Somma, Alessandro, I giuristi e l’Asse culturale Roma-Berlino. Economia e politica nel diritto fascista e nazionalsocialista (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 195 – Das Europa der Diktatur, Bd. 8), Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M., 2005, XVI, 791 S.

 

Das Werk Sommas geht von der These aus, dass der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus normative Systeme aufgestellt hätten, die auf Zerstörung des politischen Liberalismus und im Zusammenhang damit auf eine Reform des Wirtschaftsliberalismus gerichtet waren. Hierzu haben die Juristen Deutschlands und Italiens einen entscheidenden Beitrag geleistet, der im Gegensatz zur deutschen von der italienischen Rechtsgeschichte – so Somma – lange vernachlässigt worden sei, indem man entweder auf die Trennung von Recht und Politik oder auf das Modernisierungspotential der schrittweise erarbeiteten Konstruktionen verwiesen habe. Die Darstellung Sommas über das Schuld- und Wirtschaftsrecht bei den italienischen und deutschen Juristen der Diktaturzeit und über die Kulturachse Rom-Berlin umfasst gut 300 S., während auf ca. 500 Seiten italienische und deutsche Quellen zur Rechtsgeschichte der 20er und 30er Jahre wiedergegeben sind. Den größten Raum (rund 300 S.) nehmen davon die auf den Tagungen des Comitato per le relazioni giuridiche italo germanico (Arbeitsgemeinschaft für deutsch-italienische Rechtsbeziehungen) 1938 in Rom und 1939 in Wien gehaltenen Referate; ferner sind abgedruckt die für die geplante Tagung von 1941 in Aussicht genommenen Vorträge. Die Arbeitsgemeinschaft war im November 1937 – 1936 war die Achse Rom-Berlin zustande gekommen – während der Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht in München von Hans Frank (Präsident der Akademie) und dem italienischen Justizminister Arrigo Solmi (1873-1944) begründet worden. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft war auf italienischer Seite Mariano D’Amelio (1871-1943), der Präsident des italienischen Kassationshofs, auf deutscher Seite Otto Thierack (damals Präsident des Volksgerichtshofs). Zu den Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft gehörten u. a.: gegenseitige Unterrichtung über den Stand der gesetzgeberischen Maßnahmen, Austausch von rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Arbeiten zum Zweck der Veröffentlichung, Austausch von Vortragenden, Verabredung von Vortragsprogrammen, Vermittlung von gegenseitigen Besuchen sowie Förderung des Austausches der Rechtsliteratur. Bevor Somma auf die Beratungen im Einzelnen eingeht, befasst er sich in einer Einführung (Lehren aus Deutschland in der Aufarbeitung der totalitären Rechtsordnung) zunächst mit der Stellung der italienischen Juristen und Historiker zu dem „Phänomen des Faschismus“ (S. 23ff., 736ff.) sowie mit den Methoden und Zielvorstellungen zur Erforschung des Faschismus (S. 55ff., 739ff.). Es folgen Abschnitte über den „juristischen Faschismus“ (Zerstörung des politischen Liberalismus; Reform des Wirtschaftsliberalismus; S. 81ff., 741ff.) und über faschistisches und nationalsozialistisches Recht im Vergleich (S. 197ff.; 744ff.) sowie über die Rolle des römischen Rechts im faschistischen und nationalsozialistischen Wirtschaftssystem (S. 263ff.; 249ff.). Somma hebt den starken Einfluss Benedetto Croces, nach dem die Diktatur Mussolinis eine Krankheit gewesen sei, die einen an sich gesunden Körper nur vorübergehend beeinträchtigt habe (vgl. S. 736), und Renzo De Felices, der die Rolle Mussolinis als Modernisierer der italienischen Gesellschaft betont und behauptet habe, in großen Bereichen der italienischen Kultur sei eine „dezidiert antifaschistische Grundhaltung vorherrschend“ gewesen (S. 737), hervor. Diese Rechtsfertigungsstrategien sind nach Somma erst durch die neueren Forschungen italienischer Rechtshistoriker infrage gestellt worden.

 

Sowohl für den Nationalsozialismus als auch für den Faschismus war Somma zufolge „die Reform des Wirtschaftsliberalismus bei gleichzeitiger Zerschlagung des politischen Liberalismus“ (vgl. S. 740) kennzeichnend. Nach ihm erfüllen aus „Sicht der Methodologie vergleichender Geschichtsschreibung, die eine gewisse Nähe der zu vergleichenden Objekte voraussetzt“, Faschismus und Nationalsozialismus die „Voraussetzungen für eine lohnende Gegenüberstellung“ (S. 741). Für Italien arbeitet Somma die Koordination der Wirtschaft durch korporatistische Mechanismen heraus (u. a. durch die Carta del Lavoro; Text S. 137ff.). Wie der Faschismus hatte sich auch der Nationalsozialismus als Kampfbewegung gegen die sozialistische Linke und die Gewerkschaften gerichtet. Dem Bolschewismus wurde die Eliminierung individueller Interessen und die Unterdrückung privater Initiativen vorgeworfen. Im Einzelnen weist Somma auf Berührungspunkte zwischen dem in den dreißiger Jahren entwickelten Ordoliberalismus Franz Böhms und der nationalsozialistischen Wirtschaftslehre hin (S. 222ff., 748f.). Die unterschiedliche Funktion, die dem Instrument Recht auf formeller Ebene in beiden Diktaturen zugewiesen worden sei, habe „wahrscheinlich“ nur rhetorischen Charakter gehabt (S. 745). In diesem Zusammenhang geht Somma auch auf die italienische und deutsche Kritik am traditionellen Sachen- sowie Schuld- und Wirtschaftsrecht ein. In beiden Ländern fanden Diskussionen über das subjektive Recht und den Rechtsmissbrauch statt (S. 234ff.). Abgesehen davon, dass es in Deutschland um die Ersetzung des materialistischen, „liberalistischen“ Pandektenrechts ging, wiesen nach Somma die „Einschätzungen des römischen Rechts in Deutschland und Italien keine substantiellen Unterschiede auf“ (S. 752). Die Tagungen der Arbeitsgemeinschaft befassten sich mit der Reform des Völkerrechts, der Definition des Eigentums, der Vereinheitlichung des Schuldrechts (1938), mit Rasse und Recht, Gesetz und Richter, Aufhebung oder Abänderung schuldrechtlicher Verträge, Übergang des Eigentums beim Kaufvertrag, gemeinsamen Grundsätzen im Schuldrecht Deutschlands und Italiens (1939) sowie mit den Grundlinien des Personenrechts und der Kontrolle des Bodens durch den Staat (geplant für 1941). Die Vorschläge von deutscher Seite stammen u. a. von Dölle, Felgenträger, Hedemann, Heinrich Lehmann und Schmidt-Rimpler (bereits wiedergegeben bei W. Schubert [Hrsg.], Akademie für Deutsches Recht, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III, 4 u. III, 7, 1992, 1995). Somma vergleicht die deutschen und italienischen Referate sowie die verabschiedeten Thesen miteinander und kommt zu dem Ergebnis, dass man, wenn man von unterschiedlichen Grundsätzen theoretischer Natur absähe, auf den behandelten Rechtsgebieten zahlreiche Berührungspunkte zwischen italienischen und deutschen Erfahrungen finde. Zum Recht der Rasse stellt Somma fest, dass sich Faschismus und Nationalsozialismus im Hinblick auf den biologischen Rassismus zwar unterschieden hätten (in Deutschland aktive Politik der Eugenik). In Italien sei gleichwohl die Gesetzgebung auf diesem Gebiet nicht untätig gewesen, „wie sich an den Erklärungen auf der Wiener Konferenz und an zahlreichen Gesetzesbestimmungen seit Ende der dreißiger Jahre erkennen lässt“ (ausführlicher zu diesem Komplex T. W. M. Englert, Deutsche und italienische Zivilrechtsgesetzgebung von 1933-1945, 2003). Allerdings geht Somma hierauf nicht in voller Breite ein, da im Mittelpunkt seines Werks die Wirtschafts- und Arbeitsordnung steht. Abschließend stellt sich die Frage, welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede die Rechtspolitik Italiens und Deutschlands in der Zeit der Diktatur insgesamt bestimmt haben. Da er dies bereits im Wesentlichen in den Kapiteln III-V herausgearbeitet hat, geht Somma in seiner auch deutsch abgefassten Zusammenfassung hierauf nicht mehr abschließend ein. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob das Wirtschaftsrecht der beiden Diktaturen auch von Epochen übergreifenden Entwicklungen bestimmt worden ist.

 

Das Werk Sommas erschließt erstmals in voller Breite die italienisch-deutschen gesetzespolitischen Aktivitäten der dreißiger Jahre. Ein besonderes Verdienst des Werkes ist darin zu sehen, dass Somma die Referate und Thesen der italienisch-deutschen Kongresse sowie zahlreiche andere, oft schwer zugängliche Dokumente und Aufsätze zur historischen Rechtsvergleichung zugänglich gemacht und für den deutschen Rechtshistoriker die einschlägige zeitgenössische italienische Literatur breit erschlossen hat. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das Istituto di studi legislativi (S. 323ff.) umfangreiche Bibliographien zur deutschen Rechtsliteratur für die Jahre 1928-1937 veröffentlicht hat, wie sie in dieser Reichhaltigkeit in Deutschland nicht erarbeitet wurden. Das Werk wird abgeschlossen mit Kurzbiographien zu den italienischen Teilnehmern der deutsch-italienischen Juristentreffen (S. 765ff.; zur Biographie der deutschen Teilnehmer vgl. die oben genannte Akademieedition) und mit einem ausführlichen Personenregister (ein Literaturverzeichnis fehlt leider). Im Gegensatz zu Deutschland hat Somma eine evtl. archivalische italienische Überlieferung über das Comitato nicht herangezogen, was vor allem für die Kriegszeit von Interesse gewesen wäre. Es ist zu wünschen, dass mit dem grundlegenden Werk von Somma auch die deutsche Rechtsgeschichte weitere Impulse zur vergleichenden Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts erhält, die für das Zivilrecht erst in den Anfängen steht.

 

Kiel

Werner Schubert