Puppel, Pauline, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500-1700 (= Geschichte und Geschlechter 43). Campus, Frankfurt am Main 2004. 407 S.
In den beiden hessischen Landgrafschaften gab es in der Zeitspanne von 1500 bis 1700 vier Frauen, die als Witwen nach dem Tode ihrer Männer zeitlich begrenzt die Herrschaft des Landes übernehmen konnten: Anna von Hessen, Amelie Elisabeth und Hedwig Sophie von Hessen-Kassel und Elisabeth Dorothea von Hessen-Darmstadt. Alle vier hatten die Regentschaft inne, bis ihre jeweils noch minderjährigen Söhne die Herrschaft übernahmen – , bei Anna, der Mutter Philipps des Großmütigen, nur bis zur vorzeitigen Volljährigkeitserklärung des jungen Landgrafen. Noch niemand aber hatte sich systematisch darüber Gedanken gemacht, auf welchen rechtlichen Voraussetzungen derartige Regentschaften basierten, und ob sie überhaupt im zeitgenössischen Juristendiskurs ein Problem darstellten, oder ob nicht eher angesichts politischer Notwendigkeiten und der Realität der Witwenschaften vormundschaftliche Regierungen dieser Art zur Wahrung herrschaftlicher Stabilität erforderlich waren und deshalb nicht weiter bezweifelt werden konnten. Denn für die mittelalterliche Welt scheint diese Frage noch keine besondere Rolle gespielt zu haben: Der Herrscher stand an der Spitze seiner Herrschaft, auch wenn er sich seiner Minderjährigkeit oder seiner Krankheit wegen zum persönlichen Regiment außerstande fühlte und durch nahe Angehörige und Berater vertreten werden musste. Die Einsetzung des Vikariats der Pfalzgrafen auf Reichsebene durch die Goldene Bulle von 1356 und schließlich das kurzlebige Reichsregiment bei dauernder Abwesenheit des Königs vorm Reich zu Beginn des 16. Jahrhunderts gaben der stellvertretenden Herrschaftsgewalt eine gewisse institutionelle Form, bei der Frauen selbstverständlich keine Rolle spielten.
Sieht man sich zeitgenössische Äußerungen an, so erstaunt es doch, dass die weibliche Regentschaft überwiegend als der menschlichen Natur widersprechend angesehen wurde. Noch 1673 hielt der Reichshofrat Nicolaus Christoph von Lyncker die Frau für die Übernahme von Herrschaft nicht geeignet, „mulier imperii non capax est“ (S. 14), und 150 Jahre später hielt der Göttinger Rechtsgelehrte Wilhelm Theodor Kraut dafür, dass diejenigen, die einen Vormund nötig haben, nicht selbst Vormünder sein könnten: „Wir können daher mit Gewißheit behaupten, daß Frauenzimmer nicht fähig sind, eine Vormundschaft zu führen“ (S. 60). Von da aus war nur ein kleiner Schritt zu der Annahme, auch öffentlichrechtliche Vormundschaften, wie sie die Regentschaft darstellen konnte, den Frauen allgemein zu verschließen.
Die Realität indes, so ergibt sich aus der profunden Analyse der Autorin, sah anders aus. Aber um hierzu Stellung zu beziehen, breitet sie in einem ersten Abschnitt der Arbeit nach einer sehr informativen und problembewussten Einleitung, zunächst, wenn auch mitunter mit einer gewissen Redundanz und nicht immer mit der dogmatisch-systematischen Präzision, die man bei einem Juristen erwarten würde, das zeitgenössische juristische Regelwerk aus. Sie stellt die rechtlichen Grundlagen für die vormundschaftliche Regentschaft vor (Kap. 1), klärt die standesmäßigen Voraussetzung für die Vormundschaft von Reichsständen über hinterlassene Kinder bis hin zu der Aussage, dass das Amt kein Geschlecht kenne („mulier, si est tutrix constituta, possit omnia, quae potest alius tutor“) (Kap. 2), um dann in einem dritten und vierten Kapitel auf die Hierarchie der Vormünder sowie Probleme der Beendigung der Vormundschaft durch Volljährigkeit des Mündels, Amtsenthebung wegen Treuwidrigkeit, Wiederverheiratung, Abdankung und andere Beendigungsgründe einzugehen. Es stellt sich heraus, dass die vormundschaftliche Regentschaft in der Frühen Neuzeit „ein anerkanntes Instrument war, das unabhängig von Persönlichkeiten und territorialer Größe der Dynastiesicherung diente“. Allerdings gab es nur hinsichtlich der Kurfürsten eine in der Goldenen Bulle von 1356 niedergelegte reichseinheitliche Regelung. Die Liebe der Mutter bzw. Großmutter zum leiblichen Kind bzw. Enkelkind war ausschlaggebend dafür, dass von der im Corpus Iuris Civilis enthaltenen Regel, dass die Vormundschaft Männern vorbehalten war, in Übereinstimmung mit dem mittelalterlichen Statutarrecht Ausnahmen zugunsten der genannten Personen gemacht wurden. Auch die agnatische Lehnsvormundschaft spielte in der Diskussion eine Rolle. Auf diese Weise wurde der legitime Anspruch der Reichsfürstinnen und Reichsgräfinnen auf die vormundschaftliche Regentschaft anerkannt und schließlich reichsgewohnheitsrechtlich institutionalisiert. Dynastische Hausverträge und sonstige Verfügungen und Einungen im Hochadel enthielten oftmals präzise Regelungen dazu, da es um die Absicherung der Dynastie und damit um die Stabilisierung von Herrschaft ging.
Die vorliegende Untersuchung zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass sie bei der Analyse des juristischen Regelwerks nicht stehen bleibt, sondern nach einer Einleitung über die Anfänge Hessens unter Sophie von Brabant, der Tochter der Heiligen Elisabeth, den vier eingangs genannten Fürstinnen aus dem Landgrafenhaus je eine biographische Abhandlung im Hinblick auf die Probleme ihrer jeweiligen vormundschaftlichen Regierung widmet. Bei Anna und Amelie Elisabeth spielten in diesem Zusammenhang auch die Landstände eine zunehmende Rolle, ausgelöst durch das zeitweilig entstandene Machtvakuum an der Spitze des Landesfürstentums, das auch durch die Landgrafenmütter nicht in vollem Umfang ausgefüllt werden konnte. Es konnte anhand der vier Beispiele untersucht werden, welche Argumente des juristischen Diskurses im realpolitischen Geschäft zur Durchsetzung der Ansprüche auf vormundschaftliche Regentschaft herangezogen wurden, aber auch, wie die angesprochenen Landgräfinnnen ihre Handlungsspielräume nutzten. Während bei allen vier Fürstinnen eine unterschiedliche Vorgehensweise festzustellen ist – in je eigenständiger Weise und teilweise nach den Vorgaben der politischen Testamente und Hausordnungen - waren Landstände, Vormundschaftsräte wie auch Vertreter der fürstlichen Herkunftsfamilien beteiligt. Die aus dem brandenburgischen Kurfürstenhaus stammende Hedwig Sophie und die als Herzogin von Sachsen-Coburg geborene Elisabeth Dorothea versuchten sogar, sich ihre jeweilige Regentschaft durch Reichskammergericht und Reichshofrat abzusichern. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass alle vier Regentinnen nicht einfach machtpolitisch im Vertrauen auf die überwiegende juristische Lehrmeinung agierten, sondern ihre Herrschaft in jeder Beziehung juristisch abzusichern gedachten.
Trotz des landeskundlich formulierten Titels der Arbeit bedarf diese ausgezeichnete Analyse der Aufmerksamkeit durch die rechtshistorische Forschung. Die Autorin legt die Grundlagen ihrer Arbeit in genealogischen Übersichten, in der Darbietung der benutzten Quellentexte, in Kurzbiographien der von ihr zitierten Gelehrten sowie in Verzeichnissen der ungedruckten und gedruckten Quellen, der Editionen und der Forschungsliteratur offen. Dass sie sich hinsichtlich des Registers auf einen Personenindex beschränkt, entspricht der Praxis historisch angelegter Arbeiten; für den rechtshistorischen Gebrauch wäre ein Sachregister nützlich gewesen.
Darmstadt J. Friedrich Battenberg