Welf IV. – Schlüsselfigur einer Wendezeit. Regionale und europäische Perspektiven, hg. v. Bauer, Dieter, R./Becher, Matthias unter Mitarbeit v. Plassmann, Alheydis (= Beihefte zur Zeitschrift für Landesgeschichte 24). Kommision für bayerische Landesgeschichte/Beck, München 2004. VIII, 472 S., 2 Karten.

 

Welf IV., Oberitaliener von Abkunft und Wirkungsbereich her gesehen, trat in das Reich nördlich der Alpen, weil der Oheim Welf III. 1055 ohne Erben starb und sein Eigen dem Kloster Weingarten vermacht hatte, jedoch die Großmutter Imiza den Sohn ihrer Tochter Kuniza vom Hofe der Otbertiner in Este holte, damit dieser sich als Erbe gegen die nach Altomünster umgesiedelten Nonnen durchsetzte. Das war ein eigenwilliger und für Schwaben, Bayern und den Raum der Zentralalpen sehr folgenreicher Akt. Die ältere Forschung, genannt seien aus der Reihe der ‚Jahrbücher der Deutschen Geschichte’ die von Erich Steindorff und Gerold Meyer von Knonau gestalteten Bände mit deren historiographischen Nachwirkungen, geht zwar auf Welf IV. ein, vernachlässigt indessen die landschaftlichen Umfelder seines Wirkens. Das lag nicht nur an der Arroganz von Größen der Historischen Seminare gegenüber der Landesgeschichtsforschung, eher noch an der im Wilhelminischen Reich bevorzugten Sicht auf Welfenlande im Norden, die sich Preußen angeeignet hatte. Im Süden Deutschlands waren Forscher nicht untätig. Zu Großleistungen zählen die Werke von Christoph Friedrich Stälin in Württemberg, Franz Joseph Mone in Baden und Sigmund von Riezler in Bayern. Die seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gegründeten Historischen Kommissionen trugen in breitem Maße zur Erschließung von Quellen bei.

 

Bernd Schneidmüller weist in Wiederaufnahme seiner Forschungen zur Geschichte der Welfen zu Beginn dieser als Früchte einer Tagung veröffentlichten Untersuchungen über das Geschehen des Jahres 1055 und seiner Folgen auf die weiten geistigen und politischen Beziehungen in der Frühphase des Investiturstreites hin (S. 1-29) und betont besonders das Entstehen des hochadligen Eigenbewusstseins. Angesprochen wird hier der Ansatz des Mentalitätswandels, den jüngst Tobias Weller in der Heiratspolitik des Hochadels während des 12. Jahrhunderts in 15 Dynastien aufgezeigt hat.- In regionale Probleme der mit solchem Wandel verbundenen Reformbewegung führt nach Darstellung des oft unerfreulichen Schicksals der Quellen nach den Säkularisationen seit 1800 Franz Fuchs mit einer erst an späte Stelle platzierten Abhandlung über die Anfänge Rottenbuchs (S. 261-279) ein und fügt Hinweise auf das Wirken Manegolds von Lautenbach bei.- In die Komplexität der Probleme führt Alheydis Plassmann, Die Welfen-Origo, ein Einzelfall ? (S.56-84) ein, analysiert die Methoden der Traditionsbegründungen durch eine postulierte Abkunft von vornehmen Römern, Heldentaten irgendwelcher Ahnen, das Wirken geistlicher Sippenangehöriger, Beteiligung am Kreuzzug und damit verbundener Treue gegenüber dem Papst. (Warum aber die den Text verunzierenden Abkürzungen im Zeitungsstil ?).- In engem Zusammenhang mit solchen Fragen steht die umfängliche Untersuchung Werner Hechbergers über die Erbfolge von 1055 und das von ihm schon 1997 erörterte welfische Selbstverständnis (S. 129-156). Der Verfasser weist auf die erstaunlich geringe Ausprägung der Eigenwertaussagen der Welfen hin und stellt heraus, dass erst im Nachhinein in der Hausüberlieferung das Geschlecht ‚rekonstruiert’ wurde. Dazu gehören treffliche Hinweise auf Gottfried Wilhelm Leibniz und Lodovico Antonio Muratori.- Mit der etwas brüchigen Entwicklung des Eigenbewusstseins beschäftigt sich auch Matthias Becher, Der Name ‚Welf’ zwischen Akzeptanz und Apologie. Überlegungen zur frühen welfischen Hausüberlieferung (S.156-198). Hervorzuheben ist die profunde Darstellung der Forschungsgeschichte, die sich um den merkwürdigen Namen für Personen und Sippe rankt.

 

Ausgehend vom Übertritt Welfs IV. aus Italien nach Süddeutschland werden in mehreren Beiträgen dessen Wirken und das der raumgebundenen Machtfaktoren gewürdigt. An die zweite Stelle in der Folge der Untersuchungen wurde der Beitrag von Sönke Lorenz über Weingarten, zunächst zentraler Ort für die frühen Welfen, gerückt (S. 30-55).- In fernere Bereiche führt Heinz Dopsch, Welf III. und Kärnten (S. 84-129). Er analysiert subtil die Rechtsverhältnisse der seit der Spätkarolingerzeit im Zentral- und Ostalpenraum entstandenen Mächte, besonders Kärntens und der bedeutenderen Markgrafschaft Verona. Umfassend ist die Sichtung der Forschungen über den Adel in den Umfeldern der Stellungen Welfs IV. -Diese Adelswelt mustert Katrin Baaken, Welf IV., der ‚geborene Italiener’ als Erbe des Welfenhauses (S. 199-225). Die durch vielfältige Forschungen ausgewiesene Expertin beschäftigt sich mit dem Besitz im Raum um Este und Verona, weist darauf hin, dass der nach Deutschland Gekommene nach langobardischem Recht lebte und von der italienischen Stadtkultur in einem Maße geprägt war, das ihn von seinen staufischen Gegnern und anderen Zeitgenossen unterschied.- Eine vorzügliche Zusammenschau der Positionen Welfs IV. bringt Hubertus Seibert, Vom königlichen dux zum Herzog von Bayern (S. 226-260). Aufgezeigt wird die Durchdringung des westlichen Oberbayern unter dem Vorzeichen des Investiturstreites, ansprechend motiviert wird die Phasenverschiebung in den Beziehungen des Bayernherzogs zum Kaiser, beachtlich sind die frühen Ansätze zur Territorialisierung. -Johannes Laudage, Welf IV. und die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts (S. 280-313),bietet ein treffliches Exempel für die in jüngerer Zeit vernachlässigte Anwendung biographischer Frageansätze, um politische Wechselhaftigkeit vor dem Hintergrund fürstlicher Mitverantwortung für das Reich, Motive für die jeweilige Opposition gegen den Herrscher, Ergebenheit in Mahnungen des Papstes und Förderung der Kirchenreform zu dokumentieren.- Helmut Maurer, der hervorragende Kenner der Geschichte Schwabens, zeichnet Bischof Gerhard III. von Konstanz und Welf IV. als Häupter der süddeutschen Reformpartei (S. 314-338). Hingewiesen wird auf deren Zusammenwirken mit Herzog Berthold von Zähringen, die Bedeutung der Konstanzer Synode von 1084 und so eine die Forschung befruchtende Darstellung südwestdeutscher Landesgeschichte in der durch Papst Urban II. geformten Phase des Investiturstreites geboten.- Die Abfolge landesgeschichtlicher Studien setzt fort Thomas Zotz, Der südwestdeutsche Adel und seine Opposition gegen Heinrich IV. (S. 339-159). Welf IV. kommt führende Teilnahme an den Spaltungen des Herzogtums und seiner Adelswelt in der Opposition gegen den Kaiser und der wachsenden Rivalität zwischen Staufern und Zähringern zu.- Elke Goez, Welf IV. und Mathilde von Canossa (S. 360-381), sichtet umfassend die Quellen zur von Papst Urban II. vermittelten, infolge biologischer Gegebenheiten unglücklichen Ehe Welfs V. mit der Markgräfin.- Karel Hruza, Omne patrimonium suum cum ministerialibus, (S. 282-419), erschließt die Überlieferung der Abtei Weißenburg zur Geschichte der Herren von Wallsee und ihres Besitzes.- Den Schluss der ansehnlichen Sammlung von Studien zu den Welfen nimmt die Abhandlung Marie-Louise Favreau-Lilies, Welf IV. und der Kreuzzug von 1011 (S.420-447), ein. Die Verfasserin plädiert für Welfs Todesjahr 1102 aufgrund ihrer Überlegungen zum Itinerar nach dem Kreuzzug und aufgrund von Angaben in zeitgenössigen Quellen, so das Bild von diesem Fürsten und des ihm gewidmeten ansehnlichen Band abrundend.

 

Wiesbaden                                                                                                     Alois Gerlich