Stewart, Frank Henderson, The Contract with Surety in Bedouin Customary Law, UCLA Journal of Islamic and Near Eastern Law 2 (2003), 163-280

 

Die vorliegende Studie scheint, zumindest vom Titel her, weit außerhalb des von dieser Zeitschrift betreuten Fachbereiches zu liegen. Schon ein kurzer Blick auf Text und Fußnoten allerdings zeigt, dass sie sich – zwar nicht ausschließlich, aber doch auf weite Strecken und dann ziemlich intensiv – mit einer alten „Götterstreitigkeit“ der Rechtsgermanistik befasst, und zwar mit der Frage nach Auseinandertreten oder Zusammenfallen von Schuld und Haftung. Dementsprechend liest sie sich stellenweise wie ein „klassischer“ Aufsatz zum germanischen oder mittelalterlichen Obligationenrecht, freilich transponiert auf einen im Zentrum der Halbinsel Sinai nomadisch lebenden, aus etwa 160 Familien bestehenden Beduinenstamm, die Ahaywaat, deren customary law der Autor in den Jahren 1976 bis 1982 erforschte. Dabei fand er unter anderem ein relativ ausgeklügeltes System von Blutgeld-Gruppen, die etwa 10 bis 15 Männer agnatischer Verwandtschaft umfassten und die entfernt an die altgermanischen Sippen und ihre Fehden sowie an die diese möglicherweise beendenden oder ersetzenden Sühneverträge erinnern. Tatsächlich kamen Tötungen aus Rache in der Praxis kaum vor; meist einigten sich die beteiligten blood-money groups auf eine Geldentschädigung, deren Höhe entweder zwischen den Parteien ausgehandelt oder durch einen „Richter“ festgesetzt wurde. Die Erfüllung solcher (und anderer) Vereinbarungen, aber auch von einseitigen Versprechen wurde in der Regel durch die Stellung eines Garanten (guarantor) gesichert, meist eines älteren und angesehenen Mitglieds der Schuldnergruppe (elder), der mit seiner Ehre für die Vertragstreue des Hauptschuldners (principal) haftete. Ähnliches aus unserem Rechtskreis habe ich seinerzeit (ZRG Germ. Abt 82 [1965] 140ff.) mit den Rechtsfiguren des Gestellungs-, Exekutions-, Verwendungs- und Repressalienbürgen zu erklären versucht. Es scheint also, als hätte es bei den Ahaywaat etwas Vergleichbares gegeben. Dass es dabei hier wie dort um diffizile soziale Mechanismen und Abhängigkeiten ging/geht, liegt auf der Hand. Der Verfasser spürt für seinen Bereich diesen Zusammenhängen ausführlich und – soweit erkennbar – mit großem Einfühlungsvermögen nach. Er kommt in diesem Zusammenhang auch auf das Verhältnis von Schuld und Haftung zu sprechen (S. 223ff.), das er, aus seinen Erfahrungen heraus, eindeutig im Sinne eines Auseinanderfallens deutet. Es würde dieses Ergebnis, wenn es zutrifft, die duty-liability theory um ein weiteres Beispiel vermehren. Wir müssen uns jedoch vor Augen halten, dass bei dieser Art ethnologischer Jurisprudenz Vorsicht am Platz ist: Nicht alles ist 1:1 auf andere Zeiten, Gegenden und Rechtsordnungen zu übertragen, ganz zu schweigen von Sprach- und Verständnisschwierigkeiten.. Das schmälert keineswegs Stewarts Verdienste um die Erschließung einer für westliche Forscher schon aus sprachlichen, aber auch aus geographischen und politischen Gründen nur sehr schwer zugänglichen Rechtskultur. Und, wer weiß: vielleicht ist diese Studie sogar Anlass und Anstoß dafür, dass auch unsere Wissenschaft sich wieder einmal des dornigen Problems von Schuld und Haftung annimmt, das ich zuletzt (Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IV [1990] 1505ff.) in seiner Bedeutung eher zurückhaltend bis skeptisch bewertet habe. Mit Recht stellt der Verfasser (S. 227) demgegenüber fest: „At least for the later Middle Ages, the sources on German law are so voluminous that it may one day be possible to reach a definite conclusion on this question (although the slow pace of research suggests that the day is still distant)“. Vielleicht kann man ihn hinsichtlich des Klammerausdrucks eines Besseren belehren.

 

Wien                                                                                                                Werner Ogris