BuschmannReichsständischelibertät20051115 Nr. 1230 ZRG GA 123 (2005) 41

 

Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, hg. v. Duchhardt, Heinz/Schnettger, Matthias (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz Abteilung Universalgeschichte Beiheft 48). Zabern, Mainz 1999. X, 362 S.

 

Mit diesem Sammelband werden die Ergebnisse der deutsch-österreichischen Historikerkonferenz öffentlich zugänglich gemacht, die im September 1997 in Mainz abgehalten wurde. Veranstalter dieser Konferenz waren das Institut für europäische Geschichte und die Österreichische Akademie der Wissenschaften, Rahmen waren die seit 1980 stattfindenden deutsch-österreichischen Historikergespräche, die bis dahin allerdings ausschließlich Themen aus der Epoche der Französischen Revolution gewidmet waren. Für die Mainzer Tagung wurde dagegen erstmals ein Thema aus der frühen Neuzeit ausgewählt, nämlich die Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches der Zeit von 1560 bis 1660 und damit einer Zeit, in welcher der Fürstenstaat, so die Herausgeber, einen entscheidenden Entwicklungsprozeß durchlaufen habe.

 

Die Konferenz selbst war, wie die Beiträge zeigen, durch die unterschiedlichen methodischen Positionen und Deutungsmuster der deutschen und der österreichischen Historiographie gekennzeichnet, die zum einen auf unterschiedliche ideologisch-politische Motivationslagen zurückgehen, zum anderen aber auch mit andersartigen Sichtweisen des historischen Geschehens in Österreich und Deutschland zu erklären sind. Während für die österreichische Forschung vor allem die Position des habsburgischen Kaiserhauses im Vordergrund der Betrachtung steht, ist die deutsche Forschung stärker auf die reichsständische Perspektive innerhalb des Heiligen Römischen Reiches fixiert und hierbei vor allem auf die Frage, ob das Heilige Römische Reich als ein „Reichsstaat“ bezeichnet werden dürfe oder nicht. Für die österreichische Forschung spielt darüber hinaus die Betonung einer eigenständigen österreichischen Entwicklung eine gewichtige, wenn nicht gar eine entscheidende Rolle – nicht zuletzt ein Reflex der politischen Lage in Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der daraus resultierenden politischen Strategie der Abgrenzung, die erst in den letzten Jahren einer nüchterneren und realistischeren Einschätzung gewichen ist.

 

Die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes sind in drei Abschnitte gegliedert, von denen der erste dem Verhältnis des Kaisers zu den Erblanden, zum Heiligen Römischen Reich und zu Spanien gewidmet ist, der zweite den verfassungsrechtlichen Strukturen des Heiligen Römischen Reiches und der dritte dem Verhältnis des Kaisers zu seiner Klientel unter den Reichsständen. Die einzelnen Beiträge behandeln zumeist spezifische Aspekte des Themas, einige hingegen, vor allem jene Beiträge, die sich mit der verfassungsrechtlichen Struktur des Reiches beschäftigen, reichen jedoch über die Behandlung von Einzelfragen hinaus und sind auf Grundfragen der Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches gerichtet.

 

Der erste Abschnitt beginnt mit einer Studie über die Landstände der österreichischen Erblande im Reich und deren ambivalentes Auftreten auf den Reichstagen des Heiligen Römischen Reiches von Günther R. Burkert-Dottolo, wobei der Autor eingangs die besondere Lage der österreichischen Historiographie insbesondere nach 1945 reflektiert. Christine Lutter beschäftigt sich in der folgenden Studie mit dem Bild des Kaisertums im Heiligen Römischen Reich im venezianischen diplomatischen Schriftverkehr, namentlich in den Gesandtschaftsberichten, deren Quellenwert wegen der Präzision der in ihnen enthaltenen Schilderungen spätestens seit Ranke unumstritten, ja beinahe sprichwörtlich ist. Im Vordergrund steht für sie vor allem die Darlegung der politischen Positionen der kaiserlichen und der venezianischen Seite ab der Errichtung der Heiligen Liga im Jahre 1495 bis zum Jahre 1500 und dem in diesen sichtbar werdenden Bild von der Stellung des Kaisers. Christopher L. Laferl widmet seinen Beitrag der Rolle der Spanier am Hof Ferdinands I. Wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist die Tatsache, daß sich anders als bisher bekannt am kaiserlichen Hof nicht nur spanische Soldaten und Diplomaten, sondern auch andere Berufsgruppen aufhielten wie etwa Pferdeexperten, Ärzte und Apotheker, um nur die wichtigsten von ihnen zu nennen. Die Gründe für deren Beschäftigung waren interessanterweise anfangs ausschließlich persönlicher und nicht konfessioneller Natur. Erst später kamen die Theologen, vor allem im Rahmen der gegenreformatorischen Bewegung, die dann allerdings, wie bekannt, einen besonderen Einfluß erlangten. Mit dem Beziehungsgeflecht Philipps II. von Spanien, das dieser in Deutschland unterhielt, befaßt sich Friedrich Edelmayer in seinen Beitrag. Er versucht nachzuweisen, daß Philipp ein umfangreiches „Netzwerk“ an Beziehungen zu den deutschen Reichsfürsten schuf, teils zum Schutz der Versorgungswege zwischen den spanischen Niederlanden und den italienischen Besitzungen Spaniens, teils zur Rekrutierung von Truppen auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, teils aus konfessionellen Gründen teils aber auch, um ein Gegengewicht gegen den französischen Einfluß zu schaffen. Die Ebenen, auf denen diese Beziehungen geknüpft wurden, waren verschieden, die Mittel stets die gleichen, nämlich finanzielle Zuwendungen. Geld war, wie man an diesem Beispiel sieht, auch hier, wie schon immer in der Politik, ein wirksames Instrument der Politik. Wie heißt es doch in Bezug auf die Verhältnisse im alten Rom bei Sallust ebenso giftig wie treffend: „Romae omnia venalia esse.“ Albrecht P. Luttenberger betrachtet in seiner Untersuchung das politischen Denken des Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler, das nicht nur von Fragen des Münz- und Finanzwesens bestimmt war, sondern von dem Bemühen um die Stärkung der kaiserlichen Stellung in ihrer Gesamtheit. Nur ein starker Kaiser und eine effektive kaiserliche Regierung waren für Geizkofler imstande, die Ordnung, d. h. das Funktionieren des Reiches rechtlicher Organisation, zu gewährleisten. Alfred Kohler behandelt in seinem Beitrag die Rekatholisierungspolitik Ferdinands II., bei der er einen Gleichklang zwischen den Maßnahmen in den Erblanden und im Reich beobachten zu können glaubt, deren Erfolg jedoch durch den Erlaß des Restitutionsediktes von 1629 nicht nur zunichte gemacht, sondern sogar ins das Gegenteil verkehrt wurde. Der wichtigste rechts- und verfassungsgeschichtliche Beitrag in diesem Abschnitt des Tagungsbandes stammt von Rudolf Hoke und ist den pro- und anti- kaiserlichen Richtungen innerhalb der Reichspublizistik des 16. und 17. Jahrhunderts gewidmet. Hoke wendet sich zunächst gegen die vielfach bei Historikern, aber auch bei einzelnen Rechtshistorikern zu beobachtende unklare Verwendung des Begriff „Reichspublizistik“. Zu Recht verweist er darauf, daß unter „Reichspublizistik“ in der frühen Neuzeit ausschließlich die Wissenschaft des „ius publicum“ verstehen ist, nicht mehr und nicht weniger, und daß diese gerade im 16. und 17. Jahrhundert die Grundlagen für ihr geistiges Profil erlangt hat. Als Mittelpunkt der gelehrten Diskussion in diesem Zeitpunkt erkennt Hoke zutreffend die Frage nach der Stellung des Kaisers und überhaupt nach der „Rechtsnatur“ der Verfassung des Reiches, deren Beantwortung entscheidend durch die Auseinandersetzung mit den Lehren Jean Bodins und der Souveränitätslehre des Johannes Althusius geprägt war, die schließlich in die Lehre von der realen und personalen Majestät des Kaisers und von einem „status mixtus“ des Reiches einmündete.

 

An der Spitze des zweiten Abschnitts steht zunächst die Studie von Helmut Neuhaus über die verschiedenen reichsständischen Beratungsformen des Reichstages von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in der die früheren Arbeiten des Verfassers zu diesem Thema um einige wichtige Aspekte ergänzt und erweitert werden. Im Mittelpunkt stehen die Erörterungen über das Verhältnis von Kaiser und Reichständen im Spiegel von Reichstagen, Kurfürstentagen, Reichskreistagen und Reichsdeputationstagen und deren Beschlüsse. Vor allem die Rolle der Reichsdeputationstage in der Verfassungsorganisation des Reiches wird von Neuhaus hervorgehoben - zu Recht, wie betont werden muß, da diese in der bisherigen Forschung kaum behandelt worden ist. Ähnliches gilt für die Kurfürstentage und die Reichskreistage, mit denen sich die Forschung zwar beschäftigt hat, deren Rolle als Institution der Reichsverfassung bisher aber ebenfalls nur gestreift wurde. Johannes Burkhardts Beitrag ist der legislatorischen Leistungsbilanz des Immerwährenden Reichstages und deren historiographischer Neubewertung gewidmet. Im Anschluss an neuere Arbeiten, mit denen das überlieferte Bild des Immerwährenden Reichstages bereits deutlich korrigiert worden ist, untersucht er Bestand und Qualität der Beschlüsse dieser wichtigen Verfassungsinstitution des Alten Reiches, die ein eindrucksvolles Zeugnis des Dialogs von Kaiser und Reichsständen liefern, deren faktische Wirkung in der Verfassungswirklichkeit des Reiches, wie hinzugefügt werden muß, nicht unterschätzt werden darf. Im folgenden Beitrag untersucht Bernhard Diestelkamp das Spannungsfeld von Kaiser und Reichsständen in der Höchstgerichtsbarkeit des Reiches, das sich auf verschiedenen Ebenen manifestierte, wobei der Rechtsprechung der beiden Höchstgerichte des Reiches, des Reichskammergerichts wie des Reichshofrates, von den Zeitgenossen eine viel größere Bedeutung beigemessen wurde, auch bei Konflikten innerhalb der reichsständischen Territorien, als es in der bisherigen Forschung wahrgenommen worden ist. Der letzte Beitrag dieses Abschnittes von Winfried Schulze behandelt das Verhältnis von Kaisertum, Reichsverfassung und Protestantischer Union und thematisiert die Rolle der Protestantischen Union in der Reichsgeschichte des 17. Jahrhunderts, insbesondere seit der Reichexekution gegen Donauwörth im Jahre 1608, und den seitdem in ihr aufkommenden Vorstellungen von einem alternativen Modell der Reichsverfassung.

 

Am Anfang des dritten und letzten Abschnittes steht zunächst eine umfangreiche Untersuchung Matthias Schnettgers über den Einfluß des Kaisers auf die Bischofswahlen in der Zeit vom Augsburger Religionsfrieden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Schnettger knüpft hier an Forschungen an, die seit den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts angestellt worden sind, ihren Schwerpunkt allerdings mehr in der Zeit nach 1648 hatten. Wesentliches Ergebnis ist die Feststellung von einer Konkurrenz der habsburgischen und der wittelsbachischen Bemühungen um die Besetzung der Reichsbistümer, wobei für die letztere insgesamt eine höhere Erfolgsquote, meint Schnettger, zu verzeichnen sei. Als Grund für dieses eher überraschende Resultat sieht er die Tatsache an, daß die Wittelsbacher wesentlich früher mit ihrer Besetzungspolitik eingesetzt hätten und daher besser vorbereitet gewesen seien. Allerdings habe der Kaiser seinen Einfluß vor allem im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert deutlich zu steigern vermocht, wobei sich seine Maßnahmen auf bestimmte Gruppen von Hochstiften konzentrierten, die für die habsburgischen Interessen von besonderer Bedeutung waren. Mit einer Neubewertung der Rolle der Reichsritterschaft als habsburgischer Klientel im Reich beschäftigt sich Berthold Sutter und gelangt zu dem Ergebnis, daß auch hier, wie in anderen Bereichen der Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches in der Neuzeit, das überlieferte Bild einer Korrektur bedarf. Von einer „negativen Reichstreue“ der Reichsritterschaft, wie dies von Karl Siegfried Bader behauptet worden war, mag Sutter nicht sprechen. Vielmehr sieht er die Reichsritterschaft bis zu deren Ende im Reichsdeputationshauptschluß als treue Anhänger des Kaisers, auch wenn für sie die Treue zum Kaiser angesichts der Macht von Fürsten und Städten überlebensnotwendig war. Manfred Rudersdorf versucht in seiner mentalitätsgeschichtlich orientierten Studie die typologischen Strukturmerkmale des Politik- und Rollenverständnisses einer führenden Gruppe von Reichsfürsten im konfessionellen Zeitalter zu ermitteln, namentlich der protestantischen Fürsten, der sogenannten lutherischen Landesvätergeneration, und hierbei deren Rolle für die Ausbildung des Territorialstaates und der territorialen Administration zu ergründen. Als Ergebnis hält er fest, daß vor allem die Fürsten von der Reformation profitierten und dies die Grundlage für eine spezifische Fürstenpolitik bildete. Die Reformation habe, so Rudersdorf, wesentlich dazu beigetragen, daß der gestärkte Fürstenstaat seine Stellung nicht nur habe behaupten, sondern auf Dauer auch befestigen können. Dennoch seien die Territorialstaaten aufs engste mit der Reichsverfassung und deren rechts- und friedenswahrenden Institutionen verbunden geblieben, mit der Maßgabe, daß die Basis für die Mitwirkung der Fürsten ihre Landesherrschaft gewesen sei - ein Resultat, das zur communis opinio der späten Reichspublizistik gehörte, die von Rudersdorf allerdings nicht herangezogen wurde. Der letzte Beitrag des Sammelbandes stammt von Georg Schmidt und ist der Revision des überlieferten und leider immer noch anzutreffenden Bildes vom durch den Westfälischen Frieden funktionsunfähig gewordenen Heiligen Römischen Reich gewidmet, das seiner Auflösung entgegengegangen sei und bei dem die österreichischen Lande sich längst außerhalb des Reiches befunden hätten. Zu Recht weist Schmidt darauf hin, daß weder das Reich nach 1648 funktionsunfähig gewesen sei noch die österreichischen Lande keine Bestandteile des Reiches mehr gewesen seien. Das Gegenteil war in der Tat der Fall und die kaiserliche Rechtsstellung wie die politische Macht des Kaisers waren ungebrochen. Der Westfälische Friede hat, das sei hier hinzugefügt, lediglich einen Teil der Rechte von Kaiser und Reichsständen verfassungsrechtlich festgelegt und schriftlich fixiert, die nicht fixierten Rechte blieben als Herkommen ungebrochen erhalten  Schmidt betont zutreffend, daß das Heilige Römische Reich der Neuzeit kein loser Verband gewesen sei, sondern sehr wohl ein Staat, allerdings im Verhältnis zu den Territorialstaaten ein „Komplementär-Staat“. Er knüpft hier an die neuere deutsche Forschung an, deren erklärtes Ziel es ist, das überlieferte Bild des Heiligen Römischen Reiches der Neuzeit durch eine unvoreingenommenere und quellengerechtere Darstellung zu ersetzen. Zu Recht bemerkt er, daß es in Bezug auf die kaiserliche Politik im 17. Jahrhundert zwei gegenläufige Bewegungen in der geschichtlichen Entwicklung des Reiches gegeben habe, zum einen die Tendenz der Reichsstände, sich gegen die kaiserliche Übermacht der Habsburger im Reich zu wehren, und zum anderen das Bestreben der habsburgischen Kaiser, gestützt auf die Sonderrechte, die sich der Kaiser im Westfälischen Frieden für die Erbländer hatte verbürgen lassen, sowie auf seine Stellung in den Herrschaftsgebieten außerhalb des Reiches eine eigenständige Rolle der österreichischen Monarchie zu entwickeln.

 

Als Fazit des inhaltreichen Sammelbandes kann zunächst festgehalten werden, daß ungeachtet der Unterschiede zwischen den methodischen und materiellen Interpretationsansätzen der einzelnen Autoren und namentlich zwischen den historiographischen Gewichtungen der österreichischen und der deutschen Forschung die Ergebnisse der Beiträge deutliche Korrekturen und Präzisierungen des überlieferten Bildes von der Geschichte und Verfassung des Heiligen Römischen Reiches in der Neuzeit oder, wie neuerdings heißt, des Alten Reiches, enthalten. Der Band reiht sich insofern ein in die Reihe der zahlreichen Arbeiten, die seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienen sind und die allesamt von dem Bemühen waren, ein neues und quellengerechteres Bild des Reiches und einer Verfassung in der Neuzeit zu entwerfen, für das inzwischen erste Zusammenfassungen in den Darstellungen Karl Otmar von Aretins, Georg Schmidts und Axel Gotthardts vorliegen. Gleichwohl bleibt noch viel zu tun, um die historiographischen Verkrustungen abzutragen, die Generationen von Historikern und historischen Feuilletonisten durch die national- und vor allem kommandostaatliche Deutung der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches und seiner Verfassung aufgetürmt haben. Überlieferte historische Bilder sind zählebig - wie die Vorurteile, von denen sie geprägt wurden und vielfach noch immer geprägt werden.

 

Salzburg                                                                                                         Arno Buschmann