MederSchüller20050509
Nr. 11384 ZRG GA 123 (2006) 62
Schüller, Elke, Marie Stritt. Eine „kampffrohe Streiterin“ in
der Frauenbewegung (1855-1928) – mit dem erstmaligen Abdruck der unvollendeten
Lebenserinnerungen von Marie Stritt.. Ulrike-Helmer Verlag, Königstein/Taunus
2005. 294 S.
Der Name Marie Stritt
erinnert an die querelle des femmes, die in der Entstehungsphase des
Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) große öffentliche Resonanz gefunden
hat. Als nach der Reichsgründung der Bundesrat 1874 die Erste Kommission mit
der Ausarbeitung eines Entwurfes zum BGB betraute, sahen die Frauen eine Chance
zur Einflußnahme auf die künftige Gestaltung der sie betreffenden
Regelungsgebiete. Von der Kodifikation erhofften sie sich eine Verbesserung des
Rechts der Ehewirkungen, des Güter-, Scheidungs- und Sorgerechts, des Rechts
der nichtehelichen Kinder, des Vormundschaftsrechts und des Erbrechts. Bereits
1876 unterbreitete der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) erste
Reformvorschläge in einer Petition, die unter dem Titel „Einige deutsche
Gesetzesparagraphen über die Stellung der Frau“ an den Reichstag gerichtet
wurde. Darin wurde gefordert, daß die Kommission „bei Abänderung der
Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht
berücksichtigen“ solle. Als der erste Entwurf nebst Motiven 1888 veröffentlicht
wurde, mußten die Frauen jedoch feststellen, daß er lediglich „einige
verschönernde Formulierungen“ enthielt und in vielen Fällen sogar Rückschritte
brachte. Die Enttäuschung über den ersten Entwurf gab - wie Helene Lange es
später ausdrückte - Anlaß „zu einer ersten großen realpolitischen
Massenbewegung der Frauen, die im wesentlichen von Marie Stritt organisiert
wurde.“
In ihrer zum 150.
Geburtstag erschienenen wissenschaftlichen Biographie hat Elke Schüller
mit Recht hervorgehoben, daß Marie Stritt zu den wichtigsten Pionierinnen des
Kampfes für Frauenrechte zählt (S. 9). Sie ist nicht nur Initiatorin der ersten
deutschen Frauenrechtsschutzstelle - des 1893 gegründeten Dresdner
Rechtsschutzvereins -, sondern auch treibende Kraft im Kampf der Frauenbewegung
gegen das zur Kodifikation anstehende BGB. Das Neue an den Ideen Marie Stritts
liegt in dem eindeutigen Vorrang, den sie der Rechtsfrage einräumt. Dies
verbindet sie mit ihren Mitstreiterinnen, zu denen Emilie Kempin auf der einen
und Anita Augspurg oder Marie Raschke auf der anderen Seite gehören. Sie alle
begreifen die „Frauenfrage als Rechtsfrage“, weil in der Rechtsfrage - wie
Marie Stritt es ausführt – „eigentlich die ganze Frauenfrage enthalten [ist],
die wirtschaftliche, die sociale, die Erziehungs- und Sittlichkeitsfrage - vor
allem aber die eine, wichtigste Prinzipienfrage, die allen anderen zugrunde
liegt, auf die es im Grunde einzig und allein ankommt - die Frage nach dem
Recht der eigenen Persönlichkeit, nach dem Recht der freien Selbstbestimmung“
(S. 117).
Elke Schüller will ihr Buch als den Versuch einer ersten
biographischen Annäherung an das Leben und das vielfältige Werk Marie Stritts
verstanden wissen. Der Akzent liegt dabei auf Stritts Tätigkeit im Bund
Deutscher Frauenvereine (BDF) und auf den politischen Auseinandersetzungen, in
die sie persönlich verwickelt war (S. 14f.). Insoweit leistet das Buch auch
einen Beitrag zur bisher nur ungenügend erforschten Geschichte des BDF. Die
Inhalte der Rechtsforderungen und deren theoretische Voraussetzungen bleiben
bei Schüller allerdings so gut wie ausgeblendet. Einmal heißt es, Stritt
habe auf Grundlage eines „natur- bzw. menschenrechtlichen Rechtsbewußtseins“
argumentiert (S. 117). In Anbetracht der großen Hoffnungen, die Stritt und
andere Pionierinnen der Reformbewegung auf spezielle positiv-rechtliche
Regelungen des neuen Gesetzgebungswerks gesetzt haben, erscheint dies aber
zweifelhaft.
Nach wie vor ist es ein
Desiderat der Forschung, die Frauen mit ihren konkreten Reformvorschlägen auch
unter rechtswissenschaftlichen Gesichtspunkten ernst zu nehmen. Die Überprüfung
des sachlichen Gehalts von Stritts Forderungen kann freilich nur im Rahmen
einer theoriegeleiteten Analyse ihrer Schriften erfolgen. Daß in
fachjuristischer Hinsicht noch so manche Forschungslücke klafft, zeigen etwa
die Passagen, in denen Schüller auf die Textentwicklung des BGB Bezug
nimmt. So meint Schüller, der ADF habe Emilie Kempin „anläßlich der
zweiten Lesung des BGB-Entwurfes im Jahre 1892“ beauftragt, „seine Denkschrift
von 1876 zu überarbeiten“ (S. 122). An anderer Stelle heißt es, die Kämpfe um das
BGB hätten besonders stark „zwischen Februar und Juni 1896, zwischen der ersten
und der zweiten Lesung des Gesetzentwurfes“ getobt (S. 126). Diese Darstellung
erscheint verwirrend, da die „erste Lesung“ mit Veröffentlichung des ersten
Entwurfes 1888 abgeschlossen war. Im Jahre 1896 hatte auch die Zweite
Kommission ihre Tätigkeit längst eingestellt - die Ergebnisse der „zweiten
Lesung“ waren zu dieser Zeit bereits veröffentlicht worden. Der Begriff
„Lesung“ bedeutet 1896 also etwas anderes (drei Lesungen der Reichstagsvorlage)
als 1892 (zweite Lesung des Entwurfes). Dies bedarf besonderer Hervorhebung,
weil die „glänzende Niederlage“ (S. 128) der Frauen im Kampf gegen den
BGB-Gesetzgeber auch damit zusammenhängt, daß die meisten Forderungen erst
präzise ausformuliert wurden, nachdem der zweite Entwurf bereits fertiggestellt
und eine grundlegende Änderung des Gesetzestextes nicht mehr zu erwarten war.
Hinzu kommt, daß die „Vorcommission“ dem BGB-Gesetzgeber aufgegeben hatte, sich
auf eine Aufzeichnung des vorhandenen Rechts zu beschränken. Um das
Gesetzgebungsverfahren als solches nicht zu gefährden, sollten keine oder nur
sehr geringfügige Neuerungen in das Gesetz aufgenommen werden.
Die Verdienste des
vorliegenden Werkes können durch solche Hinweise oder Ergänzungen freilich
nicht geschmälert werden. Elke Schüller ist es gelungen, auf Grundlage einer
sorgfältigen Quellenauswertung Licht in das viel beklagte Dunkel der
politischen Biographie Marie Stritts zu bringen. Lesenswert sind auch die
autobiographischen, sehr persönlich gehaltenen Lebenserinnerungen Marie Stritts,
die Schüller der Biographie vorangestellt hat. Hier schildert Marie
Stritt erste Eindrücke und Gedanken, die sich in ihren späteren Forderungen
nach einer Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen niederschlagen. Gut
gelungen ist ferner die Darstellung von Stritts Engagement als Stimmrechtlerin
(S. 182ff.), ihrer Affinität zu den liberalen Parteien (S. 212ff.) und ihrer
Tätigkeit als Dresdner Stadträtin (S. 216ff.). Alles in allem bleibt zu hoffen,
daß sich Elke Schüllers sorgfältig recherchierte und packend
geschriebene Studie als Ausgangspunkt und Anregung für vielfältige
weiterführende und vertiefende Forschungen zu Marie Stritt und den um 1900 zur
Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen erhobenen
Forderungen erweisen wird.
Hannover Stephan
Meder