Bowman,
Jeffrey A.,
Shifting Landmarks. Property, Proof, and Dispute in Catalonia around the year
1000 (= Conjunctions of religion & power in the medieval past). Cornell
University Press, Ithaca 2003. XVI, 279 S. Besprochen von Thomas Gergen.
Die vorliegende Arbeit ist im Zuge der Beschäftigung mit der Jahrtausendwende (Millennium) entstanden. Das Jahr 1000 ist - natürlich in Sonderheit anlässlich der letzten Jahrtausendwende - unter den Mediävisten sehr vielschichtig und ausführlich diskutiert worden. Erinnert sei nur an die Weltuntergangsstimmung (Chiliasmus), den Verfall von Autorität und Institutionen, soziale Krisen sowie die großen Volksbewegungen für Frieden und für die Wiederherstellung der karolingischen Rechtsordnung.
Historiker wie vor allem Thomas Head, Richard Landes, Chris Wickham, Dominique Barthélemy, Hans-Werner Goetz und Thomas Gergen konnten anhand der genaueren Analyse der Gottesfrieden in der Francia herausarbeiten, wie die Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende gesehen wurde. Während die einen eine echte Krise des Systems ausfindig machten, plädierten andere nuancierter dafür, dass die Krisen nicht viel stärker waren als vorher und dass die bereits bekannten Mittel der Friedensschaffung lediglich in höherer Frequenz angewandt bzw. verstärkt benutzt wurden[1]. Zudem hat Barthélemy mit seinem Buch „L’an mil et la paix de Dieu: La France chrétienne et féodale, 980-1060“ glücklicherweise für eine Relativierung des Zeitpunkts, d. h. nur das Jahr 1000, in einen größeren Zeitraum, d. h. den Zeitraum 980-1060, sorgen können. Wenn Jeffrey A. Bowman vom Jahrtausend spricht, so hat er sich der Tendenz Barthélemys angeschlossen, seine Hauptthese der Grenzverschiebung (shifting landmarks) und des Kampfes um Beweis und Streit des Grundeigentums in Katalonien epochal weiterzufassen (around the year 1000). Mit dieser These ist er nach Thomas Bisson (Tormented Voices: Power, Crisis, and Humanity in Rural Catalonia [1140-1200][2]) und Barbara Rosenwein (Negotiating Space: Power, Restraint, and Privileges of Immunity in Early Medieval Europe[3]) jedoch nicht der erste, der das Problem der Umwälzung in der Kultur- und Rechtsgeschichte anhand der Analyse des Grundeigentums angeht.
Der Autor erforscht, wie die Menschen in der Provinz Narbonne mit dem Grundeigentum im 10. und 11. Jahrhundert verfuhren und wie dort das Gerichtssystem mit den Grundstücksstreitigkeiten umging. Da es für die Provinz Narbonne, die hauptsächlich Katalonien und den Bereich Languedoc/Roussillon umfasste, umfängliches Quellenmaterial auszuwerten gibt, war die Entscheidung richtig, die These auch an den Quellen festzumachen. Die Provinz zeichnete sich aus durch Berufsrichter, ein ausgeprägtes Prozessrecht und eine Präferenz für geschriebenes Recht (Westgotenrecht), wobei zur selben Zeit auch Gewohnheitsrecht und Gerichtsordalien zur Konfliktlösung angewandt wurden. Bowman sieht im Nebeneinander von bislang traditionellem, nicht verschriftlichem Recht einerseits und gelehrtem Recht andererseits einen weiteren wichtigen Beweis für die großen Veränderungen der „feudalen Revolution“ um das Jahr 1000 (Jean-Pierre Poly und Eric Bournazel). Zu Recht bleibt er aber nicht in der „Gewalttätigkeit“ der Jahrtausendwende, sondern widmet sich sogleich dem gelehrten Recht und der Praxis des Westgotenrechts, d. h. dem Forum Iudicum oder dem Liber Iudiciorum [S. 35], das eines der am stärksten romanisierten germanischen Rechte war. Dass die „Si-quis-Formeln“ ein hoher Beweis für die Romanität des mediterranen Rechts sind, ist seit den Studien Michel Zimmermans mediävistisches Gemeingut, worauf sich Bowman bei der Auswertung seiner Quellen stützen durfte. Die Gelehrtheit der Richter, der boni homines, bescheinigt die Handhabung der Fälle durch den bereits bekannten Richter Bonhom von Barcelona (Homo Bonus), von dem Bowman ein Manuskript anführt, nämlich den schon hauptsächlich von Ferrán Valls i Taberner und Anscari M. Mundó ausgewerteten Liber Iudicum Popularis. Darin verarbeitete Bonhom Passagen der Sentenzen und der Etymologie Isidors von Sevilla, eine Abhandlung über Geometrie, eine Liste westgotischer und fränkischer Könige, einen liturgischen Kalender sowie ein weit reichendes Glossar, wobei das Herzstück eine Abschrift des Westgotenrechts war [S. 84]. Die Abhandlung Bonhoms enthält Hinweise dafür, wie der Iudex richten und verwalten sollte und hilft, das Richterbild des 11. Jahrhunderts zu skizzieren. Die Beteiligung an den Gerichtsprozessen der boni homines, wie sie die Leges Visigothorum vorsahen, trugen nicht zuletzt in Katalonien zur weitgehenden Anerkennung und Durchsetzungskraft der Gerichtsurteile bei [S. 111]. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang die Unkenntnis Bowmans der zentralen Arbeit über „Die boni homines des frühen Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung der fränkischen Quellen“ von Karin Nehlsen-von Stryk[4].
Bowman gelingt im Ganzen der Nachweis seiner These, dass sich Grenzveränderungen und Eigentumsverschiebungen umso eher in praxi durchsetzen ließen, als das Recht verschriftlicht und das Richtertum professionalisiert waren. Dazu legt er ein eindrucksvolles Kapitel über Beweise und Strategien vor den Gerichten im Katalonien des 11. Jahrhunderts vor. Die Arbeit trägt das Verdienst, diese These in die „feudale Revolution“ und ihre Debatte für das Millenium gestellt zu haben. Die für das 11. Jahrhundert zahlreichen convenientiae und die Friedenskonzilien trugen ebenfalls zur Streitbeilegung über Grundstücksrechte bei[5]. Für die vielen Stellungnahmen hierzu sei hingewiesen auf die Arbeit Adam Kostos (Making Agreements in Medieval Catalonia: Power, Order, and the Written Word, 1000-1200[6]). Auch denkt der Leser sicherlich sofort an die überzeugende, leider von Bowman ebensowenig angeführte Studie von Gerd Althoff „Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde“[7]. Die quellengestützte Studie Bowmans leistet nicht bloß einen weiteren Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Mittelmeerraumes und des Herrschaftsverständnisses im 11. Jahrhundert, sondern ihr gelingt obendrein eine fallbezogene Beschreibung der materiellen wie prozessrechtlichen Regeln des Westgotenrechts dank der Hinwendung zu einer Professionalisierung des Richteramtes und des Beweisrechtes. Dies war unmittelbare Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung der Urteile über Grundstückseigentum und Grundstücksgrenzen im 11. Jahrhundert vor der „Renaissance“ des römischen Rechts von Bologna. Als Rechtshistoriker wünscht man sich im Ergebnis weitere solch gründlich gearbeitete Regionalstudien zum Grundstücks- und Prozessrecht des Hochmittelalters.
Saarbrücken Thomas Gergen
[1] Zur Debatte
detailliert: T. Gergen, Pratique juridique de la Paix et Trêve de Dieu à partir
du concile de Charroux 989-1250/Juristische Praxis der Pax und Treuga Dei
ausgehend vom Konzil von Charroux 989-1250, Frankfurt am Main 2004
(Rechtshistorische Reihe Bd. 285), S. 22-32 sowie S. 219-227.
[2] Cambridge/Mass., London 1998.
[3] Ithaca/NY, London 1999.
[4] Berlin 1981.
[5] Zur Auswirkung
auf die geografischen und rechtspraktischen Folgen der Gottesfrieden: T.
Gergen, The Geographical and Practical Legal Impact of the
Peace of God in Eleventh Century Aquitaine, in: A. Musson Boundaries of the Law: Geography,
Gender and Jurisdiction in Medieval and Early Modern Europe (International
Legal History Conference: Mapping the Law. Examining the Jurisdictional,
Jurisprudential, Geographical, Conceptual, Perceptual, Gendered and Ethical
Boundaries of the Law in the Medieval and Early Modern Periods, Exeter, 5. April 2003), Aldershot 2005, S. 21-37, hier für
Katalonien speziell S. 24-25 sowie S. 29.
[6] Cambridge 2001.
[7] Darmstadt 1997.