Bayern
- mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hg. v. Schmid,
Alois/Weigand, Katharina. Beck, München 2005. 480 S. Besprochen von Andreas
Deutsch.
Der
Sammelband mit 24 Einzelbeiträgen und dem abschließenden „Versuch einer Bilanz“
durch Hans-Michael Körner ging aus der bavaristischen Ringvorlesung hervor, die 2004 und
2005 über zwei Semester hinweg an der Ludwig-Maximilians-Universität in München
veranstaltet wurde. Er schließt sich insoweit an die beiden ebenfalls aus
Ringvorlesungen der LMU hervorgegangenen Bände „Die Herrscher Bayerns. 25
historische Portraits von Tassilo III. bis Ludwig III.“ (Beck, München 2001)
und „Schauplätze der Geschichte in Bayern“ (Beck, München 2003, vgl.
Besprechung in ZRG Germ. Abt. 122 (2005) 413f.) derselben Herausgeber an.
Das Buch schlägt in lockerer
chronologischer Ordnung einen breiten, bisweilen äußerst unterhaltsamen Bogen
durch die bayerisch-europäische Geschichte von der Hochzeit des
Bajuwarenherzogs Garibald mit der langobardischen Königstochter Walderoda um
560 bis zur Euroeinführung im Jahre 2002. Es handelt sich allerdings nicht um
eine geschlossenes Geschichtsbuch aus bayerisch-europäischem Blickwinkel. Wie
die Herausgeber selbst betonen, beansprucht der Band keinerlei Vollständigkeit,
will vielmehr „als Anregung dienen, sich diesem Themenkreis in nächster Zeit
verstärkt zuzuwenden.“ Die Herausgeber erhoffen eine Perspektiverweiterung für
die bayerische Landesgeschichtsschreibung, die ihr „gerade in einem
<<Europa der Regionen>> gut zu Gesicht stehen“ werde (S. 9), und
greifen damit einen Trend in der modernen Geschichtsforschung auf.
Sieht man von der Heiratspolitik ab, so
reichen die „bayerischen Außenbeziehungen“ jedenfalls ins 8. Jahrhundert
zurück: Rudolf Schieffer berichtet von der Reise Herzog Theodos nach
Rom, in deren Folge es zur päpstlichen Instruktion vom 15. Mai 716 kam, die
heute als „ältestes Aktenstück zur bayerischen Geschichte“ gilt und auf die Gründung
bayerischer Bistümer unter einem Erzbischof abzielte. Nicht immer waren
„Außenbeziehungen“ allerdings nur friedlich, verdeutlicht Ludwig Holzfurtner
in seinem Beitrag über die Ungarneinfälle in Bayern und die zahlreichen
Kriegszüge, die Bayern im Auftrag des Reichs zwischen 900 und 955 gegen die
Ungarn führen musste. Beispiele bayerischer Diplomatie am anderen Ende der
Zeitskala sind die von Martin Schulze Wessel dargestellten Kontakte
der in München und Budapest nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Räterepubliken
(1918/1919) sowie der von Ferdinand Kramer aufgegriffene Staatsbesuch
von Charles de Gaulle 1962 in München.
Sehr oft – so betont auch der Mitherausgeber
Alois Schmid (S. 241) – bestanden die bayerischen „Außenbeziehungen“
vornehmlich aus Einwirkungen auf Bayern von außen. Bereits im Aufsatz Knut
Görichs über die Bedeutung irischer Mönche für die Christianisierung in
Bayern wird dies deutlich. So haben die Iren u. a. die Praxis der Bußbücher
nach Bayern mitgebracht. Der Eindruck bestätigt sich im Beitrag Reinhold
Baumstarks über die frühe Zeit der Jesuiten in Bayern – vom Beginn ihrer
Lehrtätigkeit an der Ingolstädter Universität 1549 bis zum Weihejahr der
Münchener Jesuitenkirche St. Michael 1597, dem glanzvollsten architektonischen Beleg bayerischer
Papsttreue. Und auch das Verhältnis Bayerns zu Napoleon, von welchem Winfried
Schulze berichtet, war geprägt vom „engen Anschluss“ an den mächtigen Franzosen,
wovon Bayern zwar erheblich profitierte, im Gegenzug aber das eigene
Staatswesen nach französischem Vorbild umgestalten musste. Ganz freiwillig
hingegen orientierte sich Bayern bei seiner (umstrittenen)
Wirtschaftsliberalisierung und Industrialisierung am damals führenden Vorbild
Großbritanniens, wie Stephan Deutinger darstellt. Und auch Martin Baumeister
streicht in seiner Schilderung über die italienischen Arbeitsimmigranten in
Bayern seit 1956 primär Auswirkungen auf Bayern und die dort lebenden Menschen
heraus.
Gegenbeispiele, in denen Bayern in die
Welt hinausgewirkt hat, lassen sich offenbar am ehesten anhand von
Einzelbiographien darstellen. Alois Schmid beschreibt den Aufstieg eines
Bauernjungen aus dem Bayerischen Wald, der im Auftrag des spanischen Königs in
der entvölkerten Sierra Morena bei Cordoba ab 1767 mehr als 10.000 Deutsche
ansiedelte. Andreas Wirsching skizziert Lenins Zeit in München
(1900-1902), in der jener gänzlich unerkannt u. a. als Herr Meyer in Schwabing
lebte und auf die russische Revolution hinarbeitete.
Über Bayern hinausgewirkt hat freilich
auch sein Herrscherhaus, die weit verzweigte Familie der Wittelsbacher. Zuvörderst
gilt dies für die Wittelsbachischen Reichsoberhäupter, wie Peter Schmid
am Beispiel der Bündnispolitik zwischen Kaiser Ludwig dem Bayern und König
Edward III. von England verdeutlicht. Joachim Wild greift ein
Jahrhundert wittelsbachischer Herrschaft in Holland auf – von der Hochzeit
Ludwigs des Bayern mit der Tochter des Grafen Wilhelm III. von Hennegau-Holland
1324 bis zum Aussterben der Seitenlinie 1425. Claudia Märtl berichtet
über Elisabeth (Isabeau) von Bayern-Ingolstadt, die 1385 mit rund 15 Jahren Königin
von Frankreich wurde, indem sie den damals 16jährigen König Charles VI.
ehelichte, sowie über deren Bruder Ludwig, der ihr am französischen Hofe zur
Seite stand. Und Werner Buchholz hatte die vier Wittelsbacher aus dem
Hause Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg zum Thema, die zwischen 1654 und 1720 auf dem
schwedischen Königsthron saßen: von Karl X. Gustav, dem die Krone der damaligen
Großmacht nach Abdankung von Königin Christine zufiel, bis zu dessen Enkelin
Ulrike Eleonore, die den Thron freiwillig ihrem Mann überließ. Während
insbesondere im letzten Beispiel von „bayerischen“ Außenbeziehungen kaum mehr
die Rede sein kann, war die Krönung des 16jährigen Otto zum König des von den
Osmanen befreiten Griechenland dem politischen Willen und Nachdruck seines
Vaters Ludwigs I. von Bayern zu verdanken, dessen vielfältige Motive und
massive Einflussnahme Katharina Weigand darlegt.
Naturgemäß betrafen zahlreiche bayerische
Außenbeziehungen weniger Europa als vornehmlich das Verhältnis Bayerns zum
Reich und zu den deutschen Ländern; so zu Zeiten von Reformation und
Gegenreformation, als Bayern, die unbestrittene Bastion gegen den neuen Glauben
im Reich, mit dem katholischen Kaiserhaus zusammenrückte, worauf Manfred
Heim eingeht. Selbst die von Maximilian Lanzinner beleuchtete rege
Diplomatie zwischen Spanien und Bayern im Dreißigjährigen Krieg bezog sich
letztlich auf das Machtgefüge im Reich, denn sie zielte auf ein bayerisches Eingreifen
in den Krieg an der Seite Kaiser Ferdinands ab, der hierfür die Translation der
Kurwürde von der Pfalz auf Bayern versprechen musste. Und wenn „Kaiserin“ Maria
Theresia – für den Sammelband porträtiert von Reinhard Stauber – in Bayern ihren „declarierten Feind“
sah, so beruhte dieser Konflikt im Kern auf der Rivalität um die Reichskrone;
später folgten Gebietsstreitigkeiten und die Frage der bayerischen Erbfolge. Wolfram
Siemann nennt als Eckpunkte der Außenpolitik Ludwigs I. nicht nur die
Rückgewinnung der 1815 an Baden gefallenen rechtsrheinischen Pfalz, sondern
auch den Erhalt und Ausbau der im Deutschen Bund formal erlangten Souveränität
Bayerns. Auch Hermann Rumschöttel nimmt auf Bayerns
Souveränitätsinteressen als „Mittelmacht“ im Deutschen Bund Bezug und schildert
Bayerns nach 1848 forcierte Idee eines „Dritten Deutschland“ unter bayerischer
Führung als Gegenpol zu Österreich und vor allem Preußen. Europa tritt da mehr
und mehr in den Hintergrund.
Bemerkenswert ist auch der zum Teil
interdisziplinäre Ansatz des Bandes,
wenn etwa der Kunsthistoriker Frank Büttner der Frage nachgeht, ob es
einen urbayerischen Barock gibt und hierzu den Kunst- und Kulturaustausch mit
Italien unter die Lupe nimmt, oder wenn Hannelore Putz über Leo von
Klenze berichtet, der erst bayerischer Hofbaumeister, dann Schöpfer der 1852
vollendeten Neuen Eremitage in St. Petersburg wurde. Hervorzuheben ist in
diesem Zusammenhang der einzige explizit rechtshistorische Beitrag: Hermann
Nehlsen fasst seine neuesten Erkenntnisse zur Entstehung der „Lex Baiuvariorum“
zusammen, die aus der Zeit vor dem langobardischen Edictum Rothari (643)
stamme; in Anbetracht engster Beziehungen zwischen Bajuwaren und Langobarden
sei es nahe liegend, dass die Schöpfer des Gesetzes auf langobardische
Bibliotheken (Pavia, Bobbio) Zugriff gehabt und dort die nachweislich
verwendeten westgotischen Gesetze vorgefunden hätten. Insgesamt ist der facettenreiche
Band eine lohnende Lektüre.
Frankfurt am Main Andreas
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