Braun, Konstanze, Dr. Otto Georg Thierack (1889-1946) (= Rechtshistorische Reihe 325). Lang, Frankfurt am Main 2005. 287 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die im Februar 2005 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel angenommene, von Jörn Eckert betreute Dissertation der Verfasserin. Sie befasst sich mit dem ehemaligen Präsidenten des Volksgerichtshofs des Dritten Reiches, der im August 1942 zum Reichsjustizminister berufen wurde. Da bisher eine Biographie dieses an den wichtigsten Stellen der Justiz wirkenden Juristen, von dem keinerlei persönliche Zeugnisse aufgefunden werden konnten, fehlte, schließt die Verfasserin mit der vorliegenden Arbeit eine deutliche Lücke.

 

Die Untersuchung ist detailliert in 12 Teile gegliedert. Der kurzen Einleitung folgen wenige Sätze über die Herkunft. Danach sind die Thieracks eine seit 1633 nachweisbare Niederlausitzer Bauern- und Bürgerfamilie und ist der als Kaufmann in Wurzen in Sachsen (25 Kilometer östlich Leipzigs) tätige Vater des am 19. April 1889 und damit einen Tag vor Adolf Hitler geborenen Otto Georg Thierack im März 1891 gestorben.

 

Thierack besuchte Volksschule und humanistisches Gymnasium in Wurzen und schloss das Abitur als durchschnittlicher Schüler zwischen gut und befriedigend ab. 1910 nahm er das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg auf, wo er nach zwei Wochen dem schlagenden Corps Guestphalia Marburg beitrat und bald einschlägig gezeichnet wurde. 1911 setzte er das Studium in Leipzig fort und 1913 bestand er die erste juristische Staatsprüfung mit befriedigend.

 

Danach bearbeitete er das Dissertationsthema Wem fällt das Vermögen eines rechtsfähigen Vereins des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach dem Verluste seiner Rechtsfähigkeit zu und wie gestaltet sich dieser Anfall? Am 12. Februar 1914 wurde er promoviert. Die Promotionsakte ist nicht erhalten, der Doktorvater von der Verfasserin nicht benannt.

 

Nach der Aufnahme in den praktischen Vorbereitungsdienst nahm Thierack von August 1914 bis Dezember 1918 als kriegsfreiwilliger Landsturmmann am ersten Weltkrieg teil. Am Ende des Krieges schied er als Leutnant der Reserve aus. Am 10. April 1920 bestand er die zweite juristische Staatsprüfung, für die zu dieser Zeit besondere Noten nicht vergeben wurden.

 

Danach trat Thierack am 20. April 1920 als Gerichtsassessor in den Justizdienst Sachsens am Landgericht Leipzig ein. 1921 wurde er Staatsanwaltschaftsrat in Leipzig, am 1. Oktober 1926 Staatsanwalt am Oberlandesgericht Dresden. Über die diesbezügliche Tätigkeit ist wenig bekannt, doch soll er der nationalsozialistischen Bewegung wertvolle Dienste geleistet haben.

 

Im Rahmen der Schilderung Sachsens und des sächsischen Justizministeriums vor 1933 geht die Verfasserin vertieft auf Aufstieg und Machtergreifung der Nationalsozialisten in Sachsen ein, wo die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei 1930 mit 14,4 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei im Landtag wurde, aber von der Regierung ausgeschlossen war. Wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Sachsen ernannte nach der Machtübernahme im Reich vom 30. Januar 1933 der Reichsminister des Inneren den Fraktionsführer der NSDAP in Sachsen Manfred von Killinger zum Reichskommissar für Sachsens Polizei. Dieser forderte drei Minister als Gefahr für die Sicherheit und Ordnung zum Rücktritt auf, worauf am 10. März 1933 die gesamte Regierung zurücktrat und die Regierungsgeschäfte Manfred von Killinger übertragen wurden.

 

Am 5. Mai 1933 wurde Manfred Mutschmann zum Reichsstatthalter in Sachsen ernannt. Er berief am 6. Mai 1933 eine neue Regierung Sachsens unter Ministerpräsident von Killinger. Der nach den Stimmenverhältnissen im Reich neu gebildete Landtag Sachsens beschloss am 27. Mai 1933 ein Ermächtigungsgesetz für Sachsen.

 

Bereits am 10. März 1933 hatte von Killinger den Staatsanwalt beim Oberlandesgericht Dr. Thierack mit der Führung der Geschäfte des Justizministeriums Sachsen beauftragt. Am 6. Mai 1933 ernannte ihn Manfred Mutschmann zum Justizminister. Auf der Suche nach Gründen für diese Ernennung muss die Verfasserin es auf Grund der schwierigen Quellenlage für fraglich halten, ob Thierack tatsächlich am sog. jahrelangen Kampf in der vordersten Front der nationalsozialistischen Bewegung teilgenommen hat.

 

Feststellen lässt sich, dass Thierack am 1. August 1932 in die Partei eingetreten ist und die Mitgliedsnummer 1378794 erhalten hat. Am 15. Februar 1934 schloss er sich der SA, Gruppe Sachsen an. Darüber hinaus vermutet die Verfasserin, dass der 1926 nach Dresden gelangte Thierack wie unzählige andere auch von der dortigen massiven Parteipropaganda erfasst wurde und sich dem Nationalsozialismus zugewandt hat, ohne dass sich dafür einzelne Beweisstücke auffinden lassen, so dass die Äußerung Günther Joels, Thieracks Berufung sei auffallend gewesen und habe auf – nicht näher dargelegten – Beziehungen zu von Killinger beruht, der Wirklichkeit nahekommen könnte.

 

Im Anschluss hieran untersucht die Verfasserin die Amtsführung Thieracks, der nach dem Übergang der Landesjustizverwaltungen auf das Reich zum 31. März 1935 am 1. April 1935 auf Vorschlag Reichsjustizminister Gürtners durch Adolf Hitler zum Vizepräsidenten des Reichsgerichts in Leipzig ernannt wurde, und die damit beginnende Tätigkeit am Reichsgericht so gründlich wie möglich. Sie gelangt dabei zu der Vermutung, Thierack könnte sein Amt am Reichsgericht unter anderem dazu benutzt haben, Berichte über die politische Haltung seiner Richterkollegen an die Parteistellen weiterzuleiten. Dies werde durch die Tatsache unterstützt, dass Thierack während dieser Zeit den Beinamen Völkischer Beobachter erhalten habe.

 

Es folgt die Tätigkeit als Präsident des Volksgerichtshofs ab 1. Mai 1936, für die Thierack wiederum auf Vorschlag Gürtners von Adolf Hitler ernannt wurde, weil er auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit nach seiner ganzen Persönlichkeit in jeder Hinsicht die Gewähr biete, dass er auch die ihm zugedachte neue Aufgabe meistern werde. Aus der sorgfältigen Beobachtung dieser rund sechs Jahre währenden Tätigkeit zieht die Verfasserin den Rückschluss, dass Thierack selbst versucht haben wird, dem von ihm beschriebenen Idealbild eines nationalsozialistischen Richters nahezukommen. Er habe sine Rechtsprechung offenbar vollkommen in den Dienst der nationalsozialistischen Führung und des nationalsozialistischen Staates gestellt und seine nationalsozialistische Einstellung sei jedem seiner Urteile deutlich zu entnehmen.

 

Am 20. August 1942 wurde Thierack von Adolf Hitler als Nachfolger des am 19. Januar 1941 verstorbenen, nicht als Nationalsozialist geltenden Dr. h. c. Franz Gürtner zum Reichsjustizminister ernannt. Nach einer Tagebucheintragung Goebbels’ soll der Grund dafür die besondere Radikalität Thieracks gewesen sein. Seine Amtsführung war nach den ausführlichen Feststellungen der Verfasserin dadurch gekennzeichnet, dass er die Justiz ganz im Sinne des Nationalsozialismus führte.

 

Nach der in ihren Einzelheiten ungewissen Verhaftung durch Großbritannien nahm sich Thierack im Lager Eselheide bei Paderborn am 26. Oktober 1946 das Leben. Nach den zusammenfassenden Überlegungen der Verfasserin bietet Thierack das Bild des überzeugten, radikalen, brutalen Nationalsozialisten ohne jedes Gefühl für Menschlichkeit, der durch stetige Loyalität gegenüber der Staatsführung das für ihn höchstmögliche Amt erreicht habe. Die geplante Anklage in Nürnberg und das Sühneverfahren vor der Spruchkammer Berlin kamen für gerechte Urteile zu spät.

 

Insgesamt behandelt die Verfasserin ein wichtiges Thema sorgfältig und umsichtig. Die Schwierigkeiten der schlechten Quellenlage löst sie durch vorsichtige Vermutungen, die freilich keine zweifelsfreien Feststellungen vollkommen zu ersetzen vermögen. Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einige Anhänge runden das Bild ansprechend ab.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler