Willmann, Peter, Die Konzentrationsmaxime. Eine Untersuchung heutigen und früheren Rechts (= Schriften zum Prozessrecht 186). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 272 S.
Obwohl das Werk Willmanns sich als Beitrag zur Auslegung und Reform des geltenden Rechts versteht, ist es auch für den Rechtshistoriker von Interesse, da der Verfasser in seine Überlegungen in weitem Maße auch die Prozessrechtsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit einbezieht. Der Verfasser geht von der Beobachtung aus, dass die Langwierigkeit „bürgerlicher Rechtsstreite“ das Rechtsleben seit je her beschwere (S. 15f.) und dass viele Änderungen der Civilproceßordnung von 1877 häufig ohne Wirkung geblieben seien. Dies führt der Verfasser darauf zurück, dass die Novellengesetzgeber „die Erfahrungen der Gerichte und Parteien mit früheren Verfahrensordnungen und sogar der ZPO selbst unbeachtet ließen“ (S. 16). Im ersten Teil beschreibt der Verfasser die Ursachen langwieriger Verfahren (Verzögerung des äußeren und inneren Prozessbetriebs) und unterscheidet dabei zwischen (zeitlich) gestaffeltem und überraschendem Vorbringen; zur Bekämpfung verzögertem Parteihandelns dienen Verfahrensstrafen (Ausschluss von Parteihandlungen aus dem Verfahren, Präklusion und Fiktionen; S. 38). – Im zweiten Teil untersucht der Verfasser die Mittel zur Bekämpfung gestaffelten Vorbringens gleichstufiger Angriffs- und Verteidigungsmittel, die sich als Verschleppung sinnvoller Prozesshandlungen begreifen lasse, zunächst rein historisch nach dem gemeinen Recht, der Bürgerlichen Prozessordnung des Königreichs Hannover von 1850 (BPO) und nach der CPO/ZPO sowie nach den Novellen von 1924 und 1976. Während die BPO eine Präklusion erst mit dem Erlass eines Beweisinterlokuts, also eine Zweiteilung des Verfahrens anordnete, stellte sich nach der CPO das gesamte Verfahren als ungegliederte Einheit dar. Statt den Ausschluss neuen Vorbringens kraft Gesetzes vorzusehen, brachte die CPO – anders noch der Entwurf des preußischen Justizministers Leonhardt von 1871 – die dem Richter obliegenden Ausschlussmöglichkeiten der §§ 252, 339 und 398 CPO. Diese Bestimmungen wurden 1924 in der einheitlichen Ausschlussvorschrift des § 279 ZPO verschärft, die wiederum durch den heutigen § 296 Abs. 2 ZPO ersetzt wurde. Willmann weist S. 82ff. nach, dass die herkömmliche Auslegung der §§ 252, 339 und 398 CPO bzw. der §§ 252, 374 und 433 ZPO insofern unzutreffend gewesen sei, als es nicht darauf ankommen sollte, ob das gestaffelte Vorbringen verspätet war oder nicht; vielmehr war nur darauf abzustellen, ob die Beachtung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel das Verfahren verzögert hätte und die Parteien sie mindestens grob fahrlässig nicht früher vorgebracht hatten. Hinzu kam noch, dass in diesem Fall nach Meinung des Verfassers das Gesetz den Ausschluss neuen Vorbringens zwingend vorgeschrieben hätte. In eine ähnliche Richtung soll die Auslegung der heutigen §§ 296 Abs. 1 1. Fall, 282 Abs. 1 ZPO gehen (vgl. S. 91ff.).
Der dritte Teil befasst sich mit der Bekämpfung überraschenden Vorbringens, das weder eine Verschleppung oder Unterlassung sinnvoller noch eine Vornahme sinnloser Prozesshandlungen darstellte: „Kann eine Partei ihrem Gegner nämlich nicht ohne vorherige Überlegung oder Erkundigung antworten, so beruht dies nicht auf einem Verdienst oder Vergehen einer der beiden Seiten, sondern auf dem raschen Wechsel von Rede und Gegenrede in der mündlichen Verhandlung“ (S. 100). Sowohl die BPO als auch die Bayrische CPO von 1869 sahen als Mittel gegen Verzögerungen des Verfahrens durch überraschendes Vorbringen ein vorbereitendes Verfahren durch einen Schriftwechsel vor, durch den die Parteien ihre künftigen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie ihre Anträge ankündigten (schriftliche Parteianträge bzw. motivierte Anträge). Die CPO übernahm das vorbereitende Verfahren und das Terminsystem der BPO, nicht das Rollensystem der Bayr. CPO. Das vorbereitende Verfahren bewährte sich nicht, zumal die Möglichkeit von Kostenstrafen nach dem Gerichtskostengesetz fast unbenutzt blieb. Die Reformen von 1898 (§ 262 Abs. 1 S. 1) und 1924 (u. a. Verfahren vor dem Einzelrichter, §§ 348-350) schufen kaum Abhilfe, nach Meinung des Verfassers wegen einer verfehlten Auslegung der genannten Normen. Die durch § 242b ZPO (vgl. auch §§ 279a, 283 ZPO) neu geschaffene Möglichkeit vorbereitender Maßnahmen durch das Gericht blieb in weitem Umfang ungenutzt (vgl. S. 130, 140).
Die Novelle von 1976 führte zu einer Vereinheitlichung, Straffung und Verdeutlichung des vorbereitenden Verfahrens, hatte aber auf die Dauer der Prozesse keinen nennenswerten Einfluss. Zurückzuführen ist dies auf die wachsende Belastung der Gerichte (vgl. S. 145ff.). Nach Meinung des Verfassers führt die herrschende Vorstellung, ein schriftliches Verfahren könne ein mündliches Verfahren beschleunigen, in die Irre (S. 146). Ob ein Rechtsstreit in einem einzigen Termin erledigt werden könne, hänge ebenso von seiner Eigenart wie von seiner Vorbereitung ab. Außerdem verstieße es gegen den Grundsatz der Mündlichkeit, verspätet mitgeteilte Angriffs- und Verteidigungsmittel aus dem Verfahren auszuschließen. Bei seinen Vorschlägen de lege lata geht der Verfasser davon aus, dass der Ausschluss verspäteten Vorbringens kraft Richterspruchs zur Beschleunigung des Verfahrens ungeeignet sei. Die ZPO sollte deshalb zum Ausschluss kraft Gesetzes zurückkehren und das Beweisurteil nach dem Muster der BPO wieder einführen. Das vorbereitende Verfahren sollte grundsätzlich nicht mehr dem Amts-, sondern dem Parteibetrieb unterstehen, d. h. das Gericht solle sich mit dem Rechtsstreit erst dann befassen müssen, wenn die Parteien ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel „rückhaltlos offen legen können und wollen“ (S. 169). Dies ist im wesentlichen das System des Code procédure civile von 1806, wenn auch unter Ausschluss von Missbrauchsmöglichkeiten zu Lasten der jeweiligen Gegenpartei. Allerdings ist der Verfasser nicht weiter den französischen Erfahrungen nachgegangen, die im 20. Jahrhundert zu vielfältigen Änderungen des Zivilprozessrechts in Frankreich geführt haben.
Die Arbeit erschließt dem Rechtshistoriker in konzentrierter
und anschaulicher Weise die Handhabung des erstinstanzlichen Zivilverfahrens
nach der BPO, der Bayr. CPO, der CPO von 1877 sowie der ZPO von 1898
(Neuverkündung 1950) einschließlich der Novellen des 20. Jahrhunderts. Leider
geht der Verfasser nicht auf die Möglichkeiten mehr ein, die Gesamtdauer der
Prozesse durch das Rechtsmittelsystem (Ausschluss neuen Vorbringens in der
Berufungsinstanz; Einschränkung der Revision) zu verkürzen. Die mit der CPO
ausgelösten Fehlentwicklungen beruhen weitgehend auf den Änderungen des
CPO-Entwurfs von 1871, der Fehlauslegung der Konzentrationsregelungen und der
mangelnden Vorbereitung insbesondere der preußischen Richterschaft auf das neue
Verfahren, sowie auf unklaren Gesetzesfassungen in der Novelle von 1924 und auf
den erheblichen Widerständen der Richter- und Anwaltschaft gegen eine strikte
Anwendung der ZPO-Regeln. Nach Meinung des Verfassers kommt noch hinzu, dass
die Maßnahmen des Gesetzgebers ungeeignet gewesen seien, eine nennenswerte
Beschleunigung der Verfahren herbeizuführen. Die vom Verfasser vorgeschlagenen
Reformmaßnahmen dürften allerdings kaum durchsetzbar sein, insbesondere nicht
die Einführung des (nicht bindenden) Beweisurteils, über das eine auch heute
noch bedenkenswerte Diskussion bereits in der Hannoverschen ZPO-Kommission
stattgefunden hat (hierzu W. Schubert, ZRG GA 85 [1968], S. 169ff.). Ob
die Vorschläge Willmanns dem Übel langwieriger Zivilprozesse abhelfen würden,
braucht hier nicht entschieden zu werden und ist im Übrigen nicht so
zweifelsfrei, wie der Verfasser dies hinstellt. Die Bedeutung des Werks für den
Rechtshistoriker ist darin zu sehen, dass der Verfasser eine im wesentlichen
als zutreffend anzusehende Analyse des erstinstanzlichen Zivilprozesses in den
vergangenen 140 Jahren vorgelegt hat, die der kaum bearbeiteten Geschichte des
Zivilprozessrechts seit 1879 neue Perspektiven eröffnet (zur ZPO-Novelle von
1924 vgl. die Edition W. Schuberts, 2005).
Kiel |
Werner Schubert |