Osterburg, Daniel, Das Notariat in der DDR. Aufgaben, Funktion, Ausbildung, Herkunft und Kontrolle der Notare (= Schriften der deutschen notarrechtlichen Vereinigung 18). O. Schmidt, Köln 2004. XX, 258 S.

 

Die Untersuchungen Osterburgs behandeln das Notariat in der DDR, das seit 1952 gekennzeichnet war durch ein Nebeneinander von Notaren im staatlichen Notariat und Anwaltsnotaren. Die Arbeit beginnt mit einer knappen Geschichte des Notariats in den zum Gebiet der DDR gehörenden ehemaligen Bundesstaaten bzw. Ländern. Hieraus ergibt sich, dass die Verbindung von Rechtsanwaltschaft und Notariat die Regel war. Zwischen 1945 und 1952 wurden entsprechend der Reichsnotarsordnung von 1937 weiterhin Rechtsanwälte zu Notaren bestellt, dem die „Verordnung über die Errichtung des Staatlichen Notariats“ vom 15. 10. 1952 ein Ende setzte. Das Anwaltsnotariat blieb weiterhin bestehen, verlor aber in der Folgezeit immer mehr an Bedeutung (vgl. S. 209ff.). Das Staatsnotariat (StN) hatte sein Vorbild in der Sowjetunion (S. 42) und war eine „konsequente Umsetzung sozialistischer Verstaatlichungspolitik, die es verbot, selbstständig freiberuflich Tätigen die Aufgaben der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu übertragen“ (S. 44). Diese wurde bei den ordentlichen Gerichten aufgelöst und den Staatsnotariaten übertragen, die u. a. zuständig waren für die Beurkundung von Grundstücksverträgen und letztwilligen Verfügungen, für Beglaubigungen, die Entgegennahme der Erklärung des Austritts aus einer Religionsgemeinschaft, für Nachlasssachen (Testamentseröffnung, Erbscheinserteilung) und für Vormundschaften sowie Pflegschaften über Volljährige. Die Staatsnotare kamen zunächst aus dem mittleren und gehobenen Justizdienst (Rechtspfleger), für die zwischen 1953 und 1957 Notarlehrgänge stattfanden. Bis März 1953 wurden 306 Notare ernannt; 1985 bestanden 458 Planstellen, von denen aber nur 429 besetzt waren. Erst 1958 kamen Hochschulabsolventen in die Staatsnotariate (1985 hatten 74% der Notare einen Hochschulabschluss). Da die Tätigkeit schlecht entlohnt wurde, gelangten nicht selten Absolventen mit weniger guten Examensnoten in das Notariat (vgl. S. 131). Der Frauenanteil betrug 1986 58% (bei Richtern 52,4%). Eine Übertragung notarieller Befugnisse auf Kollegiumsanwälte, wie immer wieder vorgeschlagen wurde, erfolgte nicht. Ab 1976 wurden auf Intervention des Ministeriums für Staatssicherheit einige wenige Rechtsanwälte zu Einzelnotaren bestellt für die Wahrnehmung spezieller Aufgaben im Interesse des Staates (u. a. Grundstücksveräußerungen ausreisewilliger DDR-Bürger). Der überwiegende Teil der Staatsnotariate war mit einem Notar bzw. zwei Amtsinhabern besetzt (vgl. S. 189, Fn. 40).

 

Die Tätigkeit der Notare richtete sich nach dem „Gesetz über das Verfahren des Staatlichen Notariats“ (16. 11. 1956) und seit 1976 nach dem Notariatsgesetz vom 5. 2. 1976. Die Staatsnotariate hatten von Anfang an einen hohen Geschäftsanfall (Mitte der 60er Jahre über 1000 Geschäftsvorgänge je Notar im Jahr). Neben der Beurkundung von letztwilligen Verfügungen spielten Verträge über kleinere, mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke oder über Wohn- und Wochenendhäuser ohne Grundstück eine große Rolle. Bei ihrer Tätigkeit hatten die Notare „das sozialistische Recht zu propagieren, den Zivilrechtsverkehr zu beeinflussen, bei der Lösung ökonomischer Aufgaben mitzuwirken und bei ihrer Tätigkeit die Interessen des Staates zu wahren“ (S. 127). Dies geschah u. a. dadurch, dass in die Vertragsurkunden die Beweggründe die Parteien für den Vertragsschluss aufgenommen wurden (S. 95ff.). Beurkundungen über den Lastenausgleich in der Bundesrepublik wurden generell abgelehnt (S. 106ff.). Die Bedeutung der notariellen Tätigkeit zeigte sich insgesamt daran, dass die Staatsnotariate das am häufigsten von den Bürgern aufgesuchte Justizorgan waren und dass sie durch Beurkundung und rechtsberatende Tätigkeit den Inhalt zivilrechtlicher Beziehungen der Bürger untereinander beeinflussen konnten. Die Notare waren ihrerseits einer umfassenden Kontrolle ausgesetzt. Inhaltlich den politischen Anschauungen zuwider handelnde Beurkundungen dürften weitgehend unterlassen worden sein. Mit der noch vor der Wiedervereinigung erlassenen Verordnung vom 20. 6. 1990 „über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis“ wurde das Staatsnotariat aufgehoben und in ein freiberufliches hauptamtliches Notariat (Nur-Notariat) überführt. Maßgebend hierfür war – bei allen Vorzügen des Nur-Notariats gegenüber dem Anwaltsnotariat – „die soziale Absicherung der in den Staatsnotariaten beschäftigten Notare“ (S. 236). Denn von den in den Staatsnotariaten beschäftigten Notaren hätte man aufgrund ihrer Ausbildung kaum eine Tätigkeit als Rechtsanwalt erwarten können. Lediglich für Berlin hielt man die Einführung des Anwaltsnotariats für unumgänglich. Ein Versuch Sachsen-Anhalts, die Länder zur Einführung des Anwaltsnotariats zu ermächtigen, blieb ohne Erfolg; 1998 trat im Beitrittsgebiet die Bundesnotarordnung in Kraft.

 

Das Werk Osterburgs beruht weitgehend auf der Auswertung zahlreicher Akten aus dem Bundesarchiv Berlin. Die Statistiken (S. 239ff.) geben einen Überblick über den Geschäftsanteil bei den Staatsnotariaten. Auf S. 176 hat der Verfasser die Herkunft der Notare statistisch erschlossen. Ob es meinungsbildende oder sonstwie herausragende Persönlichkeiten unter den Notaren gegeben hat, lässt sich der Darstellung nicht entnehmen. Auch geht der Verfasser nicht näher auf die Gehaltsstruktur der Notare ein – gab es Abstufungen? Auch fehlt ein Abschnitt über die Beurkundungsgebühren und die Einnahmen des Justizfiskus aus dem Beurkundungsgeschäft. Die Bezüge zum Recht der osteuropäischen Staaten dürften etwas zu kurz gekommen sein. Auch bleibt weitgehend offen, wie weit die Staatsnotariate sich als Ersatz für die Freiwillige Gerichtsbarkeit und als Beurkundungsbehörde bewährt haben. Mit Recht stellt der Verfasser heraus, dass die Staatsnotariate nicht die Aufgabe hatten, den Einzelnen bei der privatautonomen Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse neutral zu beraten, sondern dass sie bei ihrer Tätigkeit die Interessen des Einzelnen mit denen des Staates in Einklang zu bringen hatten (vgl. S. 237). Mit seinem Werk hat Osterburg eine fast 40 Jahre andauernde Sonderentwicklung in der Geschichte des deutschen Notariats, deren Gesamtdarstellung leider noch immer aussteht, minutiös erschlossen.

 

Kiel

Werner Schubert