Ranieri,
Filippo,
Europäisches Obligationenrecht, 2. Aufl. Springer, Wien 2003. XIX, 742 S.
Mit
der Neuauflage des erstmals 1999 erschienenen Europäischen Obligationenrechts
stellt Filippo Ranieri eindrucksvoll sein Engagement unter Beweis, im Hinblick
auf die Internationalisierung der juristischen, vor allem der anwaltlichen
Tätigkeit, eine Lehre zu entwickeln, die „europäisches Grundlagenwissen“
vermittelt (S. 1). Getreu dem Verständnis des kontinentalen Zivilrechts
als eine „diskursive Gemeinschaft“ behandelt das Hand- und Casebook die
„Kernstrukturen der kontinentaleuropäischen und der englischen Rechtstradition“
(S. 3). Der methodische Zugriff gelingt durch eine systematisch
strukturierte Präsentation mit einer problem- und fallbezogenen Erörterung von
Gerichtsentscheidungen (S. 4), d. h. durch eine „induktive
Problemvermittlung“ (S. 5), da es für eine rein systematische Darstellung
an der erforderlichen Einheit der Begrifflichkeit (noch) fehlt. Erklärtes Ziel
ist die „Entwicklung eines echten europäischen juristischen Rechtsunterrichts“
(S. 8).
Das
erste Kapitel („Das Vertragsrecht in Europa“) ist den Grundzügen des
Vertragsrechts gewidmet, insbesondere der Entwicklung vom römisch-rechtlichen
Formenzwang zur Verbindlichkeit des formlosen Vertrags (S. 11–15) bzw. in
England der Entwicklung von der action of Assumpsit bzw. der action
for debt zur Lehre von der consideration (Rann v. Hughes
(1778) 101 E.R. 1014; Roscorla v. Thomas (1842) 3 Q.B. 234). Die
Diskussion über die Harmonisierung des Zivilrechts und insbesondere des
Vertragsrechts folgt im Anschluss daran (S. 29 – 33), bevor der Verfasser
die Frage aufwirft, inwieweit EG-Richtlinien ein geeignetes
Harmonisierungsinstrument darstellen (dazu später S. 131, 330).
Das
zweite Kapitel („Willenserklärung und Vertrag“) streift zunächst kurz die
pandektistische Lehre der Willenserklärung (S. 46–53), bevor die Lehre vom
Rechtsgeschäft und das Erklärungsbewusstsein als Bestandteil der
Willenserklärung (z. B. BGHZ 91, 324) im Mittelpunkt des Interesses stehen. Dem
folgen Ausführungen zum Schweigen als Erklärung (z. B. die Scheckfalle, BGHZ
111, 97) bzw. zur Vertragsfiktion, mit denen die französische Rechtsprechung
sog. „Rettungsfälle“ löst (etwa Cass. civ. 1.12.1969, JCP 1970, II, no. 16445),
die in Deutschland unter das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag fallen
(S. 62, ausführlich dazu Kap. 14). Daran schließen sich einige Bemerkungen
zu den Unterschieden im Urteils- und Argumentationsstil an (S. 62–66).
Das
dritte Kapitel behandelt den „Vertragsschluss unter Abwesenden“ und vor allem
die Problematik der Widerruflichkeit einer Willenserklärung. Im gemeinen Recht
galt der Grundsatz, dass bis zum Vertragsschluss ein Angebot frei widerruflich
war (vgl. heute § 862 ABGB); in den jüngeren Kodifikationen ist dies
zumeist nicht mehr der Fall (S. 72–97). Die französische Rechtsprechung
kennt wie das gemeine Recht den Grundsatz der freien Widerruflichkeit des
Antrags bis zum Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung (vgl. Cass. civ.
21.12.1960, D. 1961, Jur., 417 note Ph. Malaurie), schränkt diesen jedoch
teilweise ein (S. 97). In Italien führte ein ähnlicher Rechtsgrundsatz dazu,
dass ein vor Zugang der Annahme erklärter Widerruf selbst dann noch rechtzeitig
war, wenn der Widerruf erst nach der Annahmeerklärung zuging. Diese
Rechtsprechung hat die Corte di cassazione inzwischen jedoch aufgegeben
(16. 5. 2000, Foro it. 2001, I, Sp. 227). Ähnliche Probleme stellen sich auch
beim Tod des Erklärenden, der im gemeinen Recht als ein Sonderfall des Widerrufs
die Erklärung unwirksam werden ließ. Im englischen Recht gilt der Grundsatz,
dass der Vertrag bereits mit Absendung der Annahmeerklärung geschlossen ist
(sog. mailbox rule, Adams v. Lindsell (1818) 1 B. & Ald.
681). Bei anderen Willenserklärungen wie etwa einem Widerruf ist jedoch
Kenntnisnahme erforderlich (Byrne v. van Tienhoven (1880) 5 C.P.D. 344),
ebenso beim Vertragsschluss per Telex (Entores LD v. Miles Far East
Corporation [1955] 2 Q.B. 327). Für den Sonderfall unbestellter Waren gibt
es seit einiger Zeit besondere gesetzliche Regelungen. Nach Ansicht des Autors
hat hier die Fernabsatz-Richtlinie der EG (Art. 9 RL 97/7/EG) nicht zu einer
nennenswerten Harmonisierung der Rechtslage geführt (S. 131).
Kapitel
4 ist dem „Vertragsschluss und Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ gewidmet. Die
seit Ende des 19. Jahrhundert bestehende AGB-Problematik wurde zunächst in der
Gesetzgebung ignoriert, so dass eine Kontrolle nur über die Frage der
Einbeziehung und über Generalklauseln wie § 138 BGB erfolgte (z. B. RGZ 62,
264; 103, 84). Die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen wird erstmals
in Art. 1341, 1342 des italienischen codice civile von 1942 geregelt.
Inzwischen hat sich eine in Art. 2.104 Principles of European Contract Law
ausgedrückte gesamteuropäische Rechtsüberzeugung herauskristallisiert, wonach
die Möglichkeit der Kenntnisnahme eine entscheidende Voraussetzung der
Einbeziehung ist (S. 152). Bei kollidierenden allgemeinen
Geschäftsbedingungen wird ein Vertrag nach Möglichkeit aufrecht erhalten (S.
161ff., z. B. OGH v. 7. 6. 1990, JBl. 1991, 120; BGH, BGHZ 61, 282). Eine
Inhaltskontrolle setzt sich in Europa erst nach und nach durch (S. 167ff.)
und ist dabei z. B. in Frankreich, England und Österreich nicht auf allgemeine
Geschäftsbedingungen beschränkt (S. 171, 177, 179); allgemein ist eine Tendenz
auch zur Einbeziehung von Individualabreden erkennbar (S. 204). Die
Schweiz nimmt insofern eine Sonderstellung ein, da es hier immer noch an einer
spezialgesetzlichen Regelung fehlt und eine Kontrolle nur über die
Ungewöhnlichkeitsregel und Generalklauseln wie Art. 100 Abs. 1 OR stattfindet
(S. 206).
Im
fünften Kapitel („Vertragsschluss durch einen Vertreter“) stellt der Verfasser
die Grundzüge des Stellvertretungsrechts dar. Hier galt im gemeinen Recht der
Grundsatz des alteri stipulari nemo potest, aber bereits der Usus
modernus hatte die unmittelbare Stellvertretung anerkannt (S. 216). Die
von Laband entwickelte Trennung zwischen Vollmacht und Auftragsverhältnis
(S. 218) ist in allen modernen Kodifikationen rezipiert (S. 220).
Anerkannt ist ferner das Offenkundigkeitsprinzip (S. 222f.) und die
Abgrenzung zur mittelbaren Stellvertretung (S. 224f.), letztere fehlt
allerdings im englischen Recht (S. 227). Verkehrsschutz ist das Ziel der Lehre
von der Duldungs- und Anscheinsvollmacht (OGH v. 16. 5. 1956, SZ Bd. 29 Nr. 42,
S. 132), der Lehre vom mandat tacite bzw. mandat apparent (Cass.
req. 13. 2. 1883, D. 1884, Jur., 80), von der procura apparente (Cass.
civ. 7. 5. 1992, Foro it. 1992, I, Sp. 2680) oder der apparent authority
(Freeman & Lockyer v. Buckhurst Park Properties (Mangal) Ltd. [1964] All E. R. 630). Fehlt
die Vertretungsmacht, ist der Geschäftsherr nicht vertraglich gebunden; er kann
das Geschäft allenfalls genehmigen (§ 1016 ABGB, Art. 1259 Abs. 2 Codigo
civil, Art. 38 Abs. 1 OR). Problematisch ist dann die Haftung des Vertreters:
Die französische und die österreichische Rechtsprechung entwickeln diese auf
der Grundlage der deliktischen Generalklauseln in § 1295 ABGB und Art. 1382
Code civil, in den jüngeren Kodifikationen finden sich teilweise ausdrückliche
Regelungen (S. 265f.), und das common law nimmt eine implied
warranty of authority an (S. 268).
Im
sechsten Kapitel („Mangelhafte und falsche Warenlieferung im Kaufrecht“)
befasst sich Ranieri mit der kaufrechtlichen Gewährleistung: Hier kommen
bei Verzug das Recht auf Aufhebung des Vertrages in Betracht (S. 274f.),
bei Sachmängeln, für die verschuldensunabhängig gehaftet wird (S. 277),
ebenfalls die Vertragsaufhebung (S. 278f.) sowie Schadensersatzansprüche
(S. 280), die eventuell Rügepflichten (S. 282f.) und einer kurzen
Verjährung (S. 283 f.) unterliegen. Zentrales Problem ist zunächst
die Abgrenzung zwischen Mangel und Falschlieferung: Diese war insbesondere im
deutschen Recht vor der Schuldrechtsreform sehr umstritten (S. 285–294);
ähnliche Probleme tauchten auch in Österreich (S. 294ff., mit der Ausnahme des
Handelskaufs, S. 296f.), in der Schweiz (S. 299), in Frankreich
(S. 304) und in Italien (S. 306) auf. Das englische Recht hingegen kennt
nur die umfassende Rechtsfigur des breach of contract, so dass eine
Unterscheidung zwischen aliud und peius entbehrlich ist
(S. 311, vgl. Beale v. Taylor [1967] All E. R. 253, CA). Dies gilt
auch für das CISG (S. 313ff.), das niederländische Zivilgesetzbuch (S.
316) und die Principles of European Contract Law (S. 317). Wie schon beim Recht
des Vertragsschlusses hat auch hier die europäische Richtlinie (1999/44/EG) zu
keiner Rechtsvereinheitlichung geführt und damit ihr Ziel einer echten
Harmonisierung verfehlt (S. 330).
Einem
ähnlich relevanten kaufrechtlichen Problem ist das Kapitel 7
(„Eigenschaftsirrtum und Mängelgewährleistung beim Spezieskauf“) gewidmet. Hier
geht es um das Verhältnis von Sachmängelrecht und Irrtumsrecht (S. 332f.),
das sich aus unterschiedlichen Voraussetzungen, etwa den Folgen einer
schuldhaften Unkenntnis des Mangels und unterschiedlicher Verjährungsfristen
ergibt (S. 339–342). Im Anschluss an Lenel (Jher. Jahrb. 44 (1902), 7f.)
geht man in Deutschland von der Vorrangigkeit des Kaufrechts aus (RGZ 61,
171ff.). Anders ist die Lösung in Österreich und der Schweiz, wo Kaufrecht und
Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums konkurrierend geltend gemacht werden
können (S. 348ff.). Unklar ist die Rechtslage in Frankreich (S. 356–363), wo
umstritten ist, ob die action en nullité gem. Art. 1110 Code civil neben
den kaufrechtlichen Rechtsbehelfen aus Art. 1641ff. Code civil geltend gemacht
werden kann. Auch im internationalen Kaufrecht existieren unterschiedliche
Lösungen: Art. 4.119 Principles of European Contract lässt eine Konkurrenz zu
(S. 373), während Art. 3.7 UNIDROIT vom Vorrang des Kaufrechts ausgeht.
Die Auslegung der CISG ist streitig (S. 375f.).
Deutliche
dogmatische Unterschiede der Vergleichsordnungen zeigt das Kapitel 8 zur
„Kausalität und Abstraktion“. Das gemeinrechtliche causa-Erfordernis
wird insbesondere in Frankreich, Spanien und Italien rezipiert, insbes. in Art.
1108, 1131 Code civil (S. 382). Der deutsche Usus modernus und die
Pandektistik dagegen gehen andere Wege. Aus dem Widerspruch zwischen Dig. 12,
1, 18 und Dig. 41, 1, 36 entwickelt sich in Deutschland das Abstraktionsprinzip
(S. 383f.), das zunächst auch in der Schweiz anerkannt wird (S. 390ff.).
Mit Art. 974 ZGB gibt das schweizerische Recht diese Lösung jedoch wieder auf
(vgl. auch BG, 29. 11. 1929, BGE 55, II, 302 ff., das dies auch für Mobilien
bestätigt). Relevant werden die unterschiedlichen Ansätze bei der Frage, ob
eine causa erronea oder putativa für den Eigentumserwerb genügt.
In Frankreich wird von Anfang an den Art. 1139, 938 Code civil das Prinzip der
kausalen Übereignung entnommen (S. 396). Wegen dieser Unterschiede ist daher
dort die typisch deutsche Unterscheidung zwischen Kondiktion und Vindikation
unbekannt (S. 399–400). Bedeutung hat die Frage der abstrakten Übereignung auch
für die Möglichkeit der abstrakten Sicherungsübereignung, die in Deutschland
unbestritten möglich ist (S. 402–407), nicht aber in der Schweiz, Österreich
und in Frankreich (S. 410 – 419). Anders als in Deutschland, ist in Österreich,
der Schweiz und in Frankreich auch für den schuldrechtlichen Vertrag eine causa
erforderlich (S. 421f.). Diese fehlt etwa beim Verkauf von Materialien zu
okkulten Zwecken oder bei der Verpflichtung zur Übertragung von Rechten, die
nicht existieren können, Fälle also, die in Deutschland über die Figur der
anfänglichen Unmöglichkeit gelöst werden (S. 424–430).
Kapitel
9 („Abtretung von Forderungen“) beschreibt die unterschiedlichen Mechanismen
der Forderungszession, die teilweise eine Abtretungsanzeige voraussetzt (S.
434–441). Die Darstellung umfaßt auch die Regelungen zur Haftung für Verität
und Bonität (S. 442f.) und den Schutz des gutgläubigen Schuldners (S.
448–451) sowie den Schutz des Zessionars über § 816 Abs. 2 BGB oder über die
bereicherungsrechtlichen Generalklauseln (S. 459–467).
Ein
besonderes Sicherungsmittel behandelt Kapitel 10 („Der Bürgschaftsvertrag und
der Schutz des Bürgen“). Hier stehen zunächst Formfragen im Mittelpunkt: Im
gemeinen Recht konnte die Bürgschaft formfrei abgeschlossen werden, während
zahlreiche jüngere Kodifikationen Formvorschriften aufstellen (§ 766 BGB, Art.
493 OR u. a.). In England regelt sec. 4 des Statute of frauds von 1677
die prozessuale Beweisführung für Ansprüche aus dem contract of guarantee
(S. 476). In Frankreich galt wie im ancien droit zunächst Formfreiheit
(Art. 2015 Code civil), im Hinblick auf Art. 1326 schwankt die Rechtsprechung
jedoch jetzt zwischen der Anerkennung eines Formerfordernisses und der
Formfreiheit (S. 478–483). Ein Sonderproblem stellt die Blankobürgschaft
dar: Hier bestehen etwa in Deutschland und Österreich unterschiedliche
Auffassungen zu der Frage, ob sie das Schriftformerfordernis erfüllt
(S. 485ff.). Die Verbraucherkreditrichtlinie ist auf Bürgschaften nicht
anwendbar (EuGH, 23.3.2000, WM 2000, 713), vermag also einen Schutz des Bürgen
nicht zu vermitteln; teilweise existieren jedoch spezialgesetzliche Regelungen
(S. 496–498). Die deutsche Rechtsprechung erreicht dieses Schutzziel über die
Sittenwidrigkeitskontrolle (S. 498 ff.), die auch in anderen Ländern Einfluss
hat (S. 504f.), die italienische Rechtsprechung einen ähnlichen Schutz durch
die Konstruktion von Informationspflichten des Bürgschaftsgläubigers (S. 508 –
510).
In
Kapitel 11 („Schutzpflichten und Schadensersatz“) befasst sich der Autor mit
den Folgen der Verletzung von Schutzpflichten. In Deutschland weicht die
Rechtsprechung wegen der Schwächen des Deliktsrechts traditionell auf die
quasivertragliche Haftung aus (S. 514ff.), die inzwischen in §§ 241
Abs. 2, 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB kodifiziert wurde. Eine ähnliche Einordnung als
vertragliche Haftung findet sich auch in Österreich (S. 523), während sich in
Frankreich ein uneinheitliches Bild ergibt: Hier kommen sowohl die vertragliche
Haftung („obligations de sécurité“) als auch die deliktische
Sachwalterhaftung („garde du sol“, d. h. Haftung aus Art. 1384 Code
civil) in Betracht (S. 530–534). Auch die italienische Rechtsprechung greift
auf die Parallelvorschrift zu Art. 1384 Code civil in Art. 2051 codice civile zurück
(S. 534–537). Mit höchst unterschiedlichen dogmatischen Konstruktionen kommen
die nationalen Gerichte also zu praktisch ähnlichen Ergebnissen: Dogmatik hängt
mithin stark vom gesetzlichen Rahmen ab und ist daher für Ranieri „kein
Wert an sich“ (S. 538).
Das
zwölfte Kapitel („Das Deliktsrecht und der Ersatz des reinen
Vermögensschadens“) dokumentiert einen wesentlichen Unterschied zwischen der
deliktischen Generalklausel in Art. 1382 Code civil und § 823 Abs. 1 BGB. Das
BGB steht in der Tradition der actio Legis Aquiliae (S. 544ff.), ohne
die im Naturrecht aus den Ausdehnungen der aquilischen Klage enstandene
Generalklausel zu übernehmen (S. 540f.). Der Verlust von
Unterhaltsansprüchen ist daher als reiner Vermögensschaden nur aufgrund der
ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 844 BGB ersatzfähig, während in
Frankreich dafür die deliktische Generalklausel genügt (S. 559–561). Auch
vertragliche Beziehungen sind in Deutschland grundsätzlich deliktisch nicht
geschützt (S. 563ff.), anders hingegen in Österreich (S. 566ff.). Französische
Gerichte lassen in derartigen Fällen Schadensersatzansprüche jedoch zumeist an
der erforderlichen Kausalität scheitern (S. 568ff.). Ähnliche Probleme
existieren auch bei sog. Kabelfällen, also der Beschädigung von Stromleitungen,
die bei Dritten zu Schäden führen, die nicht Eigentümer der Leitung sind
(S. 577–593). Hier kann zumeist auch das von der deutschen Rechtsprechung
entwickelte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht
weiterhelfen (S. 582ff.). Aber auch in den Rechtsordnungen mit einer
deliktischen Generalklausel schränkt die Rechtsprechung den Ersatz reiner
Vermögensschäden teilweise ein (S. 587ff.).
Kapitel
13 („Der Ersatz von Schockschäden“) beschreibt die Ersatzfähigkeit von Schäden,
die nahe Angehörige von Unfallopfern aus Anlass des Unfalls oder der
Unfallnachricht erleiden. Die deutschen Gerichte nahmen zunächst an, dass es am
erforderlichen Kausalzusammenhang fehlt (so noch RGZ 68, 47). Bei der Anwendung
des § 823 Abs. 1 BGB kam es in der Folgezeit maßgeblich darauf an, ob eine
eigene Gesundheitsverletzung des Schockopfers zu bejahen war (S. 599ff.),
d. h. ob der Schock eine Gesundheitsverletzung verursachte, die in ihrem Maß
über den gewöhnlichen Schmerz bei dem Verlust naher Angehöriger hinausgeht
(S. 603). Die österreichische Rechtsprechung stellte zunächst darauf ab,
dass es sich um eine „nur mittelbare“ Schädigung handele, die nicht gem.
§ 1295 ABGB ersatzfähig sei (S. 605ff.). Erst mit einem Urteil vom 16. 6.
1994 erkannte der österreichische OGH die schockbedingte Beeinträchtigung als
Körperverletzung an (ZVR 1995, Nr. 46, S. 116f.). Folglich sind im
österreichischen Recht die Schockschäden naher Angehöriger grundsätzlich
ersatzfähig (OGH, 21. 12. 1995, ZVR 1997, Nr. 75, S. 186), und zwar selbst
dann, wenn der Schock nicht durch das Unfallerlebnis, sondern erst durch die
Unfallnachricht verursacht wird (OGH, 22. 2. 2001, JBl. 2001, 659f.). In
Frankreich ging die Rechtsprechung beim Ersatz derartiger Schockschäden (dommage par ricochet) zunächst sehr
weit; inzwischen wird dies jedoch durch eine restriktive Kausalitätsprüfung
wieder eingeschränkt (S. 621f.). Schockschäden, die von ganz
außergewöhnlichen Faktoren bestimmt werden, sind daher nicht ersatzfähig (S.
622). Im common law ist die Ersatzfähigkeit nach dem tort of
negligence an die Vorhersehbarkeit geknüpft (S. 626). Die Divergenz
der dogmatischen Einordnung des Problems in den verschiedenen Rechtsordnungen
relativiert nach Ansicht des Verfassers „den Glauben an den Eigenwert von dogmatischen
Konstruktionen“; die Übereinstimmung in den Ergebnissen ermögliche sogar eine
„kodifikatorische Fixierung“ etwa nach dem Vorschlag der Study Group on a
European Civil Code (S. 636).
Das
vierzehnte Kapitel behandelt die „Geschäftsführung ohne Auftrag und die
‚Rettungsfälle’“. Hier stellt sich die Frage nach der Ersatzfähigkeit der bei
einer Hilfeleistung erlittenen Schäden, insbesondere im Rahmen der
Geschäftsführung ohne Auftrag, einer Rechtsfigur, die auf die römische negotiorum
gestio zurückgeht und in allen kontinentalen Kodifikationen aufgenommen
wurde (S. 638). Im deutschen Recht liegt der Schwerpunkt der Diskussion bei dem
Begriff der Aufwendung i. S. v. § 670 BGB, der grundsätzlich nur freiwillige
Vermögensopfer umfasst; erst mit RGZ 167, 85 wurde anerkannt, dass Schäden aus
typischen Risiken der übernommenen Tätigkeit analog § 670 BGB ersatzfähig sind
(S. 642). Im schweizerischen Recht ist für Zufallsschäden des Helfers Art. 422
OR unmittelbar anwendbar, bei einem Auftrag zumindest analog (S. 647–649). In
Österreich ist es umgekehrt: Hier gilt im Falle des Auftrags § 1014 ABGB,
der den Ersatz des erlittenen Schadens vorsieht; außerhalb eines
Auftragsverhältnisses wurde zunächst die Vorschrift des § 1043 ABGB
(Ersatz bei Rettung aus Notfällen) als lex specialis angesehen, die
anfangs eng ausgelegt, dann aber – im Hinblick auf die deutsche Lösung – auf
alle Hilfeleistungen bei Unfällen angewendet wurde (S. 650ff.). In Frankreich
besteht für die gestion d’affaires eine Spezialregelung für den Ersatz
von Schäden (Art. 2000 Code civil), die wegen der restriktiven Handhabung der gestion
d’affaires (S. 659) allerdings kaum zum Tragen kommt. Regelmäßig werden
Rettungsfälle jedoch über die Konstruktion einer convention d’assistance
gelöst (d. h. der Fiktion eines Hilfeleistungsvertrages, S. 655). Die
dogmatischen Lösungen sind also z. T. sehr unterschiedlich und führen auch zu
praktisch divergierenden Ergebnissen (S. 661); gleichwohl hält der Verfasser
den Vorschlag der Study Group on a European Civil Code für „konsequent“,
der eine Ersatzpflicht stets vorsieht, wenn jemand mit einem vernünftigen Grund
in der primären Intention der Fremdnützigkeit handelt (S. 661).
Das
letzte Kapitel behandelt schließlich „Die ‚bona fides’ und die richterliche
Kontrolle der Rechtsausübung“. Der Sache nach geht es um die klassische
römische exceptio doli, die insbesondere der deutschen gemeinrechtlichen
Praxis bekannt war (S. 664). Nach Inkrafttreten des BGB ist sie in § 242 BGB
verortet mit dem Rechtsinstitut der Verwirkung (S. 669ff.) oder dem
Arglisteinwand gegenüber der Geltendmachung von Formmängeln (S. 675ff.). Dabei
versetzt § 242 BGB in seiner Tragweite den Richter in die (gefährliche)
Lage, „gleichsam als Gesetzgeber zu operieren“ (S. 677). Das deutsche Modell
wird in der Schweiz und, nach anfänglichem Zögern, auch in Österreich und
Italien nachgeahmt (S. 677ff., 687ff.). In Frankreich ist die allgemeine
Arglisteinrede zwar unbekannt (S. 689), jedoch kommt die Rechtsprechung über
andere Konstruktionen (insbesondere stillschweigender Rechtsverzicht) zu
funktional gleichen Ergebnissen (S. 693). Die untersuchten kodifizierten
Rechtsordnungen stimmen demnach darin überein, dass die Rechtsprechung stets
die Möglichkeiten hat, im Einzelfall gesetzliche Ordnungsvorschriften zu
korrigieren. In England hingegen ist ein Prinzip von Treu und Glauben unbekannt
(S. 704), was der Verfasser insbesondere auf die Rezeptionsfestigkeit des
common law zurückführt (S. 705). Funktional führt zwar auch im common law
z. B. der Gedanke des estoppel zu Ergebnissen, die mit der deutschen
Verwirkung vergleichbar sind; gegen eine Generalklausel nach deutschem Vorbild
bestehen jedoch erhebliche Bedenken (S. 705). Damit erscheint die „richterliche
Kontrolle einer treuwidrigen Rechtsausübung“ als Gedanke, der (nur) den
kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen „immanent“ ist (S. 706f.).
Die
Erstauflage des Europäischen Obligationenrechts ist vollkommen zu Recht neben sieben
weiteren Titeln als „Juristisches Buch des Jahres 2005“ ausgezeichnet worden.
Nicht nur in der Auswahl der Themen des Vertrags- und Schuldrechts, sondern
auch im funktional vergleichenden Zugriff vermag das jetzt in der zweiten
Auflage vorgelegte Hand- und Casebook Filippo Ranieris zu überzeugen.
Juristen müssen sich künftig auf eine „Vielgestalt der europäischen Situation“
einstellen (A. Flessner, JZ 2002, 14) und daher eine Methode entwickeln,
die der „Pluralität der Rechtsquellen, der Relativität der Teilrechtssysteme
und der Diversität der Rechtsinhalte“ Rechnung trägt (ibid., 16). Dies
erfordert von der Ausbildungsliteratur eine europäische Auswahl des
juristischen Materials und einen vergleichenden funktionalen Zugriff, der nicht
monistisch am Gesetz des nationalen Gesetzgebers ausgerichtet sind. Das von Ranieri
vorgelegte Buch ist ein großer Schritt in diese Richtung.
Passau Ulrike
Müßig geb. Seif