Wallner, Mathias, Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan. Beiträge zu den Anfängen der kurfürstlichen Politik im 14. Jahrhundert (1298-1356) (= Historische Studien 482). Matthiesen, Husum 2004. 349 S.

 

Ziel der vorzustellenden Dissertation ist es zu zeigen, daß das Kurfürstenkollegium als nicht nur anläßlich einer Königswahl gemeinschaftlich handelndes Gremium erst im Verlauf der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts Gestalt annahm, und die dabei wirksam werdenden Faktoren festzustellen, zu denen u. a. vor allem ein angeblich von Albrecht I. betriebener Erbreichsplan, aber auch die Goldene Bulle von 1356 und das gefälschte Privilegium Maius gezählt werden. Das erste Untersuchungsziel ist in der Forschung nicht umstritten gewesen (und wird doch sehr umständlich verfolgt), das zweite verleitet den Autor zu etlichen Spekulationen (vgl. die wiederholte Verwendung dieses oder eines verwandten Begriffs etwa auf S. 93, 94, 99 u. ö.), auf die an dieser Stelle unmöglich eingegangen werden kann (da dies zu einer eigenen Abhandlung führen würde), die aber (zumindest den Rezensenten) nicht überzeugen. Beispielhaft sei nur auf die aufwendigen Ausführungen hingewiesen, mit denen die Existenz eines habsburgischen Erbreichsplanes glaubhaft gemacht werden soll, wobei die in der Forschung längst bekannten und auch behandelten Gerüchte darüber hinsichtlich ihres Realitätsgehalts von Anfang an als vertrauenswürdig betrachtet werden, um die entsprechenden Quellen, die einmal als „spärlich“ (S. 94), ein andermal als zahlreich (S. 99, 116 f., 179, 316) betrachtet werden, vor diesem Hintergrund zielgerichtet interpretieren zu können – statt sich zunächst möglichst unabhängig von einer solchen Prämisse mit den herangezogenen Nachrichten zu beschäftigen (von denen – eingestandenermaßen [vgl. etwa S. 99, 105, 108, 113] – keine für sich allein den behaupteten Erbreichsplan als real belegen kann) und vor allem den gelegentlich beachteten konkreten (territorial-)politischen Zusammenhang, in dem sie Erwähnung finden, bei der Interpretation stärker zu berücksichtigen. Der mangelnden Stringenz der Argumentation (oder in der Eigendiktion des Verfassers [S. 17]: dem „große[n] argumentativen Aufwand“) entspricht die terminologische Unschärfe und Unangemessenheit entscheidender Begriffe (und dies, obwohl einleitend [S. 12ff.] die von Peter Moraw geprägte Begrifflichkeit erörtert wird). Nicht nur werden über ein akzeptables Maß hinaus (ab)wertende Adjektive und Termini („dubioses Ladungsschreiben“ [S. 23, 34], „selbsternannter Richter“ [S. 23], „abenteuerliche Koalitionen“ [S. 59], „schwülstige Wortwahl“ [S. 103], „Panik“ [S. 185], Marsilius von Padua als „selbsternannter Verteidiger des Friedens“ [S. 186], „Randdebiler“ [S. 289], „alberne Zänkereien“ [S. 298], „verkrampftes Bemühen“ [S. 310]) verwendet und kommt es zu ungewöhnlichen Wortbildungen (etwa: „Königsverfassung“, „interköniglich“, „interkurfürstlich“, „Rheinkurfürsten“, „Kurherren“, „Kurerzbischof“, „antirheinkurfürstlich“, „rechtspendendes Abstraktum“, „frühsouverän-zentralistisch“), sondern ist auch häufig mit Blick auf das 14. Jahrhundert von „Verfassungspolitik“, „Verfassungsakt“ oder „verfassungspolitischem Handeln“ und dgl. mehr die Rede. Die mangelnde sprachliche Präzision kommt auch in dem Unvermögen zum Vorschein, den eigentlichen Untersuchungsgegenstand, das unabhängig von Königswahlen als politisches Gremium handelnde Kurfürstenkollegium, begrifflich angemessen zu beschreiben: Dieses, in der frühen Neuzeit als Kurfürstenrat bekannte Gremium als „Kurfürstentum“ (S. 11, 20, 74, 80 f., 316 u. ö.) zu bezeichnen, widerspricht jedenfalls der üblichen Verwendung dieses Begriffs, der ansonsten entweder das kurfürstliche Territorium (in diesem Sinne etwa auch auf S. 83 verwendet) bezeichnet oder den Inhalt der kurfürstlichen Würde, das Recht zur Königswahl, meint – weswegen schon der Untertitel der Arbeit irreführend ist: Die Anfänge der (im traditionellen Verständnis) „kurfürstlichen Politik“ lagen zweifellos vor 1300, während um die Jahrhundertwende jener Prozeß einsetzte, durch den aus gelegentlich gemeinsam handelnden Kurfürsten allmählich ein institutionelles Gremium wurde (doch ist dies, wie bereits erwähnt, für die historische Forschung keine neue Erkenntnis mehr).

 

Wer sich über das Angemerkte hinaus von der Argumentationskunst des Verfassers selbst überzeugen möchte, kann dies leicht – aber nicht nur – anhand des Kapitels 3.4. („Das plötzliche Versiegen der Quellen“) tun, in welchem – nachdem zunächst „mit großem argumentativen Aufwand der Nachweis geführt“ (S. 17) worden ist, daß „auf Grund einer breiten und beredten Quellenbasis … zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, daß [… Albrecht I.] in den Jahren 1299 bis 1302 Pläne zu einer Veränderung der Gewohnheiten in der Nachfolgeregelung des Königtums erwog und forcierte“ (S. 179f.), nämlich in „Richtung der Etablierung einer Erbmonarchie“ (S. 180) – der Leser zu seiner Überraschung erfährt, daß dies freilich angesichts „der Realität des Wahlkönigtums“ (S. 180) unzeitgemäß war und „es … vollkommen unhistorisch [wäre], eine stringente und über einen längeren Zeitraum verfolgte Verfassungspolitik seitens irgendeines Handlungsträgers zu erwarten“ (S. 181), weswegen die immerhin von Albrecht angeblich über drei Jahre hinweg erwogenen Überlegungen „in die Richtung der Etablierung einer Erbmonarchie“ (S. 180) rein „tagespolitisch“ (S. 181) motiviert gewesen seien und eine „quasi momentane Zielsetzung die politische Aktion evozierte“ (S. 181), weswegen eben auch nach Albrechts Triumph über die rheinischen Kurfürsten in den Quellen nichts mehr von einem Erbreichsplan verlaute, zumal die „Vorstellung … in beinahe jeder Beziehung geradezu lächerlich“ (S. 181) wirke, „daß der siegreiche König durch revolutionierende Maßnahmen und in spektakulären, erschütternden Mandaten die Entmachtung des Kurfürstentums, zumindest seiner geistlichen Fraktion, verkündet und weiterbetreibt“ (S. 181). Daher „wäre es verfehlt, von einem grundsätzlichen Verfassungskampf in den Jahren 1299 bis 1302 zu sprechen, denn trotz aller verfassungspolitisch motivierter Aktionen war der Anlaß, der die erbrechtlichen Überlegungen Albrechts provoziert hatte, aktuell-tagespolitischer Natur: seine Erfahrungen mit kurfürstlicher Politik in den Jahren 1292 und 1298. Entsprechend konsequenzlos [gemeint ist: inkonsequent] wurden die Pläne verfolgt; …“ (S. 181).

 

Passau                                                                                               Franz-Reiner Erkens