Scholz, Johannes-Michael, Gerechtigkeit verwalten. Die spanische Justiz im Übergang zur Moderne (= Rechtsprechung, Materialien und Studien, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 19, 1, 19, 2), 2 Halbbände. Klostermann, Frankfurt am Main 2003. XII, 2050 S., CD-ROM.

 

Johannes-Michael Scholz ist in der Rechtsgeschichte kein Unbekannter, denn er legt seit nahezu drei Jahrzehnten Veröffentlichungen zur spanischen Rechts- und Institutionengeschichte vor (siehe hierzu S. 2032-2035). Mit den beiden Bänden hat er gewissermaßen sein „Abschlusswerk“ erstellt, das sich weit gespannt der spanischen Justiz zuwendet, die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Weg zur Moderne befand.

 

Das zweibändige Werk gliedert sich in sieben Kapitel und einen großen Anhang. Während Scholz in Kapitel 1 die Justiz als politischen Apparat beschreibt und die Rechtspflege ausgangs des Ancien Régime und vor der „Segmentierung“ betrachtet, präsentiert er in Kapitel 2 seine Ergebnisse zu Bildung, Ausbildung und Kapital sowie die praktische Vorbereitung auf die Richtertätigkeit. Kapitel 3 trägt die Überschrift „Organisation und Kapitalbildung“, Kapitel 4 „Kollektives Equipment“. Sodann handelt der Autor von den Justiztechniken (Kapitel 5), der symbolischen Produktion (Kapitel 6) sowie der „Justiz im Feld“ (Kapitel 7). Im Anhang stellt er dem Leser Programme und Bilanzen zu den Obergerichten und der Staatsanwaltschaft vor. Eine Reihe von Selbstdarstellungen des Justizpersonals rundet die reichhaltige Dokumentation ab. Die Datenbankkommentare stellen dabei zentrale Dossiers (von ca. 1790-1950) vor. Um ca. 1840 gab es die erste Klassifizierung der Justizbediensteten sowie 1871 ein frühes „Ranking“ des Justizpersonals. Scholz wirft schließlich noch einen Blick auf die Prosopographie des Justizpersonals sowie auf die judikative Gewalt in den juristischen Zeitschriften (1834 bis ca. 1940). Es handelt sich insgesamt um eine quellengestützte Arbeit, wobei auch die Sekundärliteratur ihren bewährten Platz findet. Sachregister und Datenbanken (CD-ROM) unterstützen eine schnelle Konsultierung des Gesamtwerks. Trotz der Text- und Quellenfülle hätte sich der Leser indes noch ein Ergebnis vernetzendes Fazit am Ende gewünscht; das Kapitel 7 „Justiz im Feld“ vermag einen solchen Wunsch nicht zur Gänze zu befriedigen.

 

Dem Verfasser gelingt es zu zeigen, dass in Spanien mehr und mehr die richterliche Professionalität an Bedeutung gewann. Zu diesem Zweck empfahl sich auch eine soziologisch angereicherte Geschichte der spanischen Justiz von 1812 bis 1930 mit Ausgriffen in die Zeit davor; die Kenntnis der Forschungen von Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann erleichtert ohne Zweifel die Lektüre des Werkes. Nicht zuletzt können durch diese soziologischen Erkenntnisse die gesellschaftlichen Kräfte gut beschrieben werden, die von außerhalb die spanische Justiz beeinflussten und prägten. Die Hauptquellen in diesem Kontext bilden Personalakten, wobei Scholz 15.000 erfasst und daraus typische Richterbiographien ausgewählt hat. Er beleuchtet Juristenausbildung, Gerichtsorganisation, Auslese der Richter, informelle Beziehungen, Begründungstechniken sowie die Autorität richterlicher Entscheidungen. Lobenswert ist die Darstellung mit Schwerpunkt auf den unterschiedlichen Regionen Spaniens; Scholz unterlässt es nicht, das hauptstädtische Madrid oder das weite Andalusien sowie die oft separatistisch angehauchten Regionen, in erster Linie das Baskenland und Katalonien, in die soziologische Untersuchung einzubeziehen.

 

Scholz arbeitet heraus, dass Richterernennungen natürlich vielfach Entschädigungsleistungen für politische Verdienste waren; „Nutzfreundschaft“ spielte in der Funktionalisierung der Justiz also durchgehend eine große Rolle. Studienordnungen und Ausbildungsreformen, Geschäftsverteilungspläne, Gründung von Akademien und juristischen Zeitschriften waren nicht alles, was die Justiz charakterisierte. Auch in der Gesellschaft musste diese ihr Feld abstecken, aus der sie ihr Personal rekrutierte. Die Ablösung des tradierten Justizmodells mit seiner prinzipiell eher abhängigen, altständischen Arbeitsteilung gehorchte in Spanien eigenen sozialen Regeln und hatte ihr unverwechselbares Tempo. Dabei spielen Ausbildungsdefizite aufseiten der Richterschaft eine bloß untergeordnete Rolle. Wert legt Scholz auch auf die Singularität des Obergerichts (Tribunal Supremo), bei dem rechtliche Entscheidungen konzentriert, ja gewissermaßen monopolisiert wurden, weil die Tatfragen ausgegliedert worden waren, um sich ganz bewusst nur der rechtlichen Erörterung zu widmen, wobei das Urteil letztlich allverbindlich wirkte. Hinsichtlich des Justizpersonals bemerkt Scholz ein vorsichtiges Abkoppeln von der lokalen Klientel und zunehmend kürzere Verweil- bzw. Aufstiegszeiten, unter anderem hervorgerufen durch den Rückgang von politischen, weil ministeriellen Ernennungen. Zudem kann er die Erhöhung fachlicher Anforderungen und deren Vermarktung anhand seines Quellenmaterials festmachen, was mit dem Aufkommen und dem Ausbau einer justizspezifischen Presse einherging. Einen wesentlichen Aspekt repräsentiert schließlich die Perfektionierung einer relativ eigenständig funktionierenden Disziplinargerichtsbarkeit des Justizpersonals.

 

Natürlich können an dieser Stelle nur einige Tendenzen und Resultate dieser fein ziselierten Arbeit herausgestellt werden; dem mit soziologischen Kenntnissen ausgestatteten Rechtshistoriker wird die Lektüre des sehr gut geordneten Materials eine große Freude bereiten.

 

Saarbrücken                                                                                                  Thomas Gergen