RanieriColaoavvocati20060908 Nr. 11624 ZRG GA 124 (2007) 57
Colao, Floriana, Avvocati del Risorgimento nella Toscana della Restaurazione
(= Storia dell’avvocatura
in Italia). Il Mulino,
Bologna 2006. 410 S. Besprochen von Filippo Ranieri.
Vor einigen Jahren hat der italienische „Consiglio
Nazionale Forense“ als
Vereinigung der italienischen Rechtsanwaltskammern die Initiative ergriffen,
eine Schriftenreihe von historischen Studien zur Geschichte der italienischen
Anwaltschaft zu gründen. Einige wichtige Monographien zur Geschichte der
Anwaltsprofession in Italien sind seitdem erschienen. Hier seien etwa erwähnt
F. Tacchi, Gli avvocati italiani dall’Unità alla Repubblica, Bologna, 2002; Un
progetto di ricerca sulla storia dell’avvocatura, a cura di G. Alpa e R.
Danovi, Bologna, 2003; Donne e diritti. Dalla sentenza Mortara del 1906 alla
prima avvocata italiana, a cura di N. Sbano, Bologna, 2004; C. Cavagnari/E.
Caldara, Avvocati e procuratori, Bologna, 2004. In diesen Rahmen ordnet sich
auch die hier anzuzeigende Untersuchung ein. Die Verfasserin lehrt italienische
Rechtsgeschichte an der Rechtsfakultät der Universität Siena. Sie ist bereits
mit einer Reihe von Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte des
italienischen Risorgimento aufgetreten. Zuletzt sei an ihre Arbeit zur
Kodifikationsbewegung im Großherzogtum Toskana erinnert: Progetti di
codificazione civile nella Toscana della Restaurazione, Bologna 1999.
Schwerpunkt der hier anzuzeigenden Untersuchung ist die Geschichte der
toskanischen Anwaltschaft von der Restauration des Großherzogtums im Jahre 1814
bis zur italienischen Vereinigung ein halbes Jahrhundert später. Der Blick der
Verfasserin reicht aber auch in die napoleonische Zeit zurück, ebenso wie er
die ersten Jahrzehnte der politischen Geschichte des neuen italienischen
Königreichs streift. Das Buch ist im Wesentlichen historisch gegliedert. In
einem ersten Kapitel „I difensori e la giustizia nei primi anni della
Restaurazione“ (S. 25-90) wird die Anwaltsgesetzgebung aus den Jahren, die der
Restauration des Großherzogtums nach der napoleonischen Zeit unmittelbar folgten,
beschrieben. In diesen Jahren standen die Reform des Zivilprozesses und des
Strafprozesses sowie auch die Neuorientierung des Rechtsstudiums im
Vordergrund. Man begegnet bei der Darstellung einigen berühmten Namen, die die
damalige toskanische Rechtswissenschaft auszeichneten, wie Francesco Forti oder
Federigo del Rosso. Beide waren zugleich Anwälte und Professoren und verfügten
über einem Bekanntheitsgrad, welcher, weit über die toskanischen Grenzen
hinausreichte. Das zweite Kapitel „I ‚giovani legisti’ dell’ ‚Antologia’“ (S.
91-152) ist der neuen liberalen Juristengeneration gewidmet, welche sich
während der 30er Jahre um die berühmte literarische und politische Florentiner Zeitschrift
„L’Antologia“ bildete. Insoweit bietet die Geschichte der Anwaltschaft der
Verfasserin zugleich Gelegenheit, Protagonisten und Momente der damaligen
toskanischen Kultur vorzustellen und zu analysieren. Das dritte Kapitel „I
difensori e la giustizia tra gli anni Venti, la ‚Legge organica’ del 1838 ed i
Regolamenti professionali del 1839” (S. 153-216) ist den großen Reformen, vor
allem des toskanischen Strafrechts gewidmet, welche zwischen dem Ende der 30er
und dem Anfang der 50er Jahre stattfanden. Bekanntlich wurde im Jahre 1838 die
toskanische Gerichtsverfassung wesentlich modernisiert, vor allem durch die
Einrichtung eines Kassationshofs in Florenz. Verbunden mit der Einführung des
Kassationssystems und mit der damit zum Teil verbundenen Abschaffung des
gemeinrechtlichen Verfahrensrechts war auch eine Vielzahl anderer Reformen des
Prozessrechts und der Gerichtsverfassung eingeführt worden. Die Verfasserin
widmet sich hier insbesondere dem Strafprozessrecht und den damals zum Teil
heftigen Diskussionen über dessen Handhabung in der Praxis. In jenen Jahren
wurde auch, vor allem durch die „Legge organica“ von 1838, eine neue Regelung
über die autonome Selbstverwaltung der Anwaltsprofession nach französischem
Modell im Großherzogtum eingeführt. Das vierte Kapitel „,La Temi’ e lo ‚Stato
politico della Toscana’ dal 1847 all’Unità” (S. 217-271) ist der letzten Phase
der toskanischen Gesetzgebung bis zur Beendigung des politischen Lebens des
Großherzogtums gewidmet. Die Jahre 1847 und 1848 stellen bekanntlich eine
Wasserscheide für die Geschichte des italienischen Risorgimento dar. Eine
solche Entwicklung ist auch in der Toskana zu beobachten. Die heftigen
Diskussionen über die nationale Vereinigung und über eine liberale
Modernisierung des alten Großherzogtums sehen vor allem Juristen und Anwälte
als Protagonisten. Wiederum begegnen wir hier einigen berühmtem Namen, welche
später in der italienischen Geschichte des 19. Jahrhunderts eine große Rolle
spielten, wie etwa Giuseppe Montanelli und Giuseppe Panattoni. Auch hier
konzentriert sich die Verfasserin vor allem auf das Strafrecht und auf die
damaligen Diskussionen zu einer Kodifikation der ganzen Materie. Die ebenso
heftigen Diskussionen über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer
nationalen Zivilrechtskodifikation bleiben dagegen eher im Hintergrund. Die
beiden letzten Kapitel, das fünfte „Avvocati, cause celebri, il tribunale della
pubblica opinione“ (S. 273-330), und das sechste „L’avvocato Francesco Carrara
e l’avvocatura dalla Toscana all’Italia“ (S. 331-397), sind bereits den Jahren
der Übergangsphase zwischen Großherzogtum und neuem Königreich und der
rechtspolitischen Präsenz der toskanischen Anwälte während der ersten
Jahrzehnten des neuen italienischen Königreichs gewidmet. Das Verhältnis der toskanischen
Juristen zum neuen „Regno d’Italia“ war bekanntlich ambivalent. Einerseits
unterstützte eine große Mehrheit der toskanischen Anwaltschaft aus ihrer
liberalen Gesinnung heraus die Vereinigung der Halbinsel und die Gründung des
neuen Königreichs. Andererseits verteidigten die toskanischen Rechtspraktiker
damals die spezifische toskanische Tradition des Römischen Gemeinen Rechts in
Wissenschaft und Praxis gegen die damals, wegen des piemontesischen Einflusses
wachsende und geradezu sklavische Anlehnung an das französische Recht. Dies
gilt für alle Bereiche der damaligen neuen Gesetzgebung, insbesondere auch für
die Fertigstellung des ersten gesamtitalienischen Zivilgesetzbuchs von 1865. (Darüber
siehe Stefano Solimano, „Il letto di Procuste“. Diritto e politica nella
formazione del codice civile unitario. I progetti Cassinis (1860–1861), Milano
2003, insbes. S. 143ff.; dazu meine Rez. in dieser Zeitschrift ZRG. Rom. Abt. 124
[2007]). Die Darstellung der Verfasserin bietet hier interessante Einblicke zu
den damaligen rechtspolitischen Auseinandersetzungen aus der toskanischen
Perspektive und liefert wertvolle Informationen, die über das Strafrecht
hinausreichen und auch für diejenigen, die sich für die Geschichte der
Zivilrechtskodifikation interessieren, von Interesse sein dürften. Francesco
Carrara war einer der bekanntesten italienischen Anwälte aus den letzten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und über die Grenzen der Toskana als
Strafverteidiger berühmt. Er galt damals als linksliberal und progressiv und
musste deshalb in Konflikt mit der reaktionären Gesinnung der Politik der
italienischen Regierungsmehrheit geraten, die insbesondere die italienische
Politik der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts auszeichnete. Die gesamte
Untersuchung ist außerordentlich sorgfältig dokumentiert. Schwerpunkt der
Darstellung und ebenso der Quellen- und Literaturnachweise sind das Straf- und
das Strafprozessrecht. Von der Anwaltschaft werden also insbesondere die
Strafverteidigung und die Funktion der Anwälte im Strafverfahren
herausgestellt. Für jeden, der sich für die Geschichte des italienischen
„Risorgimento“ und der damals eingeleiteten großen rechtspolitischen Reformen
in Italien interessiert, liefert die Arbeit der Verfasserin wertvolle Einblicke
und Informationen. Für die jüngste Rechtsgeschichte des Großherzogtums Toskana
im Zeitalter des Risorgimento dürfte sie zu einer unverzichtbaren Lektüre
werden.
Saarbrücken Filippo
Ranieri