - siglos XVI-XIX) ein meisterhafter Kenner der Geschichte des Insolvenzrechts ist, belegt er in seiner Studie über 150 Konkursprozesse, die vor den Gerichten von Burgos in der Neuzeit und bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts geführt wurden. Diese Konkursprozesse sind Erkenntnis bereichernd für das Wirtschaftsleben bedeutender Städte Kastiliens und beweisen einmal mehr, das die Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Geschichte der Konkursprozesse bzw. des Insolvenzrechts nicht mehr vorbeikommt.

 

Es versteht sich von selbst, dass die Beiträge dieser Ausgabe der Cuadernos aufgrund ihrer Vielfalt an dieser Stelle nur resümierend wiedergegeben werden konnten; die Lektüre auch dieses Bandes ist für die vornehmlich an Spanien interessierten Rechtshistoriker Pflichtlektüre.

 

Saarbrücken                                                                                                  Thomas Gergen



[1] Vgl. dazu Thomas Gergen, ZRG Germ. Abt. 122 (2005), S. 415-418.

[2] Die Präferenz für die lateinische Sprache und das römische Recht war auch nach Inkraftsetzen der „Naturrechtskodifikationen“ weiter vorhanden; vgl. dazu Thomas Gergen, Zivilrechtler, Stadtbibliotheksdirektor, Regionalhistoriker: Père Gibault aus Poitiers und seine lateinische Code-civil-Übersetzung von 1808, in: ders., Vielfalt und Einheit in der Rechtsgeschichte – Festgabe für Elmar Wadle zu seinem 65. Geburtstag (Annales Universitatis Saraviensis, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung Bd. 136), S. 113-137.