Strunz-Happe,
Anne, Wandel der
Agrarverfassung. Die „Bauernbefreiung“ im ehemaligen Hochstift Paderborn im 19.
Jahrhundert (= Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 45). Bonifatius
GmbH Druck und Buch Verlag, Paderborn 2003. 283 S., 1 Karte
Die Verfasserin hat sich das Ziel gesetzt, den Weg einer
durch Abgaben und Dienste geprägten agrarischen Arbeitsverfassung im Hochstift
Paderborn hin zu einem freien selbständigen Bauerntum zu analysieren. Die
Anfänge dieser Reformbemühungen fallen in eine Zeit politischer Umbrüche. Nach
dem Ende der fürstbischöflichen Herrschaft gehörte das Hochstift von 1802 bis
1806 zu Preußen, bis es 1807 Teil des napoleonischen Modellstaats des
Königreichs Westphalen wurde. 1815 fiel es wiederum als Teil der Provinz
Westfalen an Preußen. Strunz-Happe stellt in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen
das Normengefüge, auf dem der Wandel der Agrar- und Arbeitsverfassung des
früheren Hochstifts Paderborns basierte. Dabei geht es zunächst um die Ebene
der Normsetzung und in einem zweiten Schritt um die Wirkungsgeschichte der
Gesetzgebung. Das spiegelt sich auch in der Gliederung der Arbeit deutlich
erkennbar wider.
Während
in einem ersten Sachkapitel – B. Agrarverfassung im Hochstift Paderborn vor der
Bauernbefreiung (S. 23-52) – in gebotener Kürze die Ausgangslage skizziert
wird, wendet die Verfasserin sich im zweiten Sachkapitel – C. Gesetzliche
Grundlagen der Bauernbefreiung im Hochstift Paderborn (S. 53-130) – den
Reformbestrebungen unter den unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen zu.
Alsdann wird im dritten Sachkapitel – D. Durchführung der Bauernbefreiung im
Hochstift Paderborn (S. 131-209) – der Prozeß der realen Durchführung der
Bauernbefreiung nachgezeichnet. Schließlich wird im letzten Kapitel – E.
Schlußfolgerungen (S. 211-250) – das Ergebnis der Untersuchung zusammenfassend
bewertet. Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis rundet die Arbeit
ab.
Im ersten
Kapitel umreißt Strunz-Happe die argrarverfassungsrechtliche Ausgangssituation
im Hochstift Paderborn vor der Bauernbefreiung. Von den drei Besitzgruppen die
sich im Hochstift nachweisen lassen – Freie, Meier und Eigenhörige – dominieren
eindeutig die zu Meierrecht angesessenen Bauern. Demgegenüber waren bis ins
Ende des 18. Jahrhunderts etwa 20 % der ländlichen Bevölkerung im Fürstbistum
Paderborn eigenhörig; freie Bauerngüter gab es dagegen nur wenige. Mit Blick
auf die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes verfügten die insgesamt
dominierenden Besitzgruppen der Meier und Eigenhörigen über ein erbrechtliches
Besitzrecht nach Anerbenrecht.
Bei der
Analyse der Schaffung gesetzlicher Grundlagen zur Bauernbefreiung im Hochstift
Paderborn geht die Verfasserin in drei Zeitschritten entsprechend den veränderten
politischen Herrschaftsverhältnissen vor. Sie gelangt dabei zu dem Ergebnis,
daß weder unter fürstbischöflicher Herrschaft bis 1802, noch unter der sich anschließenden
preußischen Herrschaft bis 1806 ernsthafte Reformen erfolgt sind. Insoweit ist
die Überschrift des dritten Abschnitts – „Reformen unter fürstbischöflicher
Herrschaft bis 1802 bzw. unter preußischer Herrschaft bis 1806“ –
mißverständlich, da die Verfasserin nach eher vagen Andeutungen zu singulären
Ereignissen im Hochstift Paderborn praktisch nur auf Reformen in anderen
Territorien verweist.
Zu ersten
gesetzlichen Maßnahmen der Bauernbefreiung kam es im Paderborner Land erst
während der Zeit des Königreichs Westphalen. Ausgangspunkt aller legislatorischen
Maßnahmen war Art. 8 der Konstitution des Königreichs Westphalen, nach der alle
Leibeigenschaft und die daraus resultierenden Dienste und Abgaben als aufgehoben
galten. Allerdings ergaben sich in der Folgezeit Auslegungsschwierigkeiten über
die Reichweite dieser Regelung, was zu einer Reihe erklärender Dekrete führte.
Strunz-Happe macht beispielhaft deutlich, daß es trotz zahlreicher
legislatorischer Maßnahmen nicht gelungen war, im Königreich Westphalen ernste
und nachhaltige Agrarreformen umzusetzen.
Erst nach
der Auflösung des Königreichs Westphalen und der Eingliederung des Paderborner
Lands in die preußische Provinz Westfalen kam es in den zwanziger Jahren zu
mehreren legislatorischen Maßnahmen, die die Bauernbefreiung zum Ziel hatten.
Die Verfasserin macht deutlich, daß die Entstehung der Gesetze von heftigen
Debatten zwischen den Berechtigten und Verpflichteten, also den Grundherren und
den Bauern, begleitet waren. Deutlich wird ferner, daß der preußische Staat bei
diesen Diskussionen vornehmlich um einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen
bemüht war. Strunz-Happe zeichnet detailliert diesen Prozeß nach und macht
dabei deutlich, daß die preußische Regierung ganz offensichtlich die
wirtschaftlichen Voraussetzungen und damit auch etwaige Folgen ihrer gesetzgeberischen
Maßnahmen nicht richtig eingeschätzt hatte.
Ein
zentraler Punkt in der weiteren Diskussion um die Modalitäten der
Argrarreformen war die Frage, ob zumindest teilweise anstelle einer
Kapitalabfindung eine Landabfindung stattfinden solle. Nach der
Ablösungsordnung von 1829 war schließlich eine Landabfindung möglich,
allerdings mußten den Bauern mindestens zwei Drittel ihres Besitzes, mindestens
aber soviel Land daß er noch eine landübliche,
spannfähige bäuerliche Nahrung behält (§ 24) verbleiben. Dabei blieb es bis
zum Erlaß der Ablösungsordnung von 1850, die dann eine abschließende Regelung
der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse für ganz Preußen brachte. Jedoch
hatte dieses Ablösungsgesetz von 1850 für das Gebiet des ehemaligen Hochstifts
Paderborn keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Das Gesetz brachte lediglich
eine Reihe von Erleichterungen bei der praktischen Durchführung der Ablösungen
und beseitigte endgültig das geteilte Eigentum.
Das
Hauptproblem bei der Durchführung der Bauernbefreiung im Hochstift Paderborn
bestand in dem Umstand, daß es den pflichtigen Bauern in aller Regel nicht
möglich war, die entsprechenden finanziellen Mittel zur Ablösung aufzubringen.
Angesichts dieser Situation wurde eine Reihe regional begrenzter Maßnahmen
ergriffen, um nach dem Vorbild der sächsischen Landrentenbank Kreditinstitute
zu schaffen, die die erforderliche Zwischenfinanzierung der
Ablösungsverpflichtungen vornahmen. Als erste derartige Kreditanstalt in
Preußen wurde 1832 die westfälische Provinzialhilfskasse errichtet. Da
gleichwohl die zunächst erwartete Ablösung der bäuerlichen Lasten im Hochstift
Paderborn ausblieb, wurde seit Anfang der dreißiger Jahre über nachhaltige
Hilfsmaßnahmen, insbesondere die Schaffung einer staatlichen Unterstützungskasse
diskutiert. Im Ergebnis wurde 1834 die Tilgungskasse zur Erleichterung der
Ablösung der Reallast in den Kreisen Paderborn, Düren, Warburg und Höxter
geschaffen. Der Paderborner Unterstützungskasse war zunächst kein Erfolg
beschieden, da die Grundbesitzer nicht bereit waren eine Abfindung zum
fünfzehnfachen Jahresbetrag zu akzeptieren. Deshalb erging zwei Jahre später
ein neues Reglement zur Paderborner Tilgungskasse, das diesen Betrag auf das
achtzehnfache anhob. Dieses neue Tilgungskassenreglement wurde allgemein
positiv aufgenommen und führte alsbald zu praktischen Erfolgen bei der
Ablösung. Die Verfasserin macht im Detail deutlich, daß, ungeachtet dieser
insgesamt positiven Wirkung, erhebliche Schwierigkeiten bei der praktischen
Durchführung der Agrarreformen zu überwinden waren.
Das
Tilgungskassenreglement galt ausdrücklich nur für die privatgutsherrlichen
Bauern; ausdrücklich ausgenommen waren die Domänenbauern. Für deren
„gleichmäßige Erleichterung“ sollte „anderweitig gesorgt“ werden. Als sich in
der Folgezeit bei der Ablösung der Domänenbauern der gewünschte Erfolg – vor
allem aufgrund des Kapitalmangels bei den Pflichtigen – nicht einstellte,
wurden sie hinsichtlich der Möglichkeit, die Tilgungskasse in Anspruch zu
nehmen, 1837 durch Kabinettsorder dem Tilgungskassenreglement unterworfen.
Das 1850
gleichzeitig mit dem Ablösungsgesetz erlassene Rentenbankgesetz ermöglichte
schließlich den überwiegend kapitalschwachen Paderborner Bauern, die Ablösung
der Lasten in einem langgestreckten Prozeß gegen Zahlung einer mäßigen Rente zu
realisieren. Damit war ein gefährliches Konfliktpotential im Verhältnis der ablösungsberechtigten
Grundherren und der zahlungspflichtigen Bauern – nämlich die direkte
regelmäßige Zinszahlung – durch das Dazwischenschalten einer Rentenbank
entschärft.
Im
folgenden wendet sich die Verfasserin einer Reihe von Problemen bei der konkreten
Umsetzung der Reformen gemäß den Gesetzen von 1825 und 1829 zu. Dabei ging es
einmal um die Ermittlung der Durchschnittspreise für Getreide sowie die
Festsetzung der Spannfähigkeit eines Bauernhofs als Grundlage für die
Landabfindung. Ferner waren zu regeln die Ablösung des Heimfallrechts und die
Regulierung ungewisser Gefälle, wie etwa der Weinkauf bei Besitzwechsel.
Schließlich stellt Strunz-Happe die Ablösung bäuerlicher Lasten in den Kontext
der bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Preußen einsetzenden
Gemeinheitsteilungen. Die durch die Bauernbefreiung geschaffene neue
Agrarstruktur machte nicht nur die Teilung der gemeinschaftlichen
Nutzungsreserven erforderlich, sondern vor allem auch die Beseitigung der die
Grundeigentümer beschränkenden Weiderechte.
Die Bauernbefreiung
führte zu einer das ganze 19. Jahrhundert andauernden Diskussion um ein
Sondererbrecht für Bauerngüter. Weder der Code Civil, noch das Allgemeine
Landrecht sahen ein solches bäuerliches Sondererbrecht, etwa in Gestalt des
traditionellen Anerbenrechts vor. Im Interesse des Erhaltes lebensfähiger
Bauernwirtschaften sollte die Zerstückelung der Bauernhöfe durch die
Wiedereinführung des Anerbenrechts vermieden werden. Die Diskussionen um ein
tragfähiges bäuerliches Sondererbrecht fanden schließlich mit dem Anerbengesetz
von 1898, das zusammen mit dem BGB am 01. Januar 1900 in Kraft trat, ihren
Abschluß.
In ihren
Schlußfolgerungen nimmt die Verfasserin zunächst eine Einschätzung der
Agrarreform für das Hochstift Paderborn insgesamt vor, um sich anschließend den
Auswirkungen der Reformen auf die ländliche Bevölkerung zuzuwenden. Dabei kommt
sie zu dem sicher nicht überraschenden Schluß, daß mit den Agrarreformen eine
vollständige Änderung der Bodennutzung im Paderborner Land einher ging. Für den
Aufschwung der von feudalen Fesseln befreiten bäuerlichen Wirtschaften war aber
nicht zum geringsten auch die Nähe zu dem sich in einem überaus dynamischen
Prozeß der Industrialisierung befindlichen Ruhrgebiet als Abnehmer von
Nahrungsmitteln und Arbeitskräften von Bedeutung. Im Vergleich zu den
preußischen Gebieten in Ostelbien konnten im Paderborner Land, wie in Westfalen
überhaupt, auch kleinere und mittlere Bauern überleben, da Landablösungen
insgesamt eine geringe Rolle spielten.
Die
vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 2001/2002 der Juristischen Fakultät
der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation vorgelegen. Strunz-Happe
liefert mit ihr einen wertvollen Baustein für den konkreten regionalen Verlauf
des allenthalben in Deutschland im 19. Jahrhundert stattfindenden Prozesses der
Bauernbefreiung. Sehr zu begrüßen ist das Bemühen der Verfasserin die jeweiligen
Entwicklungen im ehemaligen Hochstift Paderborn im Kontext mit anderen
westfälischen und preußischen Regionen zu sehen. Für den Leser
gewöhnungsbedürftig ist das methodische Vorgehen bei der Gliederung der Arbeit:
zuerst werden die gesetzlichen Grundlagen der Bauernbefreiung und schließlich
deren Durchführung im Hochstift Paderborn untersucht, um anschließend
Schlußfolgerungen zu ziehen. Daraus erklären sich auch eine Reihe von lästigen
Wiederholungen. Alles in allem handelt es sich aber um eine wohl gelungene
Arbeit, die nicht nur für den Rechtshistoriker von Interesse sein dürfte.
Bochum Bernd
Schildt