Zivilrecht
unter europäischem Einfluss. Die richtlinienkonforme Auslegung des BGB und
anderer Gesetze – Erläuterungen der wichtigsten EG-Verordnungen, hg. v. Gebauer,
Martin/Wiedmann, Thomas, mit einem Geleitwort von Hirsch, Günter.
Boorberg, Stuttgart 2005. XXVII, 1673 S.
Als
die Reichskammergerichtsordnung des Jahres 1495 das von dem neuen Gericht
anzuwendende Recht beschrieb, stellte sie heimische Gewohnheiten und gemeine Rechte
einander gegenüber. Seit langer Zeit war allmählich neben das Recht
germanisch-deutscher Herkunft das gelehrte Recht der römischen Jurisprudenz und
der christlichen Kirche getreten. Seitdem gab es kein sicheres Wissen mehr,
darüber, was eigentlich galt.
Die
Gegenwart befindet sich in einer vergleichbaren Lage. Seit der Mitte des 20.
Jahrhunderts gibt es neben dem deutschen Recht unaufhörlich wachsendes
europäisches Recht. Niemand weiß mehr sicher, was eigentlich wie gilt.
Zum
einen nimmt der Bestand an europäischen Rechtssätzen durch unmittelbar geltende
europäische Verordnungen oder durch einigermaßen einheitlich umzusetzende
europäische Richtlinien zu. Zum andern greifen völlig losgelöst davon
allgemeine europäische Grundsätze insbesondere in der Form der
primärrechtlichen Grundfreiheiten an vielen Stellen ein. Damit ist das deutsche
Recht in einem unbestimmten Maß europäisiert.
Den
europäischen Einfluss auf das (deutsche) Zivilrecht umfassend zu dokumentieren,
ist deshalb eine drängende Aufgabe. Ihre Lösung haben sich Martin Gebauer,
wissenschaftlicher Assistent am Institut für ausländisches und internationales
Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, und Thomas Wiedmann
vom Justizdienst des Landes Baden-Württemberg zum gemeinsamen, mit
sachverständiger Hilfe vieler anderer anzustrebenden Ziel gesetzt. Dies ist
ihnen eindrucksvoll gelungen.
Im
ersten von fünf Teilen beschreiben sie zunächst gemeinsam das Verhältnis von
Zivilrecht und europäischer Integration. Danach stellt Thomas Wiedmann die
Anwendung des europäischen Rechts dar. Demgegenüber untersucht Martin Gebauer
die europäische Auslegung des Zivilrechts.
Der
zweite Teil ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch gewidmet. In der Abfolge des
Gesetzes werden hier Verzug (Martin Schmidt-Kessel), allgemeine
Geschäftsbedingungen (Wendt Nassall), Haustürgeschäfte (Thomas Wiedmann),
Fernabsatzverträge (Boris Schinkels), elektronischer Geschäftsverkehr (Jens
Haubold), Kaufvertrag (Stefan Leible), Teilzeit-Wohnrechteverträge (Ansgar
Staudinger), Verbraucherkredit (Reinhard Welter), Werkvertrag (Jan Maifeld),
Reisevertrag (Klaus Tonner), Zahlungsverkehr (Boris Schinkels), Deliktsrecht
(Bettina Heiderhoff) und Staatshaftung (Götz Schulze) erörtert. Außerhalb des
Schuldrechts ist das europäische Recht im Bürgerlichen Gesetzbuch des deutschen
Rechts offensichtlich noch nicht erkennbar angekommen.
Dafür
umso mehr in den im dritten Teil erfassten Nebengebieten des Privatrechts. Zu
ihnen werden gezählt Arbeitsrecht (Joachim Oppertshäuser), Handels- und Gesellschaftsrecht
(Marc-Philippe Weller), Bank- und Kapitalmarktrecht (Heinz-Dieter Assmann),
außervertragliche Haftung von Internetauktionshäusern (Ansgar Staudinger),
Vergaberecht (Wolfgang Jaeger), gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
(Bettina Goldmann/Michael Goldmann), Kartellrecht (Johannes Fetsch), unlauterer
Wettbewerb (Michael Goldmann) und – leicht irritierend - das
Unterlassungsklagengesetz (Wendt Nassall).
An
das Zivilrecht wird im vierten Teil das Zivilverfahrensrecht angeschlossen. Die
europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Zivil- und
Handelssachen behandelt Martin Gebauer, die europäische Gerichtsstands- und
Vollstreckungsverordnung in Ehesachen und Verfahren betreffend die elterliche
Verantwortung (auch für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten) Martin Frank, die
europäische Zustellungsverordnung Serge-Daniel Jastrow, die europäische
Beweisaufnahmeverordnung Stefan Huber, die europäische Insolvenzordnung Jens
Haubold, die Verordnung über den europäischen Vollstrreckungstitel Thomas
Klippstein und die europäische Prozesskostenhilferichtlinie Serge-Daniel
Jastrow und Dirk Mirow. Sie können alle unmittelbar von europäischer
Rechtssetzung ausgehen, ohne ein bestimmtes einzelnes deutsches Rechtsgebiet
zum Ausgangspunkt machen zu müssen.
Zum
guten Schluss nimmt Jürgen Gündisch zum Rechtsschutz Stellung. Der Rangfolge
entsprechend beginnt er mit den europäischen Gerichten, ehe er sich den
deutschen Gerichten zuwendet. Zu Recht sieht er den gemeinsamen Rechtsschutz
durch die deutschen Gerichte und den Europäischen Gerichtshof als höchstes Ziel
an.
Ein
neuartiges, gewichtiges Buch, das durch praktische Hinweise und ein
vierzigseitiges Stichwortverzeichnis vorteilhaft abgerundet wird. Möge ihm
gewichtiger Erfolg beschieden sein. Auch wenn es vielleicht den Erfolg des
römisches Recht deutschen Laien vermittelnden Laienspiegels nicht völlig
erreichen wird, wird es als eine Art europäischer Juristenspiegel über den
geleitenden Präsidenten des Bundesgerichtshofs Deutschlands hinaus nicht
zuletzt auch durch seine zahlreichen Literaturhinweise vielen deutschen
Rechtssuchenden auf ungewissem Grenzgelände von großem praktischem Wert sein
können.
Innsbruck
Gerhard
Köbler