Chlosta, Christiane, Nur
dem Gesetz unterworfen? Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung zu Idee und
Wirklichkeit richterlicher Gesetzestreue unter besonderer Berücksichtigung der
Aufwertungsrechtsprechung und des richterlichen Prüfungsrechts (= Rechtshistorische
Reihe 312). Lang, Frankfurt am Main 2005. 229 S. Besprochen von André Depping.
Die Autorin will in ihrer von Jörn Eckert betreuten
Dissertation die Stellung der Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber durch
Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und die frühe
Bundesrepublik verfolgen. Es verwundert bei dieser großen Aufgabe nicht, dass
die Untersuchung außerhalb der beiden Weimarer Schwerpunkte, der
Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts und der Diskussion eines richterlichen
Prüfungsrechts in der Staatsrechtslehre, nicht mehr als zusammenfassende
Wiedergabe weniger Klassiker bleibt. Mit Begriffsjurisprudenz, Positivismus,
Freirechtsbewegung, konkretem Ordnungsdenken und Renaissance des Naturrechts
begegnet man bekannten Schlagworten durch die gewohnten Filter eines Wieacker,
Larenz oder Rüthers. Noch immer scheint der Griff zu den großen
Pionieren näher zu liegen als der Blick in neuere Untersuchungen, die Vieles
relativieren und genauer fassen.
Die Schwerpunkte sind eine
genauere Lektüre wert. Die Autorin liefert zunächst einen Überblick über die
dogmatischen Ansätze des Reichsgerichts zur Bewältigung der
Inflationsproblematik, um sich dann der rechtspolitischen Diskussion im Vorfeld
des Aufwertungsgesetzes und der Inanspruchnahme des richterlichen
Prüfungsrechts durch das Reichsgericht zuzuwenden. Sie betont den
Ausnahmecharakter der Aufwertungsrechtsprechung, verneint antidemokratische und
antiparlamentarische Tendenzen in den untersuchten Urteilen und stellt fest, dass
das Prüfungsrecht in der Rechtsprechung vor allem eine Drohung blieb. Hier hat
die Autorin bei der Einordnung ihrer Ergebnisse mit den Arbeiten Knut
Wolfgang Nörrs einen guten Griff getan. Die Nichtberücksichtigung der
absoluten einschlägigen Untersuchungen von Rainer Scholz zur
reichsgerichtlichen Aufwertungsrechtsprechung (2001) und Markus Klemmer
zu Gesetzesbindung und Richterfreiheit (1996) wirft sie dennoch weit hinter den
Forschungsstand zurück, zu dem die Autorin nur wenige Worte verliert.
Den originellsten Teil der
Arbeit bildet die Schilderung der Diskussion des Prüfungsrechts auf den
Deutschen Juristentagen und den Tagungen der deutschen Staatsrechtslehrer
zwischen 1921 und 1928. Im Mittelpunkt steht das Ringen um ein neues
Grundrechtsverständnis. An die etwas sprunghafte Schilderung der Tagungen
schließt sich eine nach Akteuren geordnete kurze Darstellung der Positionen
prominenter Staatsrechtslehrer zum richterlichen Prüfungsrecht in der Weimarer
Republik an. Warum die Autorin dabei die Gruppen „Positivisten“ und
„Geisteswissenschaftler“ bildet, erschließt sich dem Leser nicht.
Eine Einbeziehung des 1930 von Nipperdey
herausgegebenen Kommentars zu den Grundrechten hätte hier eine wertvolle
Abrundung gebildet und den Eindruck vermieden, dass ausschließlich die
Staatsrechtlehrer in Weimar den Einfluss von Grundrechten auf das einfache
Recht diskutierten. Eine Linie zum später erläuterten Verständnis der
Grundrechte als objektive Wertordnung in der frühen Bundesrepublik wäre damit
leichter zu finden gewesen.
So ist die abschließende
Zusammenfassung eine solche. Um Zusammenhänge bei der Verfolgung eines der
Grundprobleme jeder modernen Rechtsprechung durch das 20. Jahrhundert
aufzuzeigen, bleibt die Arbeit in weiten Teilen zu oberflächlich. Insbesondere
erfüllt die Autorin die von ihr in der Einleitung beim Leser geweckte
Erwartung, die Arbeit werde bei der verfassungsrechtlichen Überlagerung des
Zivilrechts Verbindungslinien über die Weimarer Zeit hinaus ziehen, im
einzelnen nicht. Lediglich die grobe Linie von einer Trennung von
Verfassungsrecht und Zivilrecht im Kaiserreich über einen für den Notfall
vorbehaltenen Rückgriff auf das Verfassungsrecht in der Weimarer Republik bis
hin zu einer vollständigen Überlagerung des einfachen Rechts durch das
Verfassungsrecht in der Bundesrepublik wird sichtbar. Die
grundrechtsfeindlichen Jahre nach 1933 erscheinen einerseits als Bruch,
andererseits aber auch als Auslöser einer Renaissance des Naturrechts nach
1945, die den Weg für unser heutiges Grundrechtsverständnis geebnet hat. Es ist
bereits eine Untersuchung zur Grundrechtstheorie in der frühen Bundesrepublik
und ihren Weimarer Grundlagen in Vorbereitung, die vermutlich Genaueres zu
diesem lohnenden Thema bietet.
Frankfurt am Main André
Depping