Schlinker, Steffen, Fürstenstand und Rezeption.
Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter (= Forschungen
zur deutschen Rechtsgeschichte 18). Böhlau, Köln 1999. LVI, 351 S.
In seiner Würzburger Dissertation
untersucht Stefan Schlinker, ein Schüler Dietmar Willoweits
und Jürgen Weitzels, die Entwicklung des Reichsfürstenstandes unter dem
Einfluss des römischen Rechts im späten Mittelalter. Im ersten Teil (S. 20-237)
soll die enge Verbindung zwischen dem Fürstenstand und der Ausbildung des
Staates gezeigt werden; der zweite Teil (S. 238-344) ist der Frage des
Verhältnisses zwischen dem Fürstenamt, der Gerichtsgewalt und der
Gesetzgebungsmacht in der gelehrten Literatur und in der Kanzleipraxis
gewidmet. In diesem Zusammenhang sollen auch die Ursachen für den Beginn der
territorialen Gesetzgebung im Deutschland des Spätmittelalters untersucht
werden (vgl. S. 18f.). Die Arbeit setzt sich kritisch auseinander mit dem
grundlegenden Werk Julius Fickers, Vom Reichsfürstenstande (Bd. 1,
Innsbruck 1861)[1] sowie mit der ungedruckten
Dissertation Günther Engelberts[2].
Im ersten Teil wird zunächst die
Ausbildung des Reichsfürstenstandes unter Friedrich Barbarossa behandelt (S.
22ff.) sowie das Verhältnis von Herzogswürde und Fürstentum ( S. 27ff.). Im Jahre
1180 wurde die Steiermark unter Loslösung von Bayern Herzogtum. Der Herzog von
Steier gehörte dem Reichsfürstenstand an (Verf. S. 27f.). Bereits 1192 fiel das
Herzogtum Steier nach dem Aussterben der Traungauer (Otakare) an die
Babenberger. Der österreichische Herzog Leopold V. wurde von Kaiser Heinrich
VI. mit dem steirischen Herzogtum belehnt. Die Babenberger waren nun zugleich
Herzöge von Österreich und von Steier[3].
Nicht mit jedem Herzogtum war der
Reichsfürstenstand verbunden, so etwa nicht mit dem Herzogtum Limburg (S.
39f.).
Im Folgenden behandelt der Verfasser
(S. 40ff.) die rechtlichen Grundlagen des Reichsfürstenstandes. Für die
Fürstenwürde war jedenfalls eine unmittelbare lehnrechtliche Beziehung zum
König erforderlich. Reichsfürst konnte nur sein, wer ausschließlich Lehen aus
der Hand des Königs oder eines geistlichen Reichsfürsten innehatte (S. 45f.).
Während bis 1180 keine scharfe Abgrenzung des Fürstenstandes gegeben war, wurde
seit dieser Zeit grundsätzlich eine ausdrückliche Erhebung, also ein
rechtsförmlicher Akt, erforderlich (S. 50).
Eingehend werden die einzelnen
Erhebungen in den Reichsfürstenstand im späten Mittelalter in ihrem
historischen Kontext behandelt (S. 53ff.). Das Diplom vom 21. August 1235,
womit Kaiser Friedrich II. den Welfen Otto zum Herzog von Braunschweig-Lüneburg
erhob, zeigt in seiner sprachlichen Prägnanz deutlich Einflüsse des
römisch-gemeinen Rechts, so in der Unterscheidung zwischen proprietas und dominium
(S. 76ff.). In zwei Urkunden des Königs bzw. Kaisers Heinrich VII. aus den
Jahren 1310 und 1313, womit Graf Amadeus von Savoyen zum Reichsfürsten erhoben
bzw. als solcher bestätigt wurde, finden sich römischrechtliche Begriffe wie merum et mixtum imperium (vgl. Ulp. D.
2, 1, 3) sowie die Unterscheidung der Glosse[4]
zwischen dominium directum und dominium utile (S. 105ff.). Rechtlich
höchst interessant ist auch die Erhebung der Grafen von Cilli zu Reichsfürsten
und zu gefürsteten Grafen (dazu S. 173ff.).
Neben der förmlichen, ausdrücklichen
Erhebung finden sich aber auch Fälle der Anerkennung des Reichsfürstenstandes
ohne eine solche (S. 195ff.). Der Verfasser (S. 195) sieht drei Fallgruppen
dieser Art von Fürstentümern: erstens die außerhalb des Reiches gelegenen
slawischen Fürstentümer Pommern und Schlesien, zweitens Usurpationsfälle, in
denen sich einzelne Dynasten eigenmächtig die Fürstenwürde beilegten, wie etwa
die Markgrafen von Landsberg, die Gräfin von Tirol (S. 210f.) und die
Burggrafen von Meißen, drittens Fälle, in denen die Reichskanzlei einen Magnaten
aus Gründen der Höflichkeit mit dem Fürstentitel bezeichnete, wie den
Markgrafen von Baden und den Grafen von Genf.
Der Verfasser (S. 217ff.) hebt
schließlich gemeinsame Merkmale und Entwicklungen des Reichsfürstenstandes
hervor. Wie er (S. 218) betont, gewähren die Erhebungen in den
Reichsfürstenstand auch Einblick „in die Formen und Gestaltungsmöglichkeiten
spätmittelalterlicher Königsherrschaft“. Die Erhebungen waren nicht nur für die
Fürsten von Vorteil, sondern haben auch die Stellung des Königs gestärkt. Die
Erhebungsakte sind nämlich zugleich als Prozess der Feudalisierung zu
verstehen. Der König erhielt die Lehnshoheit über bisheriges Allodialgut; die
darüber ausgeübte Herrschaft des Fürsten war nicht mehr autogen, sondern
abgeleitet (S. 219). Die neuere Forschung (G. Theuerkauf[5] und B.
Diestelkamp) hat die Bedeutung des Lehnswesens im späten Mittelalter wieder
hervorgehoben und gezeigt, dass Frühformen des modernen Staates mit Spätformen
des Lehensstaates parallel verlaufen (S. 221).
Im zweiten Teil, der sich mit der
Bedeutung der gelehrten Literatur, der „gelehrten Rechte“, für das Fürstenamt
befasst, behandelt der Verfasser die Lehre der Glossatoren (S. 241ff.) und
insbesondere die der Kommentatoren (S. 247ff.) zum Gesetzgebungsrecht des princeps. Der Begriff des römischen princeps war bei den frühen Glossatoren
fast ausschließlich auf den Kaiser beschränkt; die Ausdrücke imperator und princeps wurden synonym gebraucht. Dem Kaiser als Nachfolger der
römischen Caesaren wurde das Gesetzgebungsrecht zugesprochen (S. 241f.). Aber bereits
bei den Legisten blieb die Rechtsetzung nicht mehr auf den Kaiser beschränkt.
Schon Azo weitete das ius condere leges
aus; auch jeder Municipalmagistrat sollte die Möglichkeit haben, in sua civitate ius novum statuere. Unter
Berücksichtigung der faktischen Verhältnisse im Oberitalien des 14.
Jahrhunderts stellte Bartolus de Saxoferrato die civitas dem princeps
gleich (S. 251). Die Rechtsstellung der deutschen Reichsfürsten hat Bartolus in
seinen Schriften nicht berücksichtigt. Besondere Bedeutung kam der Schrift des
Albericus de Rosate (gest. 1360) zur Statutenlehre, dem Tractatus de statutis, zu; hier findet sich die übliche Abgrenzung
zwischen lex generalis und lex specialis. Die Rechtsetzungsgewalt
erstrecke sich immer nur auf diejenigen, die der Herrschaft des Gesetzgebers
unterworfen sind.
Das Gesetzgebungsrecht ist für die
Glossatoren und Kommentatoren ein Unterfall der iurisdictio (D. 2, 1, 3). Den lokalen Gemeinschaften wird eine
eigene Jurisdiktionsgewalt und damit auch die Rechtsetzungsgewalt zuerkannt.
Als princeps wird von den
Kommentatoren sowohl der Kaiser als auch überwiegend der Herrscher im
Allgemeinen bezeichnet. (S. 268f.).
Nach einem Ausblick auf die
„Rechtssetzungsmacht lokaler Gewalten in der Kanonistik“ (S. 272ff.) wird auf
die deutsche Kanzleipraxis eingegangen. Untersucht wird der Terminus imperium merum in der Urkundenpraxis des
Reichs (S. 276ff.). In Einsetzungsurkunden für Statthalter in Reichsitalien und
Burgund findet sich häufig die Formel merum
et mixtum imperium et gladii potestatem. Seit dem Beginn des 13.
Jahrhunderts finden sich auch in deutschen Urkunden die Begriffe imperium merum und iurisdictio superior. Zu Recht wird die Gerichtshoheit der
Reichsfürsten als delegierte Reichsgewalt verstanden (S. 279ff.). Die
Gesetzgebungsmacht ging als zur iurisdictio
gehörig vom Kaiser im Wege der Delegation auf die Fürsten über (S. 283).
Einen zweiten Aspekt des Fürstenamtes
sieht der Verfasser (S. 284ff.) aber in der ursprünglich vizeköniglichen
Stellung der alten Stammesherzöge nach dem Zerfall des karolingischen Reiches.
Noch der Sachsenspiegel (Ldr. III 53 § 1) spricht von der Königsgleichheit der
Herzöge. Erst seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wurde die bisher häufig
autogen ausgeübte Gewalt als vom König delegiert aufgefasst. Die Erhebungen in
den Reichsfürstenstand integrierten die allodialen Besitztümer in das
Reichslehnssystem. (S. 285).
Von großem Interesse ist der
Abschnitt über den „Einfluß des römischen Rechts auf die Gesetzgebungskompetenz
am Beispiel territorialer Gesetzgebung“ (S. 298ff.). Eine Ordnung des
Landgrafen Heinrich II. von Hessen vom 17. Dezember 1337 hat für die Erbfolge
das ius repraesentationis der Enkel
des Erblassers eingeführt (S. 299).
Ein weiterer Abschnitt ist der
deutschen Rechtsliteratur des Spätmittelalters gewidmet (S. 305ff.),
insbesondere der politisch-staatsrechtlichen Literatur (S. 317ff.).
Hervorgehoben sei etwa der Tractatus de
Iuribus Regni et Imperii Romanorum
des späteren Bamberger Bischofs Lupold von Bebenburg von 1340. Nach dessen
Ausführungen steht die weltliche Gewalt de
jure allein dem Kaiser zu. Nur aufgrund kaiserlicher Verleihung könne das imperium merum ausgeübt werden; den
Reichsfürsten standen ihre Herrschaftsrechte kraft kaiserlicher Delegation zu. De facto muste Lupold allerdings die
Ausübung kaiserlicher Reservatrechte durch Könige und Fürsten anerkennen (S.
322f.). Für die Beurteilung von Fürstenamt und Rechtsetzung werden vom
Verfasser auch die spätmittelalterlichen Fürstenspiegel herangezogen (S.
333ff.), so etwa der Fürstenspiegel des Abtes Engelbert von Admont (S. 341f.)
sowie der des gelehrten holländischen Juristen Philipp von Leyden (S. 343f.)[6].
Im abschließenden Kapitel
„Staatsbildung und Recht in den deutschen Fürstenstaaten“ (S. 345-351)
wird als Ergebnis der Untersuchung
festgehalten, dass „die Fürstenwürde Ausdruck der Territorialisierung des
Reiches war und den Zusammenhalt eines Herrschaftsgebietes festigte, weil das
neue Fürstentum insgesamt ein Reichslehen darstellte“ (S. 345). In der
Verbindung von Hochgerichtsbarkeit und Fürstentitel sieht der Verfasser eine
der wesentlichen Grundlagen für die Entstehung des modernen Staates. Zu Recht
hebt er den Einfluss des römischen Rechts, vor allem der Terminologie des
Corpus Juris, auf diese Entwicklung
hervor. Die fürstliche Herrschaft wird mit den Termini princeps bzw. principatus umschrieben und erklärt (S. 345f.). Zutreffend sieht
der Verfasser darin „die sprachliche
Nutzung von Denkmodellen“ (S. 348). Sehr pointiert schließt die Arbeit mit der
Feststellung (S. 351): „Ohne die Rezeption des römischen Rechts ist die Genese
des modernen Staates nicht denkbar. Hochadelige Herrschaft erhält erst in
seiner Ausformung durch das römisch-gelehrte Recht ihre durchschlagende Wirkung
und wird erst mit der Begrifflichkeit und der Gedankenwelt des gelehrten Rechts
zur Staatsbildung befähigt.“
Der Verfasser hat mit seiner
verdienstvollen Untersuchung gezeigt, dass das römische Recht, das gelehrte
Recht, nicht nur für die Ausbildung des Privatrechts von grundlegender
Bedeutung war, sondern auch auf die staatsrechtliche Entwicklung starken, ja
wohl entscheidenden Einfluss hatte.
Ein umfassendes Quellenverzeichnis
(p. XI-XXI) sowie ein Literaturverzeichnis (S. XXII-LIV) sind
der Arbeit vorangestellt.
Graz Gunter Wesener
[1] Bd. II, Teil 1-3, 1911-1923, hrsg. u. bearb. von Paul Puntschart.
[2] Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand bis zum Ausgang des Mittelalters , Diss. phil. Marburg 1948 (masch. schriftl.).
[3] Vgl. dazu H. Appelt, Die Steiermark im Gefüge der Reichspolitik Kaiser Friedrichs I., in: 800 Jahre Steiermark und Österreich 1192 - 1992. Der Beitrag der Steiermark zu Österreichs Größe, hrsg. von O. Pickl (Graz 1992) 29ff.; K. Spreitzhofer, Die Union von 1192 und die „Mitgift“ der Steiermark, ebenda 43ff.
[4] Vgl. Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. Aufl. (1985) 43f.
[5] Land- und Lehnswesen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Köln 1961) 15ff.
[6] Vgl. R. Feenstra, Philip of Leyden
and his treatise De cura rei publicae et
sorte principantis (Glasgow 1970); nun in: Feenstra, Le droit savant
au moyen age et sa vulgarisation (London 1986) VI.