Bozyakali, Can, Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht. Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge. Lang, Frankfurt am Main 2005. 347 S.

 

„Die nationalsozialistische Regierung missbrauchte mit den Sondergerichten die Justizgewalt als Mittel des politischen Terrors“. Dieses Zitat (ZEIT-Lexikon) beschreibt treffend die Einstellung, wenn von Sondergerichten die Rede ist. Geradezu nüchtern dagegen das Fazit des Verfassers der Arbeit: „Nach formellen Kriterien vermitteln die untersuchten Urteile des Sondergerichts den Eindruck juristischer Normalität“ (S. 302). Passen politischer Terror und juristische Normalität zusammen?

 

Sondergerichte sind keine Erfindung der NS-Machthaber, sondern gehen zurück auf Einrichtungen zur Abwehr eines Staatsnotstandes in preußischer Zeit, die dann in die Weimarer Zeit übernommen wurden, wobei die Verortung der Rechtsgrundlage im „berüchtigten“ Art. 48 WRV schon bedenklich werden konnte. Jedenfalls knüpfte der NS-Staat an die vorgefundenen Organisationen an, wertete sie aber um und in seinem Sinne auf. Das begann mit der Umverteilung der Kompetenzen für die Justiz, sie gingen von den Ländern auf das Reich über mit der Folge, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Gerichtsbarkeit organisatorisch der Beeinflussung durch die neue Ideologie geöffnet werden konnten. Speziell das Strafrecht erfuhr eine deutliche Umbewertung, vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht (zum Typus „Volksschädling“), von der Resozialisierung zur Sicherung des Gemeinschaftsinteresses an einer Sühne. Außerdem sollte eine schnelle Strafjustiz im Sinne eines „die Strafe folgt der Tat auf dem Fuße“ gewährleistet werden. Und hierfür schienen die Sondergerichte besonders geeignet. Ihre Verfahren wurden von vielen „verzögernden“ Formalien „gereinigt“; die Richter wurden aus politisch zuverlässigen Juristen ausgewählt, und die zugewiesenen Straftatbestände wurden von zunächst politisch bezeichneten Delikten erweitert auf alle Straftaten (besonders Vermögensdelikte), die im Zusammenhang mit den Kriegsumständen standen. Und trotzdem ergibt die Untersuchung des Verfahrens einen „Fehlschlag“ der Absichten: die Verfahrensdauer war nicht kürzer als vor den ordentlichen Gerichten; der Hauptverhandlung ging auf Grund von umfangreichen Ermittlungen ein langes Vorverfahren voraus; ebenso dauerte die Vorbereitung der Hauptverhandlung lange. Diese Verhandlung selbst lief mit Zeugen, Sachverständigen und Verteidiger ab und die schließlich gesprochenen Urteile waren formal „lege artis“ aufgebaut. Also doch alles „normal“?

 

Das Problem dieser Bewertung liegt in der Trennung von „formalem“ Verfahren und „materialem“ Recht. Gerade die Einhaltung des „normalen“ Verfahrens verdeckt das damit verwirklichte Unrecht. Der Verfasser gibt selbst einen Überblick über die verhängten Strafen: 12% Todesstrafen und rund 60% Zuchthausstrafen, wobei letztere zeitlich rund 4 Jahre ausmachten. Das klingt – auch unter Berücksichtigung der höheren Zahlen des Volksgerichtshofs – moderat. Aber das Problem liegt doch darin, für welche Taten diese Strafen verhängt worden sind. Nach heutigem Begriffen würde es sich im wesentlichen um sog. Kleinkriminalität handeln. Natürlich müssen die kriegsbedingten Umstände berücksichtigt werden (S. 152f.); es mutet geradezu schäbig an, die Folgen des Bombenkrieges und der damit verbundenen (jedenfalls zeitweiligen) Auflösung jeglicher Ordnung für Straftaten auszunutzen. Das „gesunde Volksempfinden“ mag diese harten Strafen gebilligt haben. Das heißt doch aber nicht, dass sie angesichts des möglichen Strafrahmens, - auch die Verordnung gegen Volksschädlinge enthielt (abgesehen von Plünderungen und gemeingefährlichen Verbrechen, §§ 1, 3) Strafrahmen – in drei Vierteln der Fälle auch verhängt werden mussten. Aber unter diesem Gesichtspunkt der Ausschöpfung des Strafrahmens wirkt sich – entgegen der Auffassung des Verfassers (S. 302) – die personelle Besetzung des Sondergerichts mit einer politisch zuverlässigen Elite ( S. 233) doch aus: die Verfahrensregeln wurden zwar eingehalten, die Strafen aber „wunschgemäß“ (was nicht heißen soll, sie seien vorher abgesprochen, das war angesichts der Richterpersonen auch nicht nötig) entsprechend den „Gesetzen“ ausgesprochen. Die Richter taten das im materiellen Recht, was von ihnen erwartet wurde.

 

Mit der Herausstellung der „Normalität“ des formellen Verfahrens wird auch in dieser Arbeit eine Tendenz der heutigen jüngeren Juristengeneration sichtbar, Formalien ohne Rücksicht auf die Materialen anzuwenden; die unabhängige Richterpersönlichkeit verlässt altersbedingt die Justiz. Wohin diese Einstellung führen kann, das sollte auch die Wirkung der Sondergerichte lehren; nur zieht heute kaum noch jemand abstrakte Lehren aus der Geschichte.

 

Frankfurt am Main                                                                              Siegbert Lammel