Quaisser, Friederike, Mietrecht im 19. Jahrhundert. Ein Vergleich der mietrechtlichen Konzeptionen im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 und dem gemeinen Recht (= Rechtshistorische Reihe 319). Lang, Frankfurt am Main 2005. XXXII, 209 S.

 

Heinrich Dernburg hat seinem Lehrbuch des preußischen Privatrechts (Bd. 1, 1884, S. 46) geschrieben, dass die dem gemeinen Recht unbekannte Dinglichkeit des Mietrechts im ALR von „tiefgreifender socialer Wichtigkeit für den Miether“ sei. Dies sollte auch gelten für das Kündigungsrecht, das dem Mieter in „zahlreichen Fällen“ zugestanden habe. Die Herausstellung der sozialen und mieterfreundlichen Regelungen des ALR durch Dernburg war für Quaisser Anlass, dies in einem Vergleich mit dem gemeinen Recht unter besonderer Berücksichtigung des Bestandsschutzes näher zu untersuchen. In einem ersten Kapitel geht die Verfasserin der tatsächlichen Situation der Mieter im 19. Jahrhundert nach (S. 11ff.; u. a. Wohnungsraumsituation für die Mieter; Leben in den sog. Familienhäusern; Formularmietverträge; Möglichkeit der sofortigen Exmission des Mieters). Es folgen Abschnitte über das Mietrecht in der gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts (Vertragsschluss, - Dauer und Beendigung der Miete, - Haftung des Mieters/Vermieters, - Bestandsschutz im Verkaufsfalle sowie Besitzschutz) und über das Mietrecht des ALR (Verdinglichung des Mietrechts im Anschluss an die Lehren Christian Wolffs, Begründung des Mietvertrags, Dauer und Beendigung der Miete, Rechte des Mieters aufgrund seiner dinglichen Berechtigung). In dem knapper gehaltenen Vergleich zwischen dem Mietrecht des ALR und des gemeinen Rechts stellt Quaisser fest, dass die Mieter nach dem ALR im Gegensatz zum gemeinen Recht possessorischen Schutz genossen und ihnen auf Grundlage ihres dinglichen Rechts weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten bei Besitzstörungen zugestanden hätten. Die „in der Theorie“ bestehenden sozialen Komponenten des ALR hätten sich in der Praxis jedoch vor allem aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung kaum ausgewirkt, so dass die Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Rechten im Rechtsleben nur noch gering waren, zumal die gemeinrechtliche Praxis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die rechtliche Situation des Mieters verbessert hatte. Insgesamt dürfte die soziale Komponente der preußischen Mietrechtsjudikatur im ausgehenden 19. Jahrhundert allerdings eine größere Rolle gespielt haben (vgl. Oskar Niendorff, Das Preußische Miethsrecht, 1. Aufl. 1884; 3. Aufl. 1892), als dies die Untersuchungen der Verfasserin nahe legen. Das preußische Mietrecht hat das Mietrecht des BGB nicht unerheblich beeinflusst und dieses hat weitere soziale Akzente gesetzt. In vielen Bereichen hat das Reichsgericht nach 1900 die zumindest sehr abgewogene preußische Mietrechtsjudikatur aus der Zeit bis 1900 fortgesetzt (hierzu W. Schubert, Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, Berlin 2003, S. 11ff.). Mit dem Werk  Quaissers liegt nunmehr für die Gesamtheit des preußischen Mietrechts des 19. Jahrhunderts eine fundierte Untersuchung vor, die zugleich einen wichtigen Beitrag zur vergleichenden Rechtsgeschichte des vorvergangenen Jahrhunderts darstellt.

 

Kiel

Werner Schubert