Staatsformen. Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch, hg. v. Gallus, Alexander/Jesse, Eckhard. Böhlau, Köln 2004. 415 S.

 

Der als „Handbuch“ gemeinte Sammelband verfolgt Realgeschichte und Ideengeschichte politischer Ordnungen vom Altertum bis zur Gegenwart. Die Autoren sind Historiker und Politikwissenschaftler, deren disziplinäre Herangehensweisen von den Herausgebern als gleichmäßig miteinander verbunden vorgestellt werden.

 

Der Band zeigt jedoch die Grenzen des Interdisziplinären. Die historisch-individualisierende und die politikwissenschaftlich-systematisierende (hier im Band auch ausdrücklich normative) Perspektive sind nun einmal verschieden, und sie kommen hier nicht zusammen. Alexander Gallus beunruhigt in der Einleitung, dass „trotz zahlreicher Anstrengungen bis heute“ keine „Typologie mit universalem Geltungsanspruch“ existiere. Dabei ahnt er, dass die „individuelle Ausprägung von Staatlichkeit zu den verschiedenen Zeiten und Epochen [...] wahrscheinlich keine gänzlich enthistorisierte Betrachtungsweise“ erlaube.

 

Gallus arbeitet sich in seinem Beitrag dann durch sämtliche Staatsform-Typologie-Vorschläge seit der Antike, bis hin zu einer (für einen Historiker einigermaßen komisch wirkenden) „Prüfliste“ mit „Punktesystem“ „zur Feststellung des Diktaturgrades zu bestimmten Zeitpunkten“ einer Diktaturentwicklung. Am Ende steht hier erneut diese seltsam selbstzerstörerische Mischung aus Typologie-Sehnsucht und Vergeblichkeitsahnung: „Die Schaffung einer universal gültigen und anwendbaren Typologie bleibt mithin ein Desiderat, das angesichts der Vielgestaltigkeit staatlicher Erscheinungen in Geschichte und Gegenwart vielleicht niemals eingelöst werden kann.“

 

Die historischen Beiträge, allen voran der Alexander Demandts über „Staatsformen in der Antike“, auch der Gerhard Dohrn-van Rossums über das Mittelalter, geben souveräne Überblicke; vielleicht naturgemäß hat man das alles auch schon einmal woanders gelesen. So warnt Luise Schorn-Schütte für die frühe Neuzeit ein weiteres Mal davor, sich vom „Absolutismus“ hypnotisieren zu lassen; es gab die Stände und es gab überhaupt eher eine Dominanz von Mischverfassungen. Und sie warnt mit der Forschung der letzten Jahrzehnte vor zu allgemeinen und starren Begriffen von frühneuzeitlichem „Staat“ und frühneuzeitlicher „Staatsbildung“; besser spräche man davon, Eliten hätten in verschiedenen Phasen und Weisen Herrschaft institutionalisiert.

 

Hans Fenske verweigert in seinem Beitrag über den Zeitraum von 1773/74 bis 1815 der Französischen Revolution die gewohnte strahlende Sonderrolle, gibt sie stattdessen der amerikanischen und endet erfrischend pointiert, es sei „doch erwägenswert, ob die europäischen Staaten 1815 ohne die Französische Revolution nicht auch dort gestanden hätten, wo sie tatsächlich waren“. Es sei „sogar denkbar, dass sie auf dem Wege zum modernen Verfassungsstaat schon weiter vorangekommen wären“.

 

Uwe Backes zeichnet einmal mehr die Staatsformendiskussion des 19. Jahrhunderts zwischen Liberalen, Demokraten und Konservativen und die Entwicklung zum in Europa dann dominierenden Verfassungstyp der konstitutionellen Monarchie nach. Vielleicht ist die Kritik ungerecht, aber brauchen wir noch solche zentralen Sätze Backes‘: „Konstitutionalisierung und Demokratisierung gingen keineswegs immer Hand in Hand“ (dieser Satz sogar wörtlich zweimal), oder „Demokratisierung war ohne Parlamentarisierung möglich“, oder „Vorherrschend war [in der liberalen Diskussion] vielfach eine dualistische Gegenüberstellung von Regierung und Parlament“? Mindestens hätte Backes öfter ein „bekanntlich“ einfügen sollen.

 

Auch bei Armin Pfahl-Traughber bleibt alles beim alten: Diktaturen im 20. Jahrhundert ruhen auf verschiedener ideologischer Legitimation, unterscheiden sich jedoch auch in der Intensität der Herrschaft, weshalb man durchaus weiterhin zwischen autoritären und totalitären Diktaturen unterscheiden dürfe. „Allerdings bestand eine Reihe von Diktaturen, die sowohl Merkmale des einen wie des anderen Typus aufwies oder einen internen Entwicklungsprozess im Sinne einer Mäßigung des Herrschaftsanspruchs erfuhr. Daher bedarf es einer weiteren Ausdifferenzierung bei der Unterscheidung von autoritären und totalitären Diktaturen.“ Der Rezensent möchte widersprechen: Daher bedarf es schlicht der historischen Perspektive, die sich an Differenziertheit von keiner Typologie übertreffen lässt.

 

Steffen Kailitz betont in seinen Überlegungen zu den demokratischen Systemen im 20. Jahrhundert, dass sich heute allgemein das liberale Konkurrenzmodell der Demokratie durchgesetzt habe, denn Rousseaus Identitätsmodell habe in den Totalitarismus geführt (siehe schon Friedrich Meinecke 1946). Der Unterscheidung von parlamentarischen und präsidentiellen Demokratien will Kailitz, anderen folgend, einen eigenständigen Typ des „Semipräsidentialismus“ hinzufügen, um dann innerhalb dieses Typs „je nach der Betonung der parlamentarischen oder präsidentiellen Komponente zwischen parlamentarisch-präsidentiell und präsidentiell-parlamentarisch unterscheiden“ zu können. Spätestens hier hatte der Rezensent vom banalen Unterscheiden genug. Jedenfalls findet Kailitz die parlamentarische der präsidentiellen Demokratie grundsätzlich überlegen.

 

Eckhard Jesse beurteilt die demokratische Qualität politischer Systeme des 20. Jahrhunderts und plädiert für eine Zukunft des demokratischen Staates auch in einer globalisierten Welt („Die Globalisierung ist ambivalent.“), bevor Roland Sturm abschließend den Blick auf Staatlichkeit im 21. Jahrhundert richtet („Der Staat im 21. Jahrhundert überlebt.“), dabei aber noch einige Arbeit vor uns liegen sieht auf dem Weg zum künftig wahrscheinlichen „institutionalisierte[n] Kooperieren von Staaten im Weltmaßstab“.

 

Ein Buch für Politikwissenschaftler, die von den historischen Beiträgen profitieren können; der Historiker wird sich an die bereits vorliegenden Ideen-, Verfassungs- und Staats-Geschichten halten, ob von Otto Hintze, Hans Boldt, Alexander Demandt, Hans Fenske oder Wolfgang Reinhard, um nur einige zu nennen, oder er wird Staatsdenken und Staatsentwicklung in den großen Epochendarstellungen des Fachs verfolgen, wo sie von jeher eine bedeutende Rolle spielen und angemessen in Beziehung gesetzt sind zur allgemeinen Geschichte.

 

Berlin                                                                                                               Jens Nordalm